Neben der Wurfgröße rücken heute zunehmend Merkmale wie Verhalten und Mütterlichkeit in den Fokus. SUS sprach mit Dr. Hubert Henne und Dr. Barbara Hellbrügge über neue Ansätze in der Zucht. SUS: Das BHZP hat in den zwei Ausgangslinien Landrasse und Large-White züchterisch die Wurfleistungen verbessert. Wie groß ist der genetische Trend? Henne: Wir haben in den letzten sechs Jahren erheblichen Wert auf dieses Merkmal gelegt und liegen aktuell bei jährlich plus 0,3 bis 0,4 leb. geb. Ferkel pro Wurf. Trotz steigender Wurfgröße sind Totgeburtenrate und Streuung der Geburtsgewichte innerhalb des Wurfes, die einen wichtigen Indikator für die Aufzuchtleistung darstellen, gleich geblieben. SUS: Wie haben Sie dies sichergestellt? Henne: Indem wir lebend geborene und nicht gesamt geborene Ferkel im Fokus haben. Zudem werden bei uns die individuellen Geburtsgewichte erfasst. Der Fruchtbarkeitsindex ist so eingestellt, dass die Streuung der Geburtsgewichte innerhalb der Würfe trotz der größeren Würfe nicht zunimmt. SUS: Wie sind aktuell die verschiedenen Merkmale im Zuchtwert gewichtet? Henne: Die Gewichtung für das Merkmal Wurfgröße liegt bei den zwei Ausgangslinien zwischen 37,5 und 42,5 %. Hinzu kommt die Aufzuchtleistung mit 10 % Gewichtung, wo unter anderem auch die Ausgeglichenheit der Würfe einfließt. Die Zahl der funktionsfähigen Zitzen sowie Anomalien werden mit jeweils 5 % bewertet. Zudem wird die Nutzungsdauer der Sauen mit 12,5 % berücksichtigt. SUS: Welche Bedeutung haben Mast- und Schlachtleistungen? Henne: Zunahme und Futterverwertung werden zusammen mit 22,5 % bewertet. Die Gewichtung für die Fleischleistung ist bei der Landrasse mit 2,5 % so eingestellt, dass das derzeitige gute Niveau gehalten werden kann. Zumindest bei der Landrasse sehen wir keine Beziehung zwischen Rückenspeckdicke und Fruchtbarkeitsleistungen, bei Large-White schon eher. Hier gewichten wir die Fleischleistung mit 7,5 % im Gesamtzuchtwert. SUS: Warum beschäftigt sich das BHZP jetzt zusätzlich mit Verhaltensmerkmalen? Hellbrügge: Wir brauchen eine arbeitswirtschaftliche Sau, die bei möglichst wenig individueller Betreuung viele Ferkel aufzieht. Durch die Einbeziehung von Verhaltensmerkmalen sind die Tiere in der Lage, flexibel und intelligent auf alle Anforderungen des Alltags zu reagieren. Das erleichtert die Arbeit mit den Tieren. Verhaltensmerkmale wie Umgänglichkeit, Temperament und Aggressivität spielen aber auch bei der Gruppenhaltung eine große Rolle, die ab 2013 für alle Betriebe vorgeschrieben wird. SUS: Sie wollen also friedliche und intelligente Sauen züchten, die weniger Erdrückungsverluste aufweisen? Hellbrügge: Die Tiere sollen zumindest lernbereit und gruppenverträglich sein. Und wir brauchen mütterliche Typen, die ruhig abferkeln sowie sich intensiv und ohne häufige Positionswechsel um ihre Ferkel kümmern. Auch sollte die Sau eine gewisse Gebrauchsfähigkeit unter Beweis stellen. Henne: Die Verhaltensmuster sind von Geburt an angelegt. Wir möchten möglichst früh die Grundstrukturen erkennen und Sauen, die sich auf neue Situationen einlassen können und sich in Extremsituationen flexibel und ausgeglichen zeigen, fördern. SUS: Wie erkennen Sie diese Sauen? Hellbrügge: Zum Beispiel mit Hilfe des Adaptationstests für Jungsauen, den wir im Basiszuchtbetrieb Ellringen fest