Berlin will die Düngung bei hohen Nitratwerten im Grundwasser stark senken. Für den geplanten 20%-Abzug hagelt es Kritik.
Fred Schnippe, SUS
Kaum ein Thema beschäftigt die Schweinehalter in den Intensivregionen so sehr, wie die ge- plante Verschärfung des Düngerechts. Im Fokus stehen die Gebiete mit sogenannten roten Grundwasserkörpern, die erhöhte Nitratwerte aufweisen. Hier will Berlin die Stickstoff- bzw. Gülledüngung stark einschränken. Dies soll eine drohende Klage aus Brüssel wegen des Verstoßes gegen die EU-Nitratrichtlinie verhindern.
Für die roten Gebiete haben das Berliner Agrar- und Umweltressort vier Maßnahmen erarbeitet und als Vorschlag nach Brüssel gemeldet.
- Die Stickstoffdüngung soll 20% unter den pflanzlichen Bedarf sinken.
- Vor Sommerkulturen soll der Anbau von Zwischenfrüchten Pflicht sein.
- Bei Winterraps, Gerste und Zwischenfrüchten ohne Futternutzung soll es keine Herbstdüngung geben.
- Es soll eine schlagbezogene Obergrenze von 170 kg N/ha für Gülle und andere Wirtschaftsdünger gelten.
Diskussion kocht hoch
Die Berliner Vorschläge lösten einen Sturm der Entrüstung in der Landwirtschaft aus. Im April gingen im westfälischen Münster mehr als 6000 Landwirte aus dem gesamten Bundesgebiet auf die Straße und machten ihrem Ärger Luft. Weitere Proteste folgten u.a. bei der Konferenz der Länderagrarminister in Landau (Pfalz).
Die große Gegenwehr der Landwirte ist verständlich. So wären in Niedersachsen bis zu 60% der Landesfläche von den Sanktionen betroffen. Die Veredlungshochburg Weser-Ems würde fast vollständig sanktioniert. Auch die viehstarken Kreise im Westen von Nordrhein-Westfalen würden nahezu komplett unter die Sanktionen fallen.
Inwieweit der 20%-Abzug die mineralische oder die organische Düngung trifft, lässt sich nur einzelbetrieblich beantworten. Doch viele Veredlungsbetriebe haben ihren Mineraldünger-Einsatz wie die Unterfußdüngung zu Mais bereits drastisch reduziert. Bei ihnen würde ein Düngeabschlag weitgehend beim Gülleeinsatz durchschlagen.
Wie sehr das Thema die Emotionen bewegt, zeigt auch unsere jüngste Umfrage zum Düngerecht. Hier gaben binnen weniger Tage 332 Teilnehmer aus der Landwirtschaft sowie dem vor- und nachgelagerten Bereichen ihr Votum ab. Knapp zwei Drittel bewerten die geplanten Verschärfungen als Bedrohung für die Existenz der Tierhalter in den Hochburgen. Fast 90% der Befragten sehen sogar alle Schweinehalter betroffen, weil das Futter und die Gülleabgabe teurer werden.
Landwirte überrumpelt
Interessant ist auch, was die Landwirte bei der Nitratdebatte am meisten ärgert. Knapp 70% der Teilnehmer monieren, dass die Landwirte wieder einmal der alleinige Buhmann sein sollen (siehe Übersicht 1).
Knapp 62% der Befragten bemängeln zudem, dass die gemeldeten Messstellen die Ergebnisse der Nitraterhebung verzerren. Nahezu 60% der Teilnehmer ärgern sich auch, dass die Lösungsvorschläge fachliche Mängel aufweisen. Und ein Drittel der Befragten fühlt sich beim Thema Nitrat von den Berliner Vorschlägen überrumpelt.
In der nächsten Frage sollten die Teilnehmer bewerten, wie sich die Wasserqualität sichern lässt. Knapp 52% der Befragten sprechen sich dafür aus, die Technik für die Analyse und Ausbringung der Gülle zu modernisieren. Ein wichtiger Aspekt ist mit knapp 50% Zustimmung zudem das unerlaubte Ausbringen von Gülle stärker zu bestrafen. Nahezu 50% der Teilnehmer sprechen sich dafür aus, die Kooperation mit der Wasserwirtschaft auszubauen.
Eine etwas geringere Bedeutung erzielte mit knapp 33% die Förderung der Gülle-Separation. Für eine Erweiterung der Gülle-Lagerkapazitäten stimmten gut 36% aller Teilnehmer (siehe Übersicht 2).
DBV gegen Pauschalabzug
Auch der landwirtschaftliche Berufsstand spricht sich vehement gegen Verschärfungen im Düngerecht aus. Besonders deutlich positioniert sich der Deutsche Bauernverband. So fordert der DBV zunächst die Wirkung der bereits 2017 verschärften Düngeverordnung abzuwarten. Weitere Anpassungen dürfe es frühestens in zwei Jahren geben, argumentiert der Verband.
Neben dem zu straffen Zeitplan gibt es aus Sicht von Verbänden und Fachleuten weitere Aspekte des Vorgehens in Berlin zu bemängeln:
- Die Maßnahmen für rote Gebiete wurden lediglich im Bundesagrar- und Umweltressort abgestimmt. Die Ackerbau- und Fütterungsexperten aus den Bundesländern wurden entgegen des bisherigen Vorgehens übergangen.
