Schwanzbeißen beim Schwein hat viele Ursachen. Welche Faktoren eine Rolle spielen können, zeigt eine aktuelle Literaturstudie. Kannibalismus, insbesondere das Kauen auf den Schwänzen von Buchtengenossen, ist ein weit verbreitetes Phänomen in der Schweinemast. Wunden an den Schwanzspitzen führen häufig zu Entzündungen und damit ökonomischen Einbußen durch verminderte Mastleistungen bis hin zu verworfenen Schlachtkörpern aufgrund von inneren Abszessen. In der landwirtschaftlichen Praxis werden daher prophylaktisch den Ferkeln die Schwänze gekürzt. Beim Schwanzbeißen handelt es sich um eine Verhaltensstörung, die in unterschiedlichsten Betriebstypen vorkommt. In zahlreichen Studien und Untersuchungen hat man sich mit den Ursachen für diese Verhaltensstörung beschäftigt. Mögliche Einflussfaktoren sind sowohl in den Tieren selbst als auch in ihrer Umgebung identifiziert worden. Was sagt die Literatur? Genetik: Die Bedeutung der genetischen Herkunft konnte aufgrund uneinheitlicher Versuchsergebnisse bisher nicht abschließend geklärt werden. Ausgeschlossen werden kann ein genetischer Einfluss allerdings nicht. Landrasse-Schweine scheinen häufiger betroffen zu sein sowohl aktiv als auch passiv als Large White oder Hampshire. Insgesamt sind stressanfällige Rassen mit hohem Muskelfleischanteil und geringer Rückenspeckdicke eher betroffen.Geschlecht: Ebenso wird ein Einfluss des Geschlechts diskutiert. Sauen sind offensichtlich die aktiveren Beißer, während Kastraten eher gebissen werden als Sauen und Eber. Wobei die Wahrscheinlichkeit, gebissen zu werden, in gleichgeschlechtlichen Gruppen höher ist als in gemischtgeschlechtlichen. Das gilt insbesondere für reine Sauengruppen. Alter: Bezüglich des Alters und Gewichts, ab dem das Schwanzbeißen zu beobachten ist, wurden in verschiedenen Studien ganz unterschiedliche Beobachtungen gemacht. So wurde in älteren Untersuchungen Schwanzbeißen bereits mit 40 Lebenstagen beobachtet. In neueren Untersuchungen hingegen wurden bei Schweinen im Alter von 10 bis 20 Wochen nur wenige Probleme ermittelt. Unbestritten ist, dass mit höherem Alter auch das Schwanzbeißen vermehrt auftritt. Rangordnung: Zur Rangposition des Beißers bzw. Desjenigen, der gebissen wird, sind die Untersuchungsergebnisse uneinheitlich. Einige Autoren beschreiben als Aggressoren die kleineren und leichteren Ferkel, die damit Frustration über mangelnden Zugang zu Futter und Wasser abbauen, während andere diese Aussage nicht betätigen können bzw. die leichteren Tiere eher als Opfer ansehen.Tiergesundheit: Unbestritten ist, dass Schwanzbeißen ein Anzeichen für reduziertes Wohlbefinden ist. In diesem Zusammenhang spielen auch Erkrankungen eine Rolle. In der Literatur werden sowohl Atemwegserkrankungen als auch eine Streptokokken-Infektion oder Parasitenbefall als Auslöser beschrieben. Beschäftigung: Auch Langeweile gehört zum Komplex des reduzierten Wohlbefindens. Beschäftigung der Tiere hingegen kann Stresssituationen vermindern und Unruhe vermeiden. Zur Prävention sind veränderbare Materialien gut geeignet. Dies ist möglicherweise ein Grund dafür, warum bei auf Stroh gehaltenen Tieren dieses Fehlverhalten seltener beobachtet wird. Aber auch ein tägliches Angebot von Stroh, z. B. in Futterraufen, kann das Schwanzbeißen redu-zieren. Neben Stroh sind auch Erde, Kompost oder Torf als Beschäftigungsmaterial geeignet. Stallklima: Unwohlsein wird auch durch schlechtes Stallklima in Bezug auf Belüftung und Luftqualität ausgelöst und kann Schwanzbeißen fördern. Gleiches gilt für Hitze- oder Kältestress, wobei in der Literatur sehr uneinheitliche Angaben zur optimalen Temperatur zu finden sind. Diese ist sicherlich in Bezug zum Alter bzw. Gewicht der Tiere, zur Aufstallungsart sowie zur Luftqualität zu sehen. Die Beleuchtung sollte zur Orientierung ausreichen, also nicht zu intensiv sein. Belegdichte: Im Bereich der Haltungsfaktoren hat die Belegdichte der Bucht und somit das individuelle Platzangebot für jedes Schwein eine große Bedeutung. Mit steigender Besatzdichte treten vermehrt aggressive Verhaltensweisen auf. Bei abgesetzten Ferkeln wurde Schwanzbeißen beobachtet, wenn sie anfingen, den Platz in der Bucht stärker auszufüllen. Stieg bei Mastschweinen die Besatzdichte auf über 110 kg LG/m2 Stallfläche, wurde ein 2,7-fach erhöhtes Risiko festgestellt. Zur Buchten bzw. Gruppengröße sind die Erkenntnisse der Studien uneinheitlich. Auslösender Effekt ist wahrscheinlich eher die Überbelegung als die Gruppengröße an sich. Bodengestaltung: Die Bedeutung der Bodengestaltung wird in mehreren Studien beschrieben. Geschlossene Bodenoberflächen sind günstiger zu beurteilen als perforierte. In einstreuloser Haltung trat das Schwanzbeißen bei Vollspaltenböden eher auf als bei Teilspaltenböden. Insgesamt gilt die Stroheinstreu als risikosenkende Maßnahme.Fütterung: Auch im Bereich von Rationsgestaltung und Fütterungstechnik sind Risikofaktoren vorhanden. Sehr hohe Energiegehalte, zu geringe Rohfaser- bzw. Mineralstoffgehalte und Imbalancen in der Rohprotein- bzw. Aminosäurenversorgung wirken sich negativ auf das Verhalten der Schweine aus. Fressplätze: Gleiches gilt für ein weites Tier-Fressplatz-Verhältnis mit daraus resultierendem Konkurrenzkampf der Schweine um das Futter. In einer französischen Studie aus dem Jahr 2003 stieg das Risiko des Schwanzbeißens um das 2,7-fache ab einem Tier-Fressplatz-Verhältnis von 5 : 1. Ähnlich sind die Verhältnisse bei restriktiver Fütterung zu sehen, während die Erhöhung der Anzahl von Futterautomaten das Risiko des Schwanzbeißens senkt. Fazit Die vorliegende Literaturauswertung zeigt, dass das Schwanzbeißen ein mul-tifaktorielles Problem darstellt. Es gibt weder einen besonderen auslösenden Faktor noch eine spezielle Maßnahme, um das unerwünschte Verhalten zu verhindern. Vielmehr scheint indivi-duell unterschiedlich ab einem bestimmten Punkt eine Schwelle überschritten zu werden, ab der das Tier die Haltungsbedingung nicht mehr kompensieren kann, die sein Wohlbefinden einschränkt. In einer solchen Situation setzt das Schwein Kannibalismus als stressabbauende Verhaltensweise ein. Ziel weiterer Untersuchungen sollte es sein, unter modernen und betriebswirtschaftlich vertretbaren