Was kann Künstliche Intelligenz (KI) in der Zucht leisten?
Daten spielen in der züchterischen Arbeit eine wichtige Rolle, um Zuchtfortschritte zu erzielen. Neben dem Austausch und der Interpretation von Entwicklungsdaten zur Schätzung von Zuchtwerten bieten technische Hilfsmittel wie Kameras mehr Möglichkeiten für objektive Beobachtungen und die Entwicklung neuer Merkmale. Wir nennen das die digitale Selektion.
Wie weit sind Sie schon?
Die digitale Selektion steckt noch in den Kinderschuhen. Da sehr viele Möglichkeiten denkbar sind, arbeiten wir seit 2020 mit Prof. Dr. Tomas Norton von der Universität Leuven in Belgien zusammen. Er ist Experte für Precision Livestock Farming. Zudem beschäftigt PIC derzeit zwei Ingenieure, die sich ausschließlich mit der Umwandlung von Videobildern in verwertbare Daten beschäftigen.
Wo nutzen Sie die digitale Selektion bereits?
Wir nutzen diese neuen Werkzeuge, um die Fundamente von Jungsauen und Ebern zu bewerten. Bislang arbeiteten wir mit einer linearen Fundamentbewertung, bei der erfahrene Mitarbeiter die Jungsauen auf einer Skala von 1 bis 10 beurteilen. Die ideale Bewertung für die Vorderhand liegt bei 5 bis 6, für die Hinterhand zwischen 5 und 10. Gute oder schlechte Klauen und Beinstellungen sind leicht zu erkennen, aber der Unterschied zwischen einer 4 und einer 5 kann subjektiv sein. Jetzt bewertet die KI das Fundament und das Gangbild. Das ist objektiver.
Wie genau funktioniert das?
Wir lassen die Jungsauen am Ende der Eigenleistungsprüfung an einer Kamera vorbeilaufen, die Videos aufzeichnet. Ausgehend von einer Reihe wichtiger Gelenke wie Schulter, Hüfte und Beine wurden mehrere Messpunkte am Schweinekörper festgelegt. Durch die Verknüpfung dieser Punkte mithilfe einer Software kann die Technik bestimmen, wie sich das Schwein bewegt. Die Punktzahl wird anhand von Algorithmen ermittelt, die auf den Punktzahlen der besten menschlichen Selekteure basieren. Je mehr Schweine bewertet werden, desto weiter wird das System optimiert.
Was ist der nächste Schritt?
Wir wollen Stand und Gang einer Jungsau mit ihrer Langlebigkeit in Verbindung bringen. Wie gehen die Tiere und wie lang sind ihre Schritte? Wir möchten, dass sie lange Schritte machen. Bei Kühen kann man die Schulter- und Hüftknochen gut sehen, sodass man die Schrittlänge leicht bestimmen kann. Bei Schweinen ist das schwieriger.
Wir messen deshalb die Schrittlänge und die Fortbewegung anhand vieler aufgezeichneter Punkte am Körper und hoffen, dass wir damit die Lebensspanne eines Schweins vorhersagen können. Die Jungsauen, deren Fundamentbewertungen und Bewegungen digital erfasst wurden, werden während ihres gesamten produktiven Lebens verfolgt.
Werden Sie auf dieser Grundlage Linien für die Zucht oder Vermehrung auswählen?
Die KI bietet Optionen für die Selektion auf der Grundlage dieser Merkmale. Vor allem da Robustheit und Langlebigkeit so wichtig sind. Mit diesen Daten können wir die Langlebigkeit von Sauen und KB-Ebern genauer vorhersagen. Der nächste Schritt besteht darin, die Art und Qualität der Fortbewegung in die Langlebigkeitsprognose einzubeziehen. So erhalten wir eine direkte Schätzung für eine Jungsau, die viel früher vorliegt als eine Schätzung auf der Grundlage einer F1-Sau und ihrer Nachkommen, oder eines bestimmten Ebers, bei der man 2,5 bis drei Jahre auf Ergebnisse warten muss. Das Generationsintervall wird also immer kürzer.
Welche Betriebe arbeiten bereits damit?
Ende 2022 haben wir die lineare Fundamentbewertung in den USA und Kanada durch die digitale Selektion ersetzt. Dieses Jahr sollen alle anderen Länder folgen. Letztlich wird jeder Nukleusbetrieb ein Kamerasystem in seinem Stall haben.
Wo kann die digitale Selektion noch angewendet werden?
Ein zweiter Schritt kann das Verhalten sein. Die Beurteilung des Verhaltens ist nach wie vor extrem schwierig. Man könnte jemanden in ein Abteil setzen, der dann dokumentiert, was die Schweine tun. Aber das kostet viel Zeit und ist in der Praxis unmöglich.
Welche Herausforderungen gibt es?
Man muss die Schweine zweifelsfrei identifizieren. Die Radiofrequenz-Identifikation (RFID) kann das leisten, die große Frage ist dann allerdings, wie man die RFID mit dem Video und der Dauer der Aufnahmen verknüpft.
Derzeit lesen wir die Ohrmarken über die Kamera. Die Software ist so genau, dass sie sogar Zahlen lesen kann, die wir Menschen aufgrund von Schmutz oder einem hängenden Ohr nicht richtig sehen können.
Wie funktioniert die Verhaltensforschung?
Wir haben Verhaltensweisen der Tiere festgelegt und nach Mustern gesucht, indem wir eine Verbindung zu den Tiernummern hergestellt haben. Aus den Videos ging zum Beispiel hervor, dass Schweine vor 10.00 Uhr morgens fressen und nach 22.00 Uhr ruhen. Das heißt, man kann die Tröge zwar abends befüllen, aber nach 22.00 Uhr werden sie nicht mehr leergefressen.
Auch das Liegeverhalten kann die Künstliche Intelligenz lesen, zum Beispiel ob ein Schwein auf dem Bauch oder auf der Seite liegt. Ebenso können wir die Interaktionen zwischen den Tieren anschauen. Das kann bei Schwanzbeiß-Problemen helfen, den Beißer schneller zu finden.
Mehrere Firmen wollen mit Kameras die Gewichte bestimmen. Wie sehen Sie das?
Aus genetischer Sicht ist das aktuell weniger interessant. Für viele Praktiker ist es hingegen bedeutsam. Letztlich kann eine Kamera alles übernehmen, was man mit dem bloßen Auge beurteilen kann, vorausgesetzt, man hat die entsprechende Software. Dann sind die Möglichkeiten endlos.
Gibt es auch Grenzen?
Das sind in erster Linie die Kosten. Für uns als Zuchtunternehmen ist eine so große Investition möglich, weil sie eine Reihe von Menschen ersetzen kann. Aber das gilt nicht für einen einzelnen Betrieb.
Fazit:
- Die digitale Selektion macht inzwischen deutliche Fortschritte.
- PIC nutzt Künstliche Intelligenz (KI) für die Fundamentbewertung.
- Eine Software verknüpft dafür Messpunkte am Schwein und bestimmt, wie sich das Tier bewegt.
- Ziel ist, mit der Fundamentbewertung die Langlebigkeit zu schätzen.
- Die KI kann man auch zur Bewertung von Verhalten nutzen.
- Wichtig ist, die Tiere eindeutig zu identifizieren.
Dieses Interview erschien zuerst in der niederländischen Fachzeitschrift Boerderij.