Fleischunternehmen verlangen „Krisen-Zuschlag“​ ​ ​

Die Kosten für Energie, Logistik und landwirtschaftliche Produkte haben seit Ausbruch des Ukraine-Krieges massiv angezogen.

Deutschlands größter Fleischproduzent, Tönnies Foodservice, sorgt sich wegen der stark gestiegenen Rohstoffpreise und des Ukraine-Krieges um die Versorgungssicherheit bei Fleisch und Wurst. In einem „Not-Brief“ an seine Kunden sprach das Unternehmen davon, dass „die Grenze des wirtschaftlich vertretbaren jetzt endgültig übertroffen“ sei und verlangte vom Handel eine sofortige Anhebung der Preise. Es berief sich dabei auf „höhere Gewalt“ durch den Ukraine-Krieg. Die Kosten für Energie, Logistik und landwirtschaftliche Produkte haben seit dem russischen Angriff massiv angezogen. Laut Tönnies machten Strom- und Gasanbieter von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch. Auch die Beschaffung von Frittierfetten, Paniermehlen und Senfmehl mache Probleme, und es fehlten ukrainische Fahrer für die Logistik. Die Futtermittelpreise explodierten. Dies und weiteres führe zu einer „Störung sämtlicher bestehender Geschäftsgrundlagen“. So fehlten rund 3 000 t Hähnchenbrustfilets, die sonst wöchentlich von der Ukraine geliefert würden, ebenso Futtermittel aus dem Land. Lieferausfälle seien daher nicht mehr zu verhindern. „Vorhandene Kontrakte werden gekündigt und entsprechende Lieferungen nachverhandelt", kündigte Tönnies gegenüber dem Handel an. Dramatisch ist laut dem Fleischhersteller auch die Situation am Rindermarkt. Die Preise für kaum verfügbare Schlachtrinder, vor allem Kühe, seien auf ein Allzeithoch gestiegen. Aufgrund der Knappheit der Tiere sei auch hier die Versorgung nicht sicherzustellen - es gebe einfach kein Schlachtvieh. Bei Schlachtschweinen sind dem Unternehmen zufolge die Preise innerhalb weniger Wochen um 45 % nach oben gegangen; aktuell sind es sogar 54 %. Die Einkaufspreise für Schultern, Lachse, Schinkenteile und Abschnitte hätten sich massiv verteuert und damit die Kalkulationen der Branche weiter verschlimmert. Wegen der kriegsbedingt stark gestiegenen Getreidepreise habe es eine Rekordverteuerung bei der Schweineerzeugung gegeben, die zu weiteren Erzeugerpreissteigerungen führen werde.

Um die Zukunft des Unternehmens zu schützen, so Tönnies, sei der Zeitpunkt gekommen, für diese ausnahmslose und durch höhere Gewalt getriebene Sondersituation in nunmehr allen Bereichen mehr gemeinsames Verständnis zu zeigen. Aufgrund der Knappheit der Schlachttiere bestehe die konkrete Gefahr, kurzfristig aus der Versorgungsfähigkeit zu laufen. Bei Rindfleisch drohten bis Ostern die Schlachttiere auszugehen, die „nur mit enormem finanziellen Mehraufwand an uns gebunden werden können“. Aus diesem Grund werde in aller Dringlichkeit darum gebeten, jetzt einen partnerschaftlichen Abschluss über Preisänderungen für alle Fleischarten umzusetzen.

Die Westfleisch in Münster wandte sich ebenfalls in einem Schreiben an ihre Kunden und kündigte aufgrund der stark gestiegenen Energiekosten ab vergangener Woche einen Aufschlag von 6,8 Cent/kg für Schweinefleisch und von 6,9 Cent/kg für Rindfleisch an. Dieser Aufschlag werde wöchentlich überprüft und gegebenenfalls angepasst. Grund für diesen Schritt sind laut Westfleisch die in dieser Form nicht zu erwartenden Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten, die auf allen Produktionsstufen für enorme Kostensteigerungen sorgten. Insbesondere die Verteuerung für alle Energiearten entzöge sich seit Beginn des Ukraine-Krieges in Höhe und Planbarkeit „unseren üblichen Kalkulationen“, so das Unternehmen. Presseberichten zufolge erhebt auch der niederländisch-deutsche Fleischhersteller Vion seit vergangenem Montag einen „Krisen-Zuschlag“, der sich auf 5,2 Cent/kg Fleisch belaufen soll. Der zweitgrößte deutsche Wursthersteller The Family Butchers (TFB) klagte kürzlich in einer Anzeige in der „Lebensmittel Zeitung“ ebenfalls über eine Kostenexplosion bei den deutschen Wurst- und Schinkenproduzenten, die existenzbedrohende Ausmaße annehme. Handel und Hersteller müssten die Krise gemeinsam bewältigen und fair miteinander bleiben - insbesondere, wenn es um Preiserhöhungen gehe.

Das Vorstandsmitglied des Verbandes der Fleischwirtschaft (VDF) und Leiter Qualitätsmanagement bei Tönnies, Dr. Gereon Schulze Althoff, erklärte indes in einem Interview mit dem Nachrichtensender Welt, dass „Fleisch teurer, aber kein Luxusgut“ werde. Er wies darauf hin, dass die Erzeugerpreise in weniger Wochen um mehr als 50 % gestiegen seien, Schlachtvieh knapp werde und sich entsprechend die Einstandskosten für die Fleischhersteller erhöht hätten. Wegen des Anstiegs weiterer Produktionskosten, vor allem Energie, seien mit dem Handel intensive Gespräche zu Preisanpassungen aufgenommen worden. „Es geht darum, gemeinsam verantwortlich in der Kette zu handeln und die Versorgungsicherheit herzustellen“, so Schulze Althoff. Eine Abkehr vom Fleischkonsum sei jedoch keine gute Lösung, denn „Nutztiere sind nicht nur ein Lieferant für Fleisch, sondern auch ein ganz wichtiger Lieferant für Dünger“. Die oft verschriehene Gülle sei ein Naturdünger schlechthin, der von den Ackerbauern benötigt werde. Der Ukraine-Krieg verknappe nämlich nicht nur das Getreide, sondern genauso den Zugang zu Kunstdünger. Etwa ein Drittel des eingesetzten Düngers in Deutschland sei mineralischen Ursprungs, der mit sehr viel fossiler Energie produziert und jetzt knapp und teuer werde. Ohne Tiere sei eine Pflanzenproduktion kaum möglich, betonte Schulze Althoff, weshalb Tierhaltung und Ackerbau untrennbar zusammengehörten. AgE


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