- Der kritisierte 20%-Abzug ist keinewegs eine Forderung aus Brüssel. Vielmehr scheint der Abzug ein Kuhhandel zwischen dem Berliner Agrar- und dem Umweltministerium zu sein. Zwischen beiden Ministerien gibt es auch wegen der Glyphosat-Debatte Spannungen.
- Pflanzenbauexperten bezweifeln, ob die pauschale Kappung der N-Düngung um 20% das Grundwasser verbessert. Bei starker Mangelernährung der Pflanzen könnte der Schuss sogar nach hinten losgehen und höhere Stickstoffauswaschungen auftreten. Zudem sind Ernteeinbußen in Menge und Qualität zu befürchten.
- Die Abgrenzung der roten Gebiete über die teils mehrere 10000 ha großen Grundwasserkörper ist strittig. Denn je nach Definition gilt ein Grundwasserkörper bereits als vollständig belastet, wenn nur 20% seiner Fläche Probleme aufweisen. im Extremfall würden bis zu 80% der Flächen sanktioniert, die gar kein Nitratproblem haben.
- Das Messnetz für die Erhebung der Nitratwerte steht in der Kritik. Eine neue Studie aus NRW zeigt, dass rund 10% der Messpunkte technische Mängel aufweisen. So können beispielsweise durch das Eindringen von Oberflächenwasser überhöhte Nitratwerte ausgewiesen werden. Auch in Niedersachsen gibt es Hinweise zu Mängeln bei den Messbrunnen.
Messbrunnen überprüfen
So ist das Netz der Messbrunnen auch einer der Hauptpunkte, wo der Berufsstand ansetzen kann. In Niedersachsen hat das Landvolk Vechta bereits ein Gutachten der kreisweiten Messstellen in Auftrag gegeben, um Probleme aufzuzeigen. Weitere Landesverbände aus Niedersachsen sind dem Beispiel gefolgt. Erste Ergebnisse werden im Frühsommer erwartet.
Auch in NRW hat das Umweltministerium auf die in der Pilotstudie mit 300 Brunnen gefundenen Mängel reagiert. Ein zweites Gutachten soll nun alle rund 1500 Messstellen im Land prüfen. Leider gibt Düsseldorf die konkreten Ergebnisse der Pilotstudie nicht zur Veröffentlichung frei.
Auch in der Politik sorgt die geplante Verschärfung des Düngerechts für heftige Diskussionen. Dabei wird deutlich, wie gegensätzlich die Partner der Großen Koalition in Berlin agieren. So hält die für das Bundesumweltministerium verantwortliche SPD an ihrer harten Haltung fest. Sie fordert eine schnelle und kompromisslose Umsetzung der nach Brüssel gemeldeten Verschärfungen.
Hingegen äußert die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag deutliche Kritik an der geplanten Novelle der Dünge-VO. Der Agrarpolitische Sprecher der Fraktion, Albert Stegemann, lehnt eine überhastete Verschärfung des Düngerechts ab. Der Agrarexperte plädiert dafür, den 20%- Abzug zu überarbeiten.
Rückenwind erhält die CDU/CSU von den Agrarministern der Bundesländer. Diese haben sich einstimmig gegen den 20%-Abschlag ausgesprochen.
Neue Vorschläge aus Berlin
Die Kritik zeigt zumindest teilweise Wirkung. So wurden Ende Mai angepasste Vorschläge aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium in Sachen Nitrat bekannt. Sie sollen von den Landwirten besser umsetzbar sein. Zwar hält das Ministerium am 20%-Abschlag fest. Die Vorgabe soll jedoch nicht mehr schlagbezogen, sondern im Durchschnitt der Betriebsflächen gelten.
Zudem sollen Betriebe, die im Mittel unter 170 kg Gesamt-N/ha ausbringen, nicht unter den 20%-Abschlag sowie die schlagbezogene Obergrenze für organische Düngemittel von 170 kg N/ha fallen. Weitere Ausnahmen sind bei der Herbstdüngung sowie für Grünland angedacht. Voraussetzung ist, dass bestimmte Nmin-Gehalte im Boden eingehalten werden.
Positiv ist, dass Agrarministerin Julia Klöckner den neuen Vorschlag gemeinsam mit den Bundesländern erarbeiten will. Im Juni möchte die Ministerin einen abgestimmten Kompromissvorschlag nach Brüssel melden. Doch ob der Zeitplan und die jüngsten Anpassungen umsetzbar sind, ist fraglich. Denn bevor das Konzept nach Brüssel geht, muss erst das als Hardliner bekannte Bundesumweltministerium zustimmen.
Fazit
- In Gebieten mit Nitratproblemen will Berlin das Düngerecht verschärfen.
- Vor allem der neue 20%-Abzug bei der N-Düngung löst heftige Kritik aus.
- Viele Tierhalter in Intensivregionen sehen ihre Existenz bedroht.
- Ende Mai machte das BMEL neue Vorschläge, die praktikabler sein sollen.
- Nach ersten Einschätzungen sind auch die neuen Vorschläge noch zu verbessern und ihre Wirkung ist fraglich.