installiert haben. SUS: Wie funktioniert dieser? Hellbrügge: Die Jungsauen werden in einer 20er-Gruppe an einer Abrufstation gehalten. Es wird beobachtet, ob diese die neue Umgebung friedlich erkunden oder auf Krawall aus sind. Wir registrieren Anzahl und Art der Attacken und werten aus, wann die Jungsau erstmals Futter abruft. Henne: Wichtig bei einem solchen Test sind standardisierte Bedingungen. Die Gruppe umfasst immer ca. 20 gleichaltrige Tiere einer Ausgangslinie, die neu zusammengestallt werden. SUS: Sind die ausgeglichenen, lernbereiten Jungsauen später auch die besseren Mütter? Henne: Nach unserer Beobachtung bekommen die anpassungsfähigen Sauen bessere Noten beim Abferkeln und ziehen mehr Ferkel groß. Dies wollen wir mit weiteren Versuchen untermauern. SUS: Wie wird das Verhalten der Sauen rund um die Geburt erfasst? Hellbrügge: In den Basiszuchtbetrieben werden alle Geburten benotet, wobei zwischen normaler/schneller Geburt, etwas verzögerter Geburt sowie Schwergeburt unterschieden wird. Natürlich erfassen wir auch Verhaltensstörungen wie Ferkelbeißen und werten die Ferkelverluste aus. SUS: Wird das Säugeverhalten erfasst? Henne: Ob die Sau die Ferkel lockt, so dass diese schnell das Gesäuge finden, die Sau ruhig mit den Ferkeln umgeht und sie fit ist und genügend Futter aufnimmt, fließt in die Bewertung „Gebrauchsfähigkeit“ ein. Es gibt Sauen mit guten Aufzuchtleistungen, die dennoch in diesem Bereich Probleme bereitet haben. Von einer solchen Sau werden zum Beispiel keine Eberferkel in die Eigenleistungsprüfung geschickt. SUS: Es geht also darum Negativtiere ausfindig zu machen und entsprechend mit Punktabzügen zu belegen, so dass diese und deren Nachkommen möglicherweise für die Basiszucht ausscheiden. Henne: Wir sind dabei, bestimmte Verhaltenstests auf den Basiszuchtbetrieben dauerhaft zu integrieren und die Ergebnisse in die Zuchtwertschätzung mit einfließen zu lassen. Wobei wir Fruchtbarkeit als ein Merkmalskomplex betrachten, wozu nach unserer Auffassung eben auch bestimmte Verhaltensmerkmale gehören. Welches positive Verhalten in welchem Maße erblich ist und wie entsprechende Merkmale in die Schweinezucht einbezogen werden können, werden wir zusammen mit der Universität Göttingen in einem vom BMEVL geförderten Projekt exakt untersuchen. SUS: Es wird also künftig keinen Zuchtwert „Verhalten“ geben. Henne: Wie gesagt, wir werden bei ordentlichen Erblichkeiten entsprechende Tests integrieren und die Ergebnisse in die Zuchtwertschätzung für z. B. Aufzuchtleistung einfließen lassen. SUS: Wie hat sich die Zucht in den Mutterlinien insgesamt verändert? Henne: Neue Tests, zum Beispiel der Eigenleistungstest für Eberferkel auf Station, und neue Merkmale wie Verbleiberate der Sauen spielen eine Rolle. Hinzu kommen diverse Verhaltenstests. Wir möchten z. B. mit jenen Jungebern weiterzüchten, die am besten auf Vollspaltenboden und bei einem Zunahmeniveau von über 1 000 g zurechtkommen. Wir möchten wissen, welche Sauenlinien länger auf den Betrieben durchhalten als der Schnitt und wie sich die Tiere in Extremsituationen und unter Stress verhalten. Dies sind neue Wege, bei denen nicht nur die Interessen der praktischen Landwirtschaft berücksichtigt, sondern parallel auch der Verbraucher- und Tierschutz verbessert werden. SUS: Wir danken für das Gespräch.