Der Umbau der Tierhaltung ist und bleibt ein Zankapfel. Die Finanzierung ist ebenso ungeklärt wie die Frage, wie man genehmigungsrechtliche Hürden beim Stallbau überwinden kann.
Inzwischen drängt sich auch die Frage auf, ob die Fleischproduktion in Tierwohlställen in Gänze betrachtet wirklich die Lösung ist. Denn im Hinblick auf die CO2-Emissionen schneiden höhere Haltungsformen nicht besser ab. Oft ist die Futterverwertung in dieser Haltungsform schlechter. Und das schlägt sofort negativ auf die CO2-Bilanz durch.
Und selbst in Teilen des Lebensmitteleinzelhandels gibt es mittlerweile kritische Stimmen. Supermarktbetreiber berichten, dass Tierwohlfleisch nicht in der Menge zu verkaufen ist, wie uns vielfach weisgemacht wird. Der ein oder andere Mutterkonzern soll seine Tierwohlstrategie angeblich schon überdenken. Eine Ausnahme sind die beiden großen deutschen Discounter. Sie halten unbeirrt an ihren Tierwohlzielen fest und sagen das auch ganz deutlich.
SUS hat vier Experten aus der Wertschöpfungskette Fleisch gefragt, wie sie die Situation einschätzen.
Ziele nachjustieren!
Dr. Wilhelm Uffelmann, CEO Westfleisch
Beim Tierwohl spricht vieles für eine Neuausrichtung der gesteckten Ziele. Denn nach mehr als fünf Jahren intensiver Diskussion zeigt sich, dass Wunsch und Wirklichkeit nicht zusammenpassen.
Wir haben eine „Bürger-Konsumenten-Lücke“. Der Kunde kauft anders als er sagt. Dafür kann der Handel nichts. Er versucht nur, den zeitgeist-, politik- und gesellschaftsgetriebenen Wunsch nach besseren Haltungsbedingungen umzusetzen.
Der Handel entscheidet aber immer auch auf Basis von Fakten. Im LEH ist die objektive Auswertung von Bons, Flächenproduktivität und Abschriften das Maß für Entscheidungen. Weitere Parameter sind die Häufigkeit und die Effizienz von Sonderaktionen und die Analyse des Käuferpotenzials. Das lässt keinen Spielraum für ideologische Ansichten.
Beim Tierwohl ist es nicht anders als in anderen Produktgruppen: Am Ende des Tages muss der Konsument die Mehrleistung der Kette würdigen. Es kann nicht sein, dass die Systemkosten für diese gesamtgesellschaftliche Idee in der Gewinn- und Verlustrechnung von Westfleisch oder der Bauern hängen bleiben.
Entscheidend ist, nur so viel Tierwohlfleisch zu produzieren, wie der Markt verträgt.
Deutsche Herkunft zählt
Christoph Graf, Geschäftsleiter Ware, Lidl
Lidl in Deutschland hält Wort: Wir bauen unser Angebot an Tierwohlfleisch auch in Zukunft kontinuierlich aus. Neben Frischfleisch stellen wir sukzessive auch bei den von uns angebotenen Wurstwaren auf höhere Haltungsformen um.
Wir bekennen uns dabei ausdrücklich zur deutschen Landwirtschaft und zu regional produzierten Produkten.
Für uns ist außerdem wichtig: Wir stellen die Artikel nur dann auf Haltungsformstufe 3 um, wenn wir die benötigten Rohstoffe aus Deutschland beziehen können.
In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass die Warenverfügbarkeit gewährleistet sein muss. Jetzt ist die Politik gefragt, die Voraussetzungen für den Umbau der Tierhaltung hin zu höheren Haltungsformstufen zu schaffen.
Wir bei Lidl in Deutschland setzen bei der Weiterentwicklung der Haltungsformstufen auf ein flächendeckendes 5 x D-Angebot.
Unter der Eigenmarke „Metzgerfrisch“ bieten wir nur Schweine-, Rind- und Geflügelfrischfleisch an, bei dem die Geburt, Aufzucht, Mast, Schlachtung und Verarbeitung in Deutschland erfolgt.
Das ist ein wichtiger Baustein für die Unterstützung der heimischen Nutztierhalter.
LEH greift im Ausland zu
Prof. Dr. Thomas Vogler, TH Ingolstadt
Insbesondere die großen Discounter überbieten sich regelmäßig damit, noch mehr Tierwohlfleisch listen zu wollen. Damit will man sich vom Wettbewerber und den Vollsortimentern abgrenzen.
Das setzt die Fleischlieferanten mehr und mehr unter Druck, Fleisch aus Haltungsform 3 und 4 zu liefern. Weil die Landwirte ihre Ställe aber nicht umbauen, entsteht eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage, die momentan wächst.
Viele fragen sich jetzt: Wie reagiert der Handel? Als Experte für Handelsmanagement ist die Antwort klar: Im Zweifel wird die Tierwohlware im Ausland eingekauft. Denn der LEH will die beworbenen Sortimente jederzeit anbieten können.
Für den Lebensmitteleinzelhandel ist es am Ende zweitrangig, woher die Ware stammt. Wichtig ist den Handelsunternehmen nur, dass die Qualitätsanforderungen wie zum Beispiel Bio oder Haltungsform eingehalten werden.
Bereits heute wird Bioobst und -gemüse aus verschiedenen Kontinenten importiert, um die erforderliche Menge bei vordefinierter Qualität zu sichern.
Erfüllen ausländische Züchter die definierten Anforderungen an die jeweiligen Haltungsformen, ist der Handel zufrieden.
Das Vertrauen fehlt
Rudolf Borghoff, LWK Nordrhein-Westfalen
Landwirte sind bereit, in Tierwohl zu investieren. Dazu benötigen sie aber feste Planungsgrundlagen und eine angepasste Vergütung.
Die aktuell hohe Nachfrage nach Schweinen aus Haltungsstufe 3 und 4 (HF) seitens der Schlachter stößt auch deshalb auf einen geringen Umbauwillen, weil Bauern die Situation vor zwei Jahren noch gut in Erinnerung haben.
Damals wurden Tierwohlschweine plötzlich nicht mehr nachgefragt und Verträge vorzeitig gekündigt. HF 3- und 4-Tiere werden nur produziert, wenn Handel und Schlachter in Vorleistung gehen und verlässliche, langfristige Kontrakte anbieten.
Hinsichtlich der Vergütung spielen die einzelbetrieblichen Gegebenheiten eine große Rolle. Wenn Betrieb A Tierwohlfleisch für „nur“ 20 Cent mehr je kg SG produzieren kann, heißt das noch lange nicht, dass Betrieb B das auch kann.
Insbesondere die Investitionskosten für das Gebäude und die zusätzlichen Arbeitskosten werden oft unterschätzt. Beim Tierwohl entscheiden die Vollkosten, ob sich der Einstieg lohnt! Nicht die Direktkostenfreie Leistung.
Wirtschaftlich interessant kann der Einstieg in die höheren Haltungsformen derzeit für kleinere Einheiten sein. Hier ist das Risiko überschaubar.