Sauenhalterin Veronika Schmies aus Friesoythe setzt auf eine gute Arbeitsorganisation. Während ihr Vater die Aufzucht und Mast sowie den Ackerbau im Blick hat, kümmert sie sich zusammen mit zwei Azubis um die 650 Danzucht-Sauen des Betriebes. „Im Zwei-Wochen-Rhythmus umfassen die Abferkelgruppen rund 55 bis 60 Sauen. Das bedeutet, dass alle 14 Tage circa 500 Ferkel kastriert werden müssen“, erläutert die 30-Jährige.
Vor diesem Hintergrund beschäftigte sie sich intensiv damit, welche Auswirkungen das Verbot der betäubungslosen Kastration zum 1.1.2021 haben könnte. „Klar war, dass wir uns nicht erst kurz vor dem Stichtag um eine Lösung kümmern konnten“, so die Agraringenieurin.
Genau derselben Ansicht war der Schlachter und Fleischverarbeiter Böseler Goldschmaus aus Garrel, deren Erzeugergemeinschaft der Betrieb schon seit Jahrzehnten angehört. „Wir haben uns früh dazu entschieden, auch zukünftig das Fleisch chirurgisch kastrierter Tiere vermarkten zu wollen. Aus den Gesprächen mit den angeschlossenen Ferkelerzeugern heraus fiel dann die Wahl auf die Isoflurannarkose“, blickt Berater Stefan Busse von Böseler Goldschmaus zurück.
Als Testbetrieb fungiert
Um auch Erfahrungen für die Umstiegsberatung der anderen Betriebe in der Erzeugergemeinschaft zu sammeln, wurden auf dem Hof Schmies ab dem Frühjahr des vergangenen Jahres insgesamt vier Isoflurannarkosegeräte von verschiedenen Herstellern getestet. Die Ferkelerzeugerin entschied sich letztlich für das „Anastacia“ von der Firma GDO. „Bezüglich des Anwenderschutzes hatten wir angesichts der strengen Vorgaben der DLG und der Berufsgenossenschaft bei keinem Gerät Bedenken“, betonen Schmies und Busse.
Den Ausschlag für das Gerät des niederländischen Herstellers gab vor allem das Handling unterschiedlich alter bzw. schwerer Ferkel. Bei einer Leistung von annähernd 34 abgesetzten Ferkeln pro Sau und Jahr werden einige Ferkel verhältnismäßig leichtgewichtig geboren. Durch die individuell einstellbaren Gummibänder können auch diese Tiere sicher im Kastrationsstand fixiert werden. „Bei Geräten mit starren Bügeln können sich kleinere Ferkel relativ viel bewegen, was kontraproduktiv für das ordentliche Anliegen der Narkosemasken ist“, erläutert Produktionsberater Busse.
Sachkundenachweis
Die Gerätetests auf dem Betrieb wurden stets vom Bestandstierarzt begleitet. Um auch alleine die Isoflurannarkose anwenden zu dürfen, musste die Schweinehalterin erst einen entsprechenden Sachkundenachweis erbringen. Also nahm sie an einem von Böseler Goldschmaus organisierten zweiteiligen Lehrgang teil.
Zuerst wurde ein Theoriekurs mit mündlicher und schriftlicher Prüfung absolviert. Danach kastrierte Veronika Schmies auf dem eigenen Betrieb zusammen mit dem Bestandstierarzt 200 Ferkel unter Isoflurannarkose. Final erfolgte eine praktische Prüfung bei der LWK Niedersachsen, in dessen Zuge sechs Ferkel kastriert werden mussten.
Zusammen mit den Prüfungszertifikaten, ihrem polizeilichen Führungszeugnis und Gesellenbrief wurde dann der Sachkundenachweis beantragt. „Der Aufwand war nicht ohne. Außerdem dauerte die Ausstellung des Zertifikates mehrere Wochen, weil wir zu den ersten Antragsstellern in Niedersachsen zählten“, so Schmies. Pünktlich zum Jahresstart lag der Nachweis aber vor und inzwischen hat die Friesoytherin über 5000 Ferkel unter Isoflurannarkose kastriert.
Arbeitsroutinen angepasst
Für dieses Betäubungsverfahren sind laut Berater Stefan Busse Umstellungen in den Arbeitsroutinen vorzunehmen. So war es auch bei Schmies. Wie im alten Verfahren wird die Ferkelbehandlung zu dritt durchgeführt. Zunächst werden die Ferkel von den zwei Auszubildenden im Behandlungswagen gesammelt und die Ohrmarken eingezogen. Während die weiblichen Tiere anschließend wieder zurück in die Bucht gesetzt werden, verbleiben die Eber im Sammelbehälter und erhalten das schmerzstillende Arzneimittzel Metacam.
Zeitlich versetzt entnimmt Veronika Schmies die Tiere und führt diese in das Narkosegerät ein. „Bei der Vierfach-Halterung passt es zeitlich ganz gut, dass nach der Fixierung des letzten Ferkels die Narkotisierung des zuerst fixierten Tieres durch ist“, schildert die Sauenhalterin. Das Gerät signalisiert ihr, wann die Narkose des Tieres abgeschlossen ist. Fällt der Reflextest negativ aus, wird das Tier kastriert.
Trotz dieser gut getakteten Arbeitsweise ist ein Mehraufwand nicht wegzudiskutieren. So wurden vor der Umstellung bei einer großen Behandlungsaktion die Ohrmarken eingezogen, Eisen gegeben, der Schwanz kupiert und die Kastration durchgeführt. Jetzt werden diese Behandlungen auf dem Sauenbetrieb entkoppelt von der Kastration zwei Tage eher durchgeführt.
Ferkel schnell wieder fit
Stefan Busse rät dazu, die Maßnahmen so aufzusplitten, um den Stress für die jungen Ferkel etwas zu verteilen. „Ich habe von Fällen gehört, wo die Kombination aus Isoflurannarkose und Eisengabe zu einem anaphylaktischen Schock bei den Tieren geführt hat. Bis zu 3% der behandelten Tiere sind daran verendet“, berichtet er. Dass Tiere nicht wieder aus der Narkose erwacht sind, hat Veronika Schmies noch nicht erlebt.
Eher bewertet sie die sehr kurze Aufwachphase als klaren Vorteil dieses Betäubungsverfahrens. „Circa zwei Minuten nach der Ablage auf der Wärmeplatte werden die Ferkel langsam wieder aktiv. Fünf Minuten später suchen sie schon das Gesäuge auf“, beobachtet die Ferkelerzeugerin. Allerdings verdünnt das Narkosemittel das Blut bzw. weitet die Arterien, weshalb die Kastrationswunde nach Einschätzung der beiden etwas stärker nachblutet als im betäubungslosen Verfahren.
Dass die Aufwachphase so kurz ausfällt, macht sie an der robusten Duroc-Genetik, aber in erster Linie an der gut ausbalancierten Isoflurankonzentration fest. Diese konnte der Gerätehersteller durch eine verfeinerte Anflutungstechnik absenken, ohne eine ausreichende Narkosetiefe zu gefährden.
„Ich kann über einen Knopf für jeden einzelnen Kastrationsplatz die fest eingestellte Anflutungsdauer des Isoflurans in 10-Sekunden-Schritten verlängern. Bis jetzt schliefen aber alle Ferkel nach den voreingestellten 70 Sekunden tief und fest“, berichtet die Landwirtin. Dass das Kastrieren unter Vollnarkose geräuschärmer abläuft und dadurch auch die Sauen während der Behandlungen deutlich entspannter sind, ist für Veronika Schmies ein schöner Nebeneffekt.
2 €-Aufschlag gerechtfertigt
Kostenseitig fallen neben den überschaubaren Betriebskosten für das Isofluran bzw. die Filter insbesondere die Anschaffungskosten für das Gerät und der zeitliche Mehraufand ins Gewicht. Im Vergleich zum betäubungslosen Verfahren braucht die Ferkelerzeugerin und ihre beiden Azubis rund anderthalb Stunden länger für die Kastration der circa 500 Ferkel.
„Wegen der entkoppelten Eisengabe haben wir die Tiere einmal öfter in der Hand. Nicht zu vergessen die Nachbereitung“, so die Schweinehalterin. Nach der Behandlung wird das nicht verbrauchte Isofluran aus dem Verdampfer zurück in die Arzneimittelflasche abgelassen und vor dem Zugriff Unbefugter gesichert. Der Kastrationsstand wird zum Teil auseinandergebaut, um ihn zu reinigen und zu desinfizieren. Die Narkosemasken hygenisiert Schmies in einem Eimer mit warmen Wasser und Geschirrreiniger.
Zudem muss sie vom Display des Narkosegerätes oder aus der App-Anwendung ablesen, wie viele Tiere an diesem Tag kastriert worden sind, und dies mit Unterschrift dokumentieren. Auch Narkosezwischenfälle, wie nicht wieder aufgewachte Tiere oder abgebrochene Narkosen müssen erfasst werden.
Seit Anfang März erhalten Schmies den FEKANA.DE-Qualitätsbonus, der für die tierschutzgerechte Kastration unter Narkose von in Deutschland geborenen Ferkeln gezahlt wird. „Angesichts des Aufwandes ist dieser 2 €-Aufschlag pro geliefertem Ferkel auch nötig“, betont Produktionsberater Stefan Busse.