Regelmäßig schlagen Tierschützer Alarm: Die hohen Ferkelzahlen würden die Tierverluste in die Höhe treiben. Stimmt das? Was kann die Zucht leisten?
Heinrich Niggemeyer, SUS
Vor einigen Monaten warf die niederländische Tierschutzorganisation „Schweine in Not“ den Sauenhaltern vor, nicht genug gegen die Ferkelsterblichkeit im Abferkelstall zu tun. Sie behaupteten, es gäbe einen Zusammenhang zur gestiegenen Wurfgröße und forderten eine Obergrenze für die Anzahl lebend geborener Ferkel pro Wurf. Eine Sau verfüge über 12 bis 13 funktionsfähige Zitzen, daran müsste sich die Wurfgröße künftig orientieren.
Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wetterten die Aktivisten wochenlang in Radiospots gegen die aus ihrer Sicht zu hohen Ferkelverluste auf den Betrieben.
Auch bei uns werden immer wieder Stimmen laut, die ein Umdenken in der Zucht fordern. Die diesjährige Delegiertenversammlung der Bundestierärztekammer verabschiedete z.B. eine Resolution, in der schärfere rechtliche Regelungen für die Zucht gefordert werden.
Ferkelzahlen hoch, Verluste stabil
Der Protest richtet sich insbesondere gegen die Zucht der Holstein Frisian. Aus Sicht der beamteten Tierärzte wird hier auf eine zu hohe Milchleistung der Kühe nach der Geburt selektiert.
Schnell werden Parallelen zur Schweinezucht gezogen. So wird die These aufgestellt, dass Sauen, die 16 oder 18 Ferkel gebären, ebenfalls an ihre Grenzen kommen bzw. diese überschritten haben. Die Tierärzte fordern, die Zuchtziele neu zu formulieren sowie Vitalität und Nutzungsdauer stärker als bisher zu berücksichtigen.
In der Tat haben sich die Wurfleistungen in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Erzeugerringe Nord-, West- und Ostdeutschlands weisen mittlerweile durchschnittliche Wurfgrößen von über 14 lebend geborenen Ferkeln auf. Vor sechs bis acht Jahren lag dieser Wert im Schnitt noch unter 12 lebend geborenen Ferkeln.
Trotz des Leistungsschubes haben weder die Saugferkelverluste noch die Nutzungsdauer der Sauen darunter gelitten. Seit Jahren liegen die durchschnittlichen Ferkelverluste stabil bei 13 bis 15%. Und gestern wie heute schaffen die Sauen im Schnitt ihre vier bis fünf Würfe.
Allerdings muss festgehalten werden, dass es im Einzelfall doch zu größeren Problemen kommen kann. So gibt es durchaus Betriebe, die infolge höherer Wurfgrößen eine zunehmende Ferkelsterblichkeit und eine herabgesetzte Nutzungsdauer hinnehmen müssen.
Extremwürfe machen Probleme
Speziell auf diesen Betrieben bereiten die sehr großen Würfe Probleme. Auch früher gab es Sauen mit 16 bis 20 geborenen Ferkeln, allerdings nicht so häufig wie heute. Mit den großen Würfen erhöht sich die Anzahl Totgeburten. Die Geburtsdauer kann zum Problem werden und nicht zuletzt können die Geburtsgewichte nicht mehr reichen. Eine Sau kann nicht 16 oder gar 20 Ferkel gebären, die alle das Idealgewicht von 1,5 kg aufweisen.
Dies zeigen eindrucksvoll Untersuchungen am LVFZ Schwarzenau. Hier wurden Geburtsgewichte von rund 21000 Ferkeln mit dem Ziel ausgewertet, die wichtigsten Einflussfaktoren für das Auftreten untergewichtiger Ferkel zu ermitteln.
Im Schnitt wogen die Schwarzenauer Ferkel 1450 g, was als optimal angesehen wird. Während das Durchschnittsgewicht bei 12 Ferkeln 1500 g beträgt, erreichen Ferkel aus Würfen mit 16 oder mehr Ferkeln nur noch 1340 g oder darunter. Mit jedem zusätzlichem Fer-kel verringert sich das Durchschnittsgewicht um 40 g. Gleichzeitig nimmt mit steigenden Wurfgrößen der Anteil untergewichtiger Ferkel pro Wurf zu (siehe Übersicht 1 und 2). Von diesen 1000 g-Ferkeln überleben nur wenige. Es erreichen bestenfalls 40% das Mastendgewicht.
Andererseits berichten Praktiker, dass ein 1,2 kg-Ferkel, welches agil ist, bessere Überlebenschancen hat als ein mittelschweres Ferkel, das träge und ohne Orientierung ist. Es kommt immer auch auf die Vitalität der Ferkel sowie auf das Säugeverhalten der Mütter an.
Sicherlich will keiner Extreme, wobei eine gewisse Streubreite bei den Wurfgrößen nicht zu vermeiden und vereinzelt Ausschläge nach oben hinzunehmen sind. Das Ziel sollte aber sein, zumindest die Streuung der Gewichte innerhalb eines Wurfes zu reduzieren, damit die Ferkel gleich gute Startchancen bekommen.
Management deutlich verbessert
Nicht nur die Ferkelvitalität und die Mütterlichkeit der Sauen spielen eine Rolle, sondern auch das Management rund um die Geburt. Dieses ist verbessert worden, sodass heute deutlich mehr Betriebe sehr große Würfe betreuen können:
- Ein Großteil der Sauenhalter hat die Haltungs- und Fütterungsstrategien angepasst. So verfügen die Betriebe heute über größere Abferkelbuchten mit größeren Ferkelnestern.
- Etliche Sauenherkünfte verfügen heute über eine Zitze mehr als noch vor wenigen Jahren. Auch konnte die Milchleistung verbessert werden.
- Die Betriebe organisieren heute zeitaufwendige Geburtswachen und optimieren den Wurfausgleich, um allen Ferkeln eine reelle Chance auf ausreichende Biestmilchaufnahme zu geben.
- Viele Betriebe haben sich mit dem Ammenmanagement auseinandergesetzt und investieren hier sehr viel Zeit.
- Häufig werden die Saugferkel mit Ersatzmilch beigefüttert. Dies geschieht bei kleineren Betrieben oft per Hand, in größeren Sauenanlagen zunehmend vollautomatisch.
Als vorläufiges Fazit lässt sich festhalten, dass Ferkelverluste nicht allein eine Frage der Wurfgröße sind. So gibt es erfolgreiche Betriebe mit über 30 abgesetzten Ferkeln, die sehr niedrige Saugferkelverluste von 5% zu verzeichnen haben. Umgekehrt beklagen einzelne Betriebe, dass sie trotz unterdurchschnittlicher Wurfgrößen sehr hohe Ferkelverluste hinnehmen müssen.
Fokus auf Wurfqualität!
Das intensive Betreuen sowie die eingesetzten Techniken und Produkte, z.B. Ersatzmilch, haben ihren Preis. Insbesondere bei niedrigen Ferkelpreisen wird schnell die Frage aufgeworfen, ob diese Investitionen noch lohnen.
Das haben auch die Zuchtunternehmen erkannt. Da die meisten Sauengenetiken inzwischen das gewünschte Niveau in Bezug auf die Ferkelzahlen erreichen, haben viele Unternehmen die Gewichtung für das Merkmal Wurfgröße im Zuchtziel zurückgenommen. Hinzu kommt, dass es unerwünschte negative Beziehungen zu vielen Fitnessmerkmalen gibt, die heute zum Teil mit in das Zuchtziel der Unternehmen aufgenommen worden sind.
Unter diesen Vorzeichen müsste sich der Zuchtfortschritt in puncto Wurfgröße merklich abschwächen. Dass die Wurfgröße nicht mehr vorrangig im Fokus steht, zeigen auch Beispiele aus der Eigenremontierung. So kann ein sehr großer Wurf mit über 16 Ferkeln oder streuende Geburtsgewichte ein K.o.-Kriterium sein. Diese Sauen werden dann für die Reinzuchtbelegungen ausgeschlossen.
Bei all den Überlegungen zur optimalen Wurfgröße darf nicht vergessen werden, dass es immer auf die Ausrichtung des Betriebes ankommt. Wer nicht die Zeit aufbringen kann, große Würfe zu betreuen, sollte lieber mit einer Genetik arbeiten, die eine mittlere Fruchtbarkeit aufweist. So eignen sich z.B. für die Freilandhaltung besser jene Sauen, die robust sind und die etwas geringere Ferkelzahlen aufweisen. Ein Garant für weniger Ferkelverluste ist dies aber auch nicht, wie vergleichende Auswertungen zeigen.
Leistungsverzicht käme teuer
Fakt ist aber: Ein freiwilliger oder gar aufgezwungener Leistungsverzicht verteuert die Produktion. Dazu folgende überschlägige Berechnung: Mit ca. 14 lebend geborenen Ferkeln je Wurf ergeben sich bei durchschnittlichen Ferkelverlusten und Wurffolgen ca. 27,6 abgesetzte Ferkel je Sau und Jahr. Bei einer Wurfleistung von etwa 12 lebend geborenen Ferkeln verbleiben theoretisch 24,5 aufgezogene Ferkel je Sau und Jahr.
Bei einem Grenzgewinn je Ferkel von 35 € und einem Ausfall von gut drei Ferkeln ergäbe sich ein Grenzverlust von etwa 100 € je Sau. Selbst wenn die in der Wurfleistung limitierte Sau eine längere Nutzungsdauer aufweist, müssten diese Einbußen mit rund 3 € Mehrerlös je Ferkel kompensiert werden. Hochgerechnet auf das Mastschwein verteuert sich dann das Kilo Schlachtgewicht um 3,2 Cent.
Dies sollte bedacht werden, wenn im Rahmen einer Labelproduktion bewusst besondere, weniger fruchtbare Rassen eingesetzt werden sollen. Dies kann unter Umständen für das Marketing Vorteile haben, erfordert aber einen finanziellen Ausgleich für die teilnehmenden Betriebe.
Fazit
- Extreme Würfe mit über 20 Ferkeln machen Probleme, lassen sich jedoch züchterisch nicht gänzlich vermeiden.
- Spezialisierte Betriebe versuchen über intensive Betreuung, Wurfausgleich und zusätzlicher Milchversorgung bzw. Ammenhaltung die Saugferkelverluste stabil zu halten bzw. zu reduzieren.
- Einige Zuchtunternehmen haben aktuell die Gewichtung für Wurfgröße im Zuchtziel der Mutterlinien zurückgenommen. Heute spielt die Wurfqualität eine größere Rolle.
- Sind im Rahmen eines Labelprogrammes weniger fruchtbare Sauengenetiken vorgeschrieben, ist ein finanzieller Ausgleich zu schaffen.