Die staatliche Antibiotika-Datenbank hat die Tierhalter erstmals bewertet. Wie die Schweinehalter jetzt reagieren müssen, hat SUS mit drei Tierärzten diskutiert.
ln Sachen Antibiotika-Kontrolle wird es ernst. So hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im April erstmals die Kennzahlen zur Therapie-Häufigkeit veröffentlicht. Die Tierhalter mussten dann selbst aktiv werden. Es galt die betriebsindividuellen Werte mit den bundesweiten Kennzahlen zu vergleichen und das Ergebnis bis Ende Mai in den Betriebsunterlagen zu notieren.Dabei gibt es drei Gruppen:
- Bei einer Therapie-Häufigkeit unter der Kennzahl 1 ist alles in Ordnung. Bis auf die weitere Meldung der antibiotischen Anwendungen muss der Landwirt keine Maßnahmen ergreifen.
- Liegt der Betrieb zwischen Kennzahl 1 und 2, so ist mit dem Hoftierarzt der überdurchschnittliche Antibiotikaverbrauch zu analysieren und Reduktionsmöglichkeiten zu nutzen.
- Kritisch wird es bei Überschreitung der Kennzahl 2. Hier muss der Landwirt mit dem Hoftierarzt einen Maßnahmenplan zur Einsparung von Antibiotika erarbeiten. Dieser ist bis Ende Juli der zuständigen Behörde vorzulegen.
Für beide letztgenannten Gruppen besteht also Handlungsbedarf, weniger Antibiotika einzusetzen. Wo man den Hebel ansetzt, zeigt unser Interview mit drei Schweine-Spezialtierärzten.
Wie gehen die Schweinehalter mit dem Thema Antibiotika-Monitoring um?
Sudendey: Als Hoftierarzt bekomme ich viele Nachfragen zur jüngst veröffentlichten Therapie-Häufigkeit. Das zeigt, dass die Landwirte das Thema Antibiotika ernst nehmen. Allerdings herrscht große Verunsicherung, wie die Ergebnisse zu deuten sind. Aufgrund fehlender Daten sind die Kennzahlen 1 und 2 zurzeit kritisch zu beurteilen.
Schröder: Auch bei unseren Kunden ist das früher mitunter festzustellende Unverständnis für die Antibiotika-Erfassung gewichen. Inzwischen herrscht teils große Sorge, beim Einsatz von Antibiotika etwas falsch zu machen. Denn niemand möchte mit seinen Ergebnissen auffallen.
Wie belastbar sind die Daten?
Tenhündfeld: Bei der Dateneingabe können Fehler auftreten. Bei einer zu hohen Therapiehäufigkeit ist zu prüfen, ob alle antibiotischen Anwendungen, Tierzahlen und Zuordnungen zu den VVVO-Nummern korrekt sind. Andererseits sollten Betriebe mit einem auffällig niedrigen Wert die Vollständigkeit ihrer Angaben und die ordnungsgemäße Beauftragung Dritter für die Datenübermittlung an HIT prüfen. Denn vor allem diese Schweinehalter wollen die Behörden zu Anfang gezielt kontrollieren und drohen mit Bußgeldern. Betroffene Betriebe sollten umgehend Kontakt mit ihrem Bündler und der Behörde aufnehmen.
Wie hat sich Ihre Praxis auf den Beratungsbedarf vorbereitet?
Schröder: Die Ergebnisse des Antibiotika-Monitorings sind für uns nicht überraschend. Bereits im Vorfeld haben wir mit Excel die Betriebe anhand ihres Antibiotikaverbrauchs rangiert. Ähnliche Betriebslisten nutzen wir schon länger im Rahmen der Bestandsbetreuung. Hier war es schon zuvor Ziel, weniger Antibiotika einzusetzen.
Sudendey: Wir haben mithilfe der HIT-Datenbank aktuelle Listen erstellt und arbeiten die Problembetriebe zeitnah ab. Betriebe oberhalb der Kennzahl 2 haben bis Ende Juli Zeit, ihren Maßnahmenplan zur Einsparung von Antibiotika bei der Behörde vorzulegen. Dies halte ich für machbar.
Wie gehen Sie bei hohem Index vor?
Tenhündfeld: Die Instrumente sind uns seit Langem aus der integrierten tierärztlichen Bestandsbetreuung bekannt und tägliche Praxis. So mussten wir schon vor Einführung der staatlichen Überwachung jede Anwendung von Antibiotika genau abwägen. Erster Schritt ist die klinische Untersuchung. Dann erarbeiten wir ein diagnostisches Konzept, um die Verdachtsdiagnose zu untermauern und den Infektionszeitpunkt einzugrenzen. Schließlich leiten wir ein Behandlungskonzept ab.
Helfen jetzt Impfungen?
Schröder: In der Mast und Sauenhaltung sehe ich kaum Potenzial, die Lage mit weiteren Impfungen zu verbessern. Bei den Ferkeln sind die Mykoplasmen- und Circo-Impfung heute Standard. Manche Betriebe impfen zusätzlich erfolgreich gegen PRRS, APP oder Ödemkrankheit. Auch Bestands-Vakzinen können einen Beitrag leisten.
Sudendey: Ich erwarte eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Impfstoffe und -konzepte. Ob sich z. B. eine dritte Impfung im Ferkelbereich auf breiter Front etablieren lässt, ist letztlich eine Kosten-Nutzen-Frage.
Müssen wir den Fokus mehr auf die Fütterung richten?
Tenhündfeld: Ich sehe hier in einigen Betrieben erhebliche Potenziale. Denn große Teile des Immunsystems sind im Darm lokalisiert. Das heißt: Hochwertiges Wasser und Futter sind Basis für gesunde Tiere. Wichtig sind regelmäßige Wasser- und Futteranalysen. Auch der Zeitpunkt der Rationsumstellung vor allem im Flatdeck ist zu hinterfragen. Futterzusatzstoffe können einen Beitrag leisten, sind aber kein Allheilmittel. Letztlich müssen die Landwirte selbst ausprobieren, welche Mischungen bei ihnen am besten laufen.
Schröder: Insbesondere in der Ferkel- aufzucht können wir über das Futter eine Menge für die Gesundheit tun. Stichwort Diätetik: Wir sehen große Effekte, wenn das Futter etwas gröber vermahlen ist und mehr Rohfaser enthält. In vielen Fällen können wir so Durchfälle, Ödemprobleme und Kannibalismus verhindern oder zumindest mildern. Vermeintliche Nachteile eines Diätfutters auf die Tageszunahmen werden dann mehr als ausgeglichen. Bei den Selbstmischern sehe ich noch Verbesserungspotenzial bei der Ernte und Lagerung der Futterkomponenten.
Welche Rolle spielt die Betriebshygiene?
Schröder: Ich sehe hier Verbesserungsmöglichkeiten. So zeigt die Einschleppung der neuen Durchfallerkrankung PED in unsere Bestände, dass es bei der Hygiene mitunter Lücken gibt. Kritisch sind vor allem das Stallpersonal, Fahrzeuge und Verladerampen. Diese Punkte müssen wir strikter in das betriebliche Hygienekonzept einbinden. Die Landwirte sollten zudem darauf achten, dass die Fahrzeuge am Schlachthof penibel gereinigt und desinfiziert wurden, bevor verladen wird.
Tenhündfeld: Wichtig ist auch die innerbetriebliche Hygiene. Hier ist insbesondere die Zahl der Altersgruppen relevant. Je weniger Gruppen, desto besser lassen sich Infektionsketten brechen. In der Ferkelerzeugung sind insbesondere in kleineren und mittleren Betrieben Mehrwochen-Rhythmen (3 oder 5) mit vierwöchiger Säugezeit zu empfehlen. In der Mast sehen wir ebenfalls gesundheitliche Vorteile, wenn weniger Altersgruppen im Betrieb stehen.
Gibt es weitere Punkte?
Sudendey: Viele Probleme sehen wir heute, weil die Ferkel relativ leicht bzw. jung in die Aufzucht starten. Das gilt insbesondere für Betriebe mit hochfruchtbaren Sauen. Hier kann eine Verlängerung der Säugezeit Richtung vier Wochen für eine stabilere Tiergesundheit in der Ferkelaufzucht sorgen. Die geringere Wurffolge kann der Betrieb meist schnell wieder ausgleichen, weil es in der Aufzucht besser rund läuft und wir weniger teures Absetzfutter benötigen.
Tenhündfeld: Bei anhaltenden gesundheitlichen Problemen im Bestand haben wir auch gute Erfahrungen mit dem kompletten Leerfahren und dem anschließenden Austausch der Sauenherde gemacht. Mittelfristig werden die Kosten für den Herdenaustausch in der Regel durch bessere biologische Leistungen wettgemacht. Die Maßnahme kommt nicht nur infrage, wenn die Ferkelpreise im Keller sind. Letztlich ist sie eine Einzelfallentscheidung.
Vor allem Bestandsbehandlungen treiben den Index hoch. Können Behandlungen verkürzt werden?
Tenhündfeld: Die bewährte Maßgabe für Antibiotika gilt auch künftig: Wenn behandelt wird, dann lang genug und in vorgeschriebener Dosierung. Gibt es Zweifel zur klinischen Ausheilung der Schweine, so muss die Antibiose unter Umständen ausgedehnt werden. Was bei halbherzigen Antibiosen droht, zeigt der Blick nach Holland. Dort wurden durch den Druck der Antibiotika-Überwachung zwar die Dosiermengen in etwa halbiert. Doch es traten deutlich mehr und hartnäckige gesundheitliche Probleme auf. Auch die Tierverluste stiegen. Einen Ansatz sehe ich in der genauen Ermittlung des Infektionszeitpunktes. So lassen sich Sicherheitszuschläge bei der Behandlungsdauer möglicherweise reduzieren.
Sudendey: Von einer pauschalen Verkürzung antibiotischer Behandlungen ist dringend abzuraten! Zum einen gibt es klare gesetzliche Vorgaben. Danach ist bei jedem Medikament die gesetzlich vorgeschriebene oder die tiermedizinisch notwendige Behandlungsdauer einzuhalten. Zum anderen steigt die Gefahr von Resistenzen, wenn eine Antibiose zu kurz ausfällt. Die Neuregelungen im Arzneimittelgesetz zielen daher nicht nur auf die Senkung des Antibiotika-Einsatzes ab. Es geht vielmehr um die Vermeidung von Resistenzen, die auch im Human-bereich zu ernsthaften gesundheit-lichen Problemen führen könnten.
Ist es sinnvoll, Präparate mit nur einem statt mehrerer Wirkstoffe zu nutzen?
Schröder: Antibiotische Präparate mit mehreren Wirkstoffen sind heute eher selten. Das Potenzial, die Therapie-Häufigkeit auf diesem Weg zu drücken, ist daher gering. Zudem ist die Auswahl der Wirkstoffe nicht willkürlich, sondern indikationsbezogen. Das heißt: Deutet die Diagnostik auf mehrere Erreger, müssen wir u.U. ein Kombipräparat einsetzen, um alle Keime zu treffen. Gibt es mehrere, gleichstarke Wirkstoffe, können Präparate mit kürzerer Einsatzzeit helfen, die Therapie-Häufigkeit zu senken. Im Vordergrund ist stets die Wirksamkeit.
Sudendey: Wichtig ist erneut die gezielte Diagnostik. So können wir bei rein viralen Infekten auch vorrangig mit Entzündungshemmern und Schmerzmitteln arbeiten. Hinterfragen sollten wir außerdem die Applikation. So kann es je nach Krankheitsgeschehen und Gruppengröße sinnvoll sein, die Tiere per Injektion statt oral zu behandeln. Oft lässt sich der Antibiotika-Einsatz so vermindern.
Besteht die Gefahr, dass notwendige Behandlungen künftig ausbleiben?
Tenhündfeld: Ja, die Gefahr besteht. In Dänemark und Holland wird der Einsatz von Antibiotika bereits seit einigen Jahren reglementiert. Unter diesem Druck haben die Betriebe versucht, phasenweise oder ganz auf Antibiotika zu verzichten – teils mit fatalen Folgen. Landwirt und Hoftierarzt müssen dafür sorgen, dass dies in Deutschland nicht passiert. Kranke Tiere müssen behandelt werden. Wichtig ist zudem das Verständnis der Behörden. Denn auch in Betrieben mit stabiler Tier-gesundheit kann die Therapie-Häufigkeit bei Problemen schnell steigen.
Sollte der Tierarzt auch zu Fütterung, Klima, Genetik beraten?
Sudendey: Um die komplexen Fragen rund um Antibiotika anzupacken, brauchen wir eine enge Zusammenarbeit mit der produktionstechnischen Beratung. Als Hoftierarzt sehe ich mich als Schaltstelle zum Fütterungs- oder Klimaberater. Bei Problemen empfehle ich dem Landwirt, einen Experten für das jeweilige Gebiet hinzuzuziehen. Welche Maßnahmen erfolgen, entscheidet letztlich der Betriebsleiter.
Mit wie vielen Maßnahmen soll der Betrieb starten?
Schröder: Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tiere haben oberste Priorität. Das heißt: Wir müssen aufgedeckte Schwachstellen sofort anpacken. Um den Überblick zu verbessern, ist eine Einteilung in kurz- und mittelfristige Ziele ratsam. Wichtig ist auch, dass die Maßnahmen bezahlbar bzw. wirtschaftlich sind.
Wie sind die Maßnahmen gegenüber der Behörde zu dokumentieren?
Sudendey: In Nordrhein-Westfalen haben Hoftierärzte in Abstimmung mit den Behörden einen dreiseitigen Vordruck für einen Maßnahmenplan entwickelt. Diesen können Landwirt und Tierarzt Punkt für Punkt abarbeiten. Die Vorlage lässt Spielraum, um den Maßnahmenkatalog betriebsindividuell anzupassen. Eine Bundes-Verordnung zum Maßnahmenplan ist im NRW-Plan berücksichtigt.
Der Antibiotika-Einsatz soll sinken. Fehlen den Tierärzten dann nicht Umsätze?
Schröder: Der Umsatzanteil der Antibiotika ist vergleichweise gering. Rückgänge in diesem Bereich sind daher zu verkraften. Gleichzeitig kommen durch die neuen gesetzlichen Vorgaben zusätzliche Aufgaben hinsichtlich Dokumentation und Beratung auf die Tierärzte zu. Diese rechnen wir nach Gebühren-Ordnung ab. Bei den Landwirten sehen wir eine zunehmende Bereitschaft, für gute tierärztliche Beratung auch zu bezahlen.
Wie müssen sich die Tierarztpraxen auf die neuen Aufgaben einstellen?
Tenhündfeld: Die Betreuung moderner Schweinebetriebe wird komplexer. Das macht die intensive Aus- und Fortbildung in der Schweinemedizin noch wichtiger. Fundiertes Wissen zur Fütterung, Haltung, Zucht, Stalltechnik und Management zeichnen den tierärztlichen Spezialisten aus. Ge-fragt sind auch gut funktionierende Netzwerke mit Schweinegesundheitsdiensten, Beratern und anderen Tierärzten. Bei Spezialfragen müssen externe Experten mit ins Boot.