Eine EU-Studie bewertet die Kastration mit Lokalanästhesie am besten. Doch in Berlin lehnen viele Politiker das Verfahren weiter ab.
Fred Schnippe, SUS
Beim Thema Kastration läuft den Ferkelerzeugern die Zeit davon. Nur 150 Tage bleiben, dann ist der Eingriff ohne Betäubung verboten. Eine praxistaugliche Alternative mit breiter Akzeptanz fehlt bis heute.
Tierschützer fordern die Unversehrtheit. Doch die Ebermast dümpelt bei einem Marktanteil unter 10%. Ebergeruch und die mangelnde Fettqualität schrecken viele Kunden ab.
Auch der Impfung gegen Ebergeruch fehlt bei uns die Akzeptanz. Selbst in Belgien, einst Vorzeigeland bei der Eber- impfung, gab eine große LEH-Kette jetzt das Ende des Verfahrens bekannt.
Narkose mit Schwächen
Was bleibt, ist ab 2019 auf die Kastration mit Narkose umzustellen. Doch die darf in Deutschland nur der Tierarzt durchführen. Zudem zeigt eine unabhängige Studie der EU-Kommission, dass die Verfahren mit Narkose erhebliche Schwächen aufweisen.
Zunächst zur CO2-Narkose, die nur in den Niederlanden erlaubt ist. Hier kritisieren die EU-Experten vor allem die zu Beginn teils zu beobachtende Atemnot (siehe Übersicht). Aufgrund dieses tierschutzrelevanten Mangels fällt die Gesamtnote schlecht aus. Deutschland lehnt das Verfahren zu Recht ab.
Die Inhalations-Narkose mit Isofluran ist in der Schweiz verbreitet. Jedoch würden unsere Nachbarn Alternativen zum Isofluran bevorzugen, sobald diese verfügbar sind. Denn das Gas steht im Verdacht, erhebliche Gesundheitsschäden beim Anwender zu verursachen. Zudem wird berichtet, dass beim Isofluran ein erheblicher Teil der Ferkel nicht korrekt narkotisiert ist. Auch die EU vergibt eine mittelmäßige Gesamtnote. In Deutschland könnte Isofluran zugelassen werden. Zumindest bemühen sich die Behörden darum. Derzeit wird das Narkosegas nur mit Ausnahmengenehmigung genutzt.
Die Injektions-Narkose mit Ketamin plus Azaperon (Stressnil) kennen Praktiker aus der Binneneber-OP. Das Verfahren bietet bei korrekter Dosierung eine tiefe Narkose mit sicherer Schmerzausschaltung. Nachteilig ist neben der Missbrauchsgefahr der lange Nachschlaf. Dies erfordert eine intensive Überwachung und kann zu erhöhten Ferkelverlusten führen.
Zudem belastet die Injektions-Narkose die jungen Ferkel. In der Aufwachphase treten tierschutzrelevante Symptome auf. Die EU-Studie bewertet das Narkoseverfahren mit einer insgesamt negativen Note.
Neben der Narkose haben die EU-Fachleute die Kastration mit lokaler Betäubung bewertet. Diese wird neben Norwegen und Schweden in Kürze auch Dänemark umsetzten (siehe Kasten). Die Studie unterstreicht die gute Verträglichkeit der Lokalanästhesie. Mögliche Schmerzen bei der Gabe des Anästhetikums lassen sich durch die korrekte Injektion minimieren. Zumal das Betäubungsmittel auch in den Hodensack statt in den Hoden appliziert werden kann. Insgesamt bewerten die EU-Fachleute die Lokalanästhesie mit Abstand am besten.
Berlin blockiert 4. Weg
Trotz der nachweislichen Vorteile wird der sogenannte 4. Weg, also die Lokalanästhesie durch den Tierhalter, in Deutschland weiter blockiert. Neben Tierschützern lehnen auch Entscheidungsträger auf Arbeitsebene des Berliner Agrarressorts, Teile der Tierärzteschaft sowie Politiker von SPD und Grünen die lokale Betäubung ab. Die Gegner des 4. Wegs verweisen insbesondere auf das Tierschutzgesetz. Ihre Argumentation: Die lokale Betäubung könne die ab 2019 gesetzlich geforderte Schmerzausschaltung zur Kastration nicht leisten. Dabei räumen selbst Humanmediziner ein, dass Operationen nie zu 100% schmerzfrei ablaufen können.
Landwirtschaftliche Fachverbände fordern, die betreffende Passage im Tierschutzgesetz anzupassen. Wichtig ist vor allem, den Begriff der Schmerzausschaltung zu präzisieren. Doch hier zögert die Bundesregierung. Denn selbst eine kleine, begründete Korrektur des 2013 verabschiedeten Tierschutzgesetzes könnte massive Proteste der Tierschützer auslösen. Auch die Bundestierärztekammer (BTK) hat jüngst ihre Ablehnung des 4. Weges wiederholt.
Neuer Anlauf im Bundesrat
Aufgrund des Stillstands in Berlin versuchen einige Länder die Lokalbetäubung über eine Bundesratsinitiative freizuschalten. Doch auch dieser Weg ist steinig. So scheiterte ein erster Anlauf auf der Agrarministerkonferenz im April aufgrund fehlender Mehrheiten. Mindestens neun von 16 Bundesländern müssen zustimmen.
Bayern will nun einen neuen Anlauf für eine Bundesratsinitiative starten. Allerdings bleibt es schwer, die notwendig Mehrheit zu gewinnen. So haben Länder mit grünen Agrarministern wie Hessen bereits ihr Nein signalisiert. Und in Baden-Württemberg will sich die CDU aus Rücksicht auf den grünen Koalitionspartner enthalten. Selbst die Stimme Nordrhein-Westfalens gilt nach dem Wechsel an der Spitze im Düsseldorfer Agrarressort als unklar.
Parallel wird daher diskutiert, das Verbot der betäubungslosen Kastration zu verschieben. Doch dies wird aufgrund zu erwartender Proteste der Tierschützer ebenfalls schwierig.
Auch müsste die in Sachen Aufschub gesprächsbereite Bundesagrarministerin Julia Klöckner der SPD wohl weitreichende Zugeständnisse in anderen Tierschutzfragen anbieten.
Kleine Lichtblicke
Aufgrund ihrer Existenzsorgen wenden sich die Praktiker hilfesuchend an das QS-System. Sie fordern, dass QS nur Importferkel ins Länd lässt, die nach deutschem Recht kastriert wurden. Die holländische CO2- und dänische Lokalbetäubung wären demnach tabu.
Allerdings machte QS klar, dass man keinen Einfluss auf die Betäubungsmethode im Ausland hat. Das heißt: Durch die gegenseitige Anerkennung der Qualitätssiegel kommen demnächst auch Importferkel ins QS-System, die nicht nach hiesigem Recht kastriert sind.
Abseits der festgefahrenen rechtlichen Lage gibt es in puncto Kastration zumindest kleine Lichtblicke:
- Die Schweinegesundheitsdienste in Niedersachsen und Bayern entwickeln Leitfäden und Schulungsprogramme zur Kastration mit Lokalbetäubung.
- Die Firma Veyx bietet ein neues Procain für die lokale Betäubung an. Es ist für Schweine zugelassen und erzielt aufgrund des beigefügten Adrenalins eine schnellere und bessere Wirkung.
- Hoftierärzte testen mit Praxisbetrieben die Kastration unter lokaler Betäubung. Die Erfahrungen sind gut.
Allerdings fehlt allen Ansätzen die politische Rückendeckung. Das heißt: Lässt die Bundesregierung die Lokalanästhesie weiterhin nicht zu, droht uns ein Chaos.
Dann werden viele die Sauenhaltung aufgeben, was die regionale Fleischerzeugung gefährdet. Schon jetzt muss Deutschland mehr als 20% seiner Mastferkel importieren. Die Quote könnte schnell auf 30 oder 40% steigen.
Fazit
Rund 150 Tage vor dem Verbot der betäubungslosen Kastration ist die Lage festgefahren:
- Zwar bewertet eine EU-Studie die Lokalanästhesie am besten. Dennoch bleibt sie in Deutschland verboten.
- Ab 2019 könnten verstärkt kastrierte Importferkel zu uns kommen.
- Die Hoffnung ruht auf einer neuen Bundesratsinitiative für den 4. Weg. Doch es fehlen bisher die Mehrheiten.