Was macht die Sau zur guten Mutter? Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler, Branchenvertreter sowie Landwirte immer mehr. Verschiedenste Verhaltensparameter gewinnen in der Schweinehaltung an Bedeutung. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zum einen erleben Sauenhalter derzeit maßgebliche gesetzliche Änderungen, da Tierschutzthemen auch auf gesellschaftspolitischer Ebene immer mehr in den Fokus rücken. In Deutschland wird z.B. der Umbau des Deckzentrums in Gruppenhaltung sowie das Umrüsten auf Bewegungsbuchten gefordert. In Österreich sind im Abferkelstall ab 2033 nur mehr Bewegungsbuchten mit temporärer Fixierung erlaubt. Zum anderen gilt es Ferkelverluste zu minimieren, um die Wirtschaftlichkeit, aber auch das Wohlergehen von Sau und Ferkel zu verbessern.
Bei Saugferkeln zählt das Erdrücken zu den häufigsten Verlustursachen, gefolgt von Verhungern sowie stark eingeschränkter Ferkelvitalität. In unterschiedlichen wissenschaftlichen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass Erdrückungsverluste in freien Abferkelsystemen höher sind als in Buchten mit Fixierung. Somit werden künftig im Hinblick auf die oben genannten Veränderungen in den Haltungssystemen robuste Muttertiere mit bestem Fundament und Gesäuge gefragt sein. Gleichzeitig müssen die Sauen gute Muttereigenschaften zeigen und einfach zu handeln sein. Zudem sollten sich die Wurfgrößen in einem optimalen Bereich befinden und die Ferkel mit möglichst einheitlichen Geburtsgewichten zur Welt kommen.
Doch welche Anforderungen stellen Praktiker an eine gute Muttersau? Ergebnisse einer Befragung von 33 Züchtern aus dem Jahr 2017 mit insgesamt 103 Nennungen geben eine Antwort. So sind den Praktikern insbesondere ein ruhiges Wesen bzw. problemloses Handling wichtig. Auch das Verhalten während der Geburt spielt für viele eine große Rolle.
Mütterliches Verhalten
Verhaltensforscher definieren ein sogenanntes Ethogramm, um Qualität und Quantität von Verhaltensmerkmalen zu beschreiben. Sprechen wir von Muttereigenschaften, sind das viele komplex miteinander in Beziehung stehende Merkmale, die die Sau vor allem wenige Stunden vor der Geburt bis viele Tage nach der Geburt zeigt. Vor der Geburt stellt ausgeprägtes Nestbauverhalten ein wichtiges Merkmal dar; während der Geburt ist vor allem ruhiges Abferkelverhalten von großer Bedeutung. Nach der Geburt spielen Verhaltensweisen, die dem Schutz der Ferkel dienen, eine tragende Rolle. Dazu gehören das Versammeln der Ferkel im Sichtbereich der Sau sowie die Kommunikation zwischen Sau und Ferkel vor dem Abliegen.
Wichtig ist ferner ein behutsames Abliegen, ein ruhiges Säugeverhalten, eine rasche Reaktion auf Ferkelschreie sowie der Schutz der Ferkel vor Eindringlingen. Dieses beschützende Verhalten steht allerdings oft im Widerspruch zu einem einfachen Handling der Sau. Eine weitere ungewollte Verhaltensweise ist die Aggression der Sau gegenüber ihren Ferkeln. Dieses Verhalten tritt häufig bei Jungsauen auf und wird oftmals in Zusammenhang mit Furcht gebracht. Dies kann etwa durch die Umstallung in eine neue Umgebung, die ungewohnte Einzelhaltung in den Abferkelställen oder auch durch Schmerzen bei der Geburt bedingt sein. Bei der Betrachtung verschiedener Verhaltensweisen muss differenziert werden. Ist es eine Reaktion auf äußere Einflüsse oder handelt es sich um intrinsisch motiviertes Verhalten, welches durch eine innere Motivation der Sau erfolgt? So können z.B. Sauen mit schlechtem Fundament, Lahmheit oder Klauenfehlstellungen kein behutsames Abliegeverhalten zeigen, weil sie in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind. Ein weiteres Beispiel sind Wehenschwächen, die vor allem bei älteren Sauen auftreten, können zu einem unruhigen Abferkelverhalten führen. Auch können eine unzureichende Futteraufnahme bzw. Nährstoffunterversorgung oder auch Krankheiten wie Metritis-Mastitis-Agalaktie (MMA) zu Milchmangel oder schlechtem Säugeverhalten führen. Ein klassischer Hinweis auf diese Erkrankung ist das Liegen auf dem Gesäuge. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Sauen mit hohen Ferkelzahlen absichtlich Ferkel erdrücken, um Stress zu minimieren.
Daten aus 23 Zuchtbetrieben
Im Jahr 2017 haben österreichische Schweinezüchter und Wissenschaftler begonnen, sich züchterisch intensiv mit mütterlichen Verhaltensmerkmalen zu beschäftigen. Basierend auf der Befragung und bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wurden sechs mütterliche Verhaltensmerkmale definiert (siehe Übersicht 2, Seite 62). Hinzu kommen zusätzliche Informationen wie Hormongaben während der Geburt, manuelle Geburtshilfe oder das Vorliegen einer MMA-Erkrankung. Diese werden ebenfalls von den Züchtern aufgezeichnet. Auf diese Weise wurden während der Projektphase auf 23 Zuchtbetrieben Verhaltensdaten sowie die Fruchtbarkeitsdaten von gesamt 2002 Edelschwein-, Landrasse- und F1-Kreuzungssauen ein Jahr lang erfasst. Um den Einfluss des Fundamentes auf die Ferkelverluste zu prüfen, wurden alle Sauen von Mitarbeitern der Zuchtorganisation anhand von sieben Fundamentmerkmalen bewertet. Zur Berechnung der Heritabilitäten (h2), genetischen Korrelationen (rg) und der Schätzung der Zuchtwerte lagen insgesamt 2900 Datensätze vor. Zudem wurden 807 dieser Sauen SNP-genotypisiert, um eine genomweite Assoziationsstudie durchzuführen. Dabei wurden SNP-Marker gesucht, die in einem Zusammenhang mit den erhobenen Verhaltensmerkmalen stehen.
Ängstlichkeit ausschließen
Für das Merkmal Nestbauverhalten war die Erblichkeit (h2)mit einem Wert unter 0,002 so niedrig, dass dieses Merkmal nicht weiter forciert wird. Der Erblichkeitsgrad für das Verhaltensmerkmal „Aggressives Verhalten gegen Personen“ betrug 0,05 und die genetische Korrelation (rg) mit der Anzahl abgesetzter Ferkel wurde mit 0,42 geschätzt. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Sauen, die regelmäßig aggressives Verhalten gegenüber der Betreuungsperson zeigen, einen Beschützerinstinkt aufweisen. Dies könnte auf stärker ausgeprägte mütterliche Fähigkeiten schließen lassen, was schließlich auch die höhere Anzahl aufgezogener Ferkel bedingen könnte. In der genomweiten Assoziationsstudie wurde für dieses Merkmal eine Assoziation zu SNP-Markern auf oder in der Nähe der Gene DOCK4 und GPR85 gefunden. Beim Menschen stehen diese Marker mit der Anfälligkeit für Autismus-Spektrum-Störungen oder Schizophrenie und damit mit erhöhten Angstzuständen im Zusammenhang. Somit könnte eine Selektion auf weniger aggressive Sauen gleichzeitig die Selektion ängstlicher Sauen begünstigen.
Dies ist aus Sicht des Tierwohls jedoch unbedingt zu vermeiden, da ängstliche Sauen permanent einem höheren Stresslevel ausgesetzt und daher in ihrem Wohlergehen eingeschränkt sind. Daher spielte das Merkmal Aggressives Verhalten gegen Personen (Beschützerinstinkt) für weitere Überlegungen keine Rolle.
Index für Mütterlichkeit
Für die Merkmale Aggressives Verhalten gegenüber Ferkeln bzw. Abferkelverhalten konnte ein Erblichkeitsgrad von 0,03 bzw. 0,17 ermittelt werden. Die genetische Korrelation (rg) zur Anzahl abgesetzter Ferkel betrug -0,16 und die rg zwischen Abferkelverhalten und der Anzahl abgesetzter Ferkel lag knapp unter 0. Dagegen lag die genetische Beziehung zwischen „Gute Mutter“ (h2=0,07) und Anzahl abgesetzter Ferkel mit 0,67 in einem etwas höheren Bereich. Auch für Saugferkelverluste wurde ein Erblichkeitsgrad von 0,07 ermittelt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass mütterliche Verhaltensmerkmale zu einem kleinen Teil genetisch verankert sind. Somit hat die Umwelt einen weitaus größeren Einfluss auf das Verhalten. Dennoch stehen die Merkmale im Zusammenhang mit der betriebswirtschaftlich wichtigsten Kennzahl Anzahl abgesetzter Ferkel. Deshalb werden die Merkmale Aggressives Verhalten gegen Ferkel, Abferkelverhalten, Erdrückungsverluste sowie die Bewertung „Gute Mutter“ in einem Index kombiniert.
Neben den mütterlichen Verhaltensmerkmalen erfasst inzwischen ein Großteil der Zuchtbetriebe in Österreich die individuellen Geburtsgewichte und die Wurfvitalität. Seit einem Jahr wird der Wurfvitalitätsindex im Gesamtzuchtwert berücksichtigt. Durch die Einführung dieser beiden Indices Mütterlichkeit und Wurfvitalität schlagen die Züchter somit den Weg zu einem für künftige Herausforderungen gerüsteten Zuchtziel ein.
Fazit
23 österreichische Zuchtbetriebe haben sechs Verhaltensmerkmale rund um das Abferkeln erfasst:
- Aggressives Verhalten gegen Ferkel, Abferkelverhalten, Erdrückungsverluste sowie die Note für Gute Mütter fließen in einen neuen Index ein.
- Mütterliches Verhalten und Wurfvitalität sind wichtige Zuchtziele für künftige Herausforderungen.
- Nestbauverhalten und aggressives Verhalten gegen Personen werden nicht weiter forciert.
Autoren: Dr. Christina Pfeiffer und Dr. Katharina Schodl, BOKU Wien