Westfleisch sieht sich auf Wachstumskurs und erwartet gute Masterlöse. Wo die Reise hingeht, hat SUS mit Geschäftsführer Dr. Helfried Giesen und Einkaufsleiter Heribert Qualbrink diskutiert.SUS: Westfleisch hat 2011 erstmals mehr als 7 Mio. Schweine geschlachtet. Geht der Wachstumskurs weiter? Giesen: Im ersten Halbjahr 2012 haben wir nochmals 9 % mehr Schweine geschlachtet und bei den Zerlegungen zweistellig zugelegt. Aufgrund der höheren Preise liegt das Umsatzplus sogar bei rund 20 %. Westfleisch knüpft damit an den Wachstumstrend des Vorjahres an. Dies ist umso beachtlicher, da die bundesweiten Schlachtzahlen seit Jahresbeginn zurückpendeln. SUS: Was bringt die zweite Jahreshälfte? Qualbrink: Sie ist geprägt durch den massiven Preissprung im August aufgrund des knapperen Schweineangebots. Dennoch werden wir auch in den nächsten Monaten weiter wachsen – wenn auch moderat. Ein Zukauf von Schlachthaken kommt momentan nicht infrage. SUS: Wie war das Wachstum möglich? Giesen: Die wesentliche Kurbel für das Wachstum der Westfleisch ist der Export. Im ersten Halbjahr haben wir mengenmäßig fast 10 % mehr Schweinefleisch ausgeführt. Bezogen auf den Umsatz beträgt das Plus sogar 24 %. Inzwischen gehen bei uns über 50 % des erzeugten Schweinefleisches in den Export. SUS: Doch wenn der Schweinepreis fällt, verweist man oft auf Probleme im Export. Giesen: Der Fleischexport ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits haben wir profitiert. Durch den Absatz im Ausland konnten wir unsere Produktion ausbauen und die sinkende Inlandsnachfrage kompensieren. Andererseits ist unsere Abhängigkeit gestiegen. Das merken wir schmerzlich, wenn ein Exportkanal plötzlich veterinärbedingt wegbricht. SUS: Heißt das, der Anstieg unserer Selbstversorgung auf 115 % ist riskant? Giesen: Meine These ist nie gewesen, dass wir 115 % Selbstversorgung anstreben. Das kann auf Dauer riskant sein. Wenn Russland die Tore zu macht, rutscht unser Preis schnell auf z. B. 1,50 €. Sollte die Pest aus Osteuropa überschwappen, fällt unser Preis auf z. B. 1,20 €! SUS: Nach langem Warten stieg der Schweinepreis im August sprunghaft auf 1,90 €. Was hat das ermöglicht? Qualbrink: Die Schweinehalter sind einem erheblichen Kostenschub unterworfen. Hier wirken besonders das teure Futter, aber auch höhere Tierschutzauflagen. Der Markt hat diese Fakten eine gewisse Zeit verdrängt. Der Knoten platzte mit dem WTO-Beitritt Russlands, als Moskau seine Importzölle drastisch senken musste. Russland ist für uns hochattraktiv. Der Preis ist dort bis zu 1 €/kg Lebendgewicht höher als bei uns. SUS: Für die Praktiker bleibt dennoch der Eindruck, der Schweinepreis wurde vorher zu Unrecht bei 1,60 € zementiert. Giesen: Im Sommer hatte sich die Absatzsituation in Fernost zugespitzt. Im Hafen von Hongkong wurden 10 000 Container zeitweise nicht entladen. Auch in Korea gab es aufgrund auslaufender Nullzoll-Quoten Probleme. Nach dem zwischenzeitlichen Zusammenbruch hat sich das Fernost-Geschäft langsam erholt. Jetzt kommt es darauf an, das höhere Preisniveau bei uns in den Exportmärkten widerzuspiegeln. Wer – wie die Westfleisch – einen direkten Marktzugang z. B. nach China hat, ist im Vorteil. SUS: Wann können Sie das höhere Preisniveau am heimischen Markt etablieren? Giesen: Das wird ein langer Weg. Insbesondere im Wurst- und SB-Bereich ist es äußerst schwer, höhere Erlöse zu erzielen. Wenn wir bei den aktuellen Monatskontrakten mit dem Handel auf Basis von 1,90 € Einkaufspreis kalkulieren, sind 20 % des Kontraktvolumens kurzfristig weg. Das heißt: Es muss andere geben, die zu kleineren Preisen liefern. Der Verdrängungskampf in der Schlachtindustrie ist enorm. Wir müssen also sehr genau hinschauen, in welchen Segmenten wir den Preis anheben können. SUS: Was passiert, wenn Fleisch im Laden deutlich teurer wird? Giesen: Das können wir an der aktuellen Entwicklung in Osteuropa ablesen. Hier führt der Preissprung auf 1,90 €, soweit er umgesetzt wird, zum Konsumrückgang um 10 bis 30 %. Statt Schinken kommt Marmelade aufs Brot. Erst im Laufe der Zeit werden höhere Preise zumindest in der Mittelschicht wieder akzeptiert. SUS: Wie entwickelt sich der Fleischkonsum in Deutschland? Giesen: Für das laufende Jahr erwartet die EU-Kommission einen Rückgang des Pro-Kopf-Verbrauches von Schweinefleisch in der EU um 1 kg. Für 2013 beträgt das prognostizierte Minus 0,5 kg. Ich befürchte, dass der Rückgang im nächsten Jahr etwas höher ausfällt. SUS: Im ersten Halbjahr hat Deutschland erstmals seit langem weniger Schweine geschlachtet. Wie geht’s weiter? Qualbrink: Die Zeit steigender Schlachtzahlen ist vorerst vorbei. Seit Jahresbeginn zeigt sich eindeutig eine Trendwende. Wir schätzen, dass Deutschland im laufenden Jahr 3 % weniger Schweine schlachtet als im Vorjahr. Für 2013 sehen wir einen weiteren Rückgang um 4 %. SUS: Befeuert das den Strukturwandel in der Schlachtbranche zusätzlich? Giesen: In den nächsten Monaten wird sich der Wettkampf um die Schweine verschärfen. Die Schlachtbranche kauft teuer ein und wird vorerst Probleme haben, die höheren Kosten im Verkauf zurückzuholen. Wer nicht fest im Sattel sitzt, hat die Rücklagen schnell aufgezehrt. Insbesondere bei den mittelständischen Schlacht- und Wurstbetrieben ist ein verschärfter Strukturwandel zu erwarten. SUS: Westfleischs „Aktion Tierwohl“ läuft im zweiten Jahr. Wie ist die Resonanz? Qualbrink: Die Aktion Tierwohl umfasst derzeit ein jährliches Schlachtvolumen von 400 000 Schweinen. Diese stammen aus rund 120 auditierten Betrieben. Gelistet sind momentan zehn Wurst- und acht Fleischwarenprodukte. Diese sind bundesweit in mehr als 1 500 Märkten verfügbar. Wir haben damit in Deutschland das einzige Tierwohl-Label mit nennenswerten Umsätzen. SUS: Ist der Weg eines relativ niedrig angesetzten Tierwohl-Standards noch richtig? Qualbrink: Mehr denn je! Denn ein Label wird sich nur durchsetzen, wenn es bezahlbar bleibt. Wichtig ist zudem, dass die Kriterien messbar und kommunizierbar sind. Kriterien wie deutlich mehr Buchtenfläche oder Teilspalten sind kontraproduktiv, weil die Tiere stärker verschmutzen und kein „Mehr“ an Tierwohl messbar ist. Tierwohl muss beim Landwirt machbar sein. SUS: Über QS ist ein bundesweites Tierwohl-Projekt geplant. Wie stehen Sie dazu? Giesen: Unser Haus ist als eines der ersten am Aufruf beteiligt und begrüßt die Entwicklung. Wir gehen davon aus, dass viele Kriterien unserer „Aktion Tierwohl“ in die Branchenlösung einfließen. Es ist ein historisches Angebot des Lebensmittel-einzelhandels, zum Start höhere Erzeugungskosten an den Landwirt und an den Verbraucher weiterzugeben. Man muss aber bedenken, dass größere Teile unserer Produktion ins Ausland fließen. Dort gibt es kaum Bereitschaft, für mehr Tierschutz zu bezahlen. SUS: Ein Knackpunkt bleibt auch der Kastrations-Stopp bzw. die Ebermast. Giesen: Das Verbot der betäubungslosen Kastration ab 2017 setzt uns mächtig unter Druck. Die Ebermast kann funktionieren. Schwachpunkt bleibt aber die Prüfung auf Ebergeruch per menschlicher Nase. Aus unserer Sicht sind die Kastration mit Narkose und die Immuno-Kastration weiter im Rennen. Um unabhängige Daten zu gewinnen, begleiten wir Versuche zur Immuno-Kastration im Landwirtschaftszentrum Haus Düsse. SUS: Westfleisch gibt für Eber eine Abnahmegarantie. Soll das Segment wachsen? Qualbrink: Wir bauen unser Ebersegment derzeit zielgerichtet auf 10 000 Schlachttiere pro Woche aus. Um den Landwirten Sicherheit zu geben, garantieren wir unseren Vertragsbetrieben bei Einstieg in die Ebermast die Abnahme ihrer Tiere. Denn wer inklusive vorgelagertem Ferkelerzeuger auf die Ebermast umstellt, braucht mindestens sechs Monate Gewissheit, dass die unkastrierten Tiere sicher vermarktet und vernünftig bezahlt werden. Auch sehen wir, dass einige Ebermäster wieder zur herkömmlichen Produktion zurückschwenken. Das zeigt, wie komplex der Bereich ist. SUS: Wie viele Eber verträgt der Markt? Qualbrink: Was uns bei einem starken Ausbau der Ebermast blüht, zeigt der Blick nach Holland. Bei einem Ebermastanteil von 60 % ist der Markt dort jetzt gesättigt. Die Folge: Die Schlachthöfe senken die Preise für Jungeber. Ich bin überzeugt, dass es uns in Deutschland nicht anders gehen würde, sofern wir nicht mit Augenmaß handeln. Momentan sagen zumindest 90 % der Westfleisch-Kunden, dass sie kein Eberfleisch wollen. SUS: Könnte der Fleischkonsum sinken, wenn wir die Ebermast ausbauen? Giesen: Ich sehe die Gefahr, dass es zu einem schleichenden Rückgang des Fleischverzehrs kommt, wenn wir die Ebermast zu schnell ausbauen. Wir müssen daher alle Alternativen zur Kastration genau ausloten. Hier ist die gesamte Branche in der Verantwortung bis Anfang 2017 eine gangbare Lösung auf die Beine zu stellen. SUS: Unabhängige Studien weisen bis zu 20 % Geruchsabweichler aus. Warum sind die Zahlen der Schlachthöfe niedriger? Qualbrink: In den Versuchsbetrieben sind die Tiere durch die Einzelhaltung sowie das häufige Wiegen mehr Stress ausgesetzt. Dieser verstärkt sicherlich das Auftreten von Ebergeruch. Wichtig ist auch, dass man die Eber in den letzten Stunden vor der Schlachtung möglichst wenig Stress aussetzt. Die gelingt uns im Rahmen der „Aktion Tierwohl“ sehr gut. SUS: Ein großer Einflussfaktor bleibt auch die Geruchsprüfung. Giesen: Richtig. Wir müssen uns bewusst sein, dass die menschliche Nase nur eine hinreichende Wiederholbarkeit bzw. Sicherheit bieten kann. Seit Anfang Oktober haben wir die Geruchsprüfung in die Hände des Zertifizierers SGS gegeben. Die unabhängige Prüfung soll die Nachvollziehbarkeit verbessern. Ziel muss weiter eine objektivierbare Geruchsprüfung sein, an der wir technisch arbeiten. SUS: Mitbewerber haben Ebermasken etabliert. Bleibt Westfleisch bei der pauschalen Bezahlung? Qualbrink: Vorerst bleiben wir bei unserem System, das pauschale Elemente sowie Elemente aus der Maske miteinander verbindet. Dieses teilpauschale Modell macht es den Landwirten leichter, die Eber zu selektieren. Ab dem Herbst bieten wir unseren Vertragsbetrieben die Wahl, auch nach dem AutoFOM abzurechnen. SUS: Wann kommt AutoFOM III? Qualbrink: Es gibt Verzögerungen bei der Zulassung. Ich denke nicht, dass wir vor Mitte 2013 eine Freigabe bekommen. Wir bleiben am Ball. Denn insbesondere bei den Ebern bringt AutoFOM III eine gerechtere Bewertung und Bezahlung. SUS: Wie ist Ihre Einschätzung für den Ferkelmarkt 2013? Giesen: Wir erwarten, dass die Pflicht zur Gruppenhaltung einen spürbaren Rückgang der Sauenbestände verursacht. 2013 bringt somit gute Preisaussichten für die Sauenhalter. Ab Ostern sollte am Ferkelmarkt die Sonne wieder scheinen. -Interview: Fred Schnippe, Heinrich Niggemeyer, SUS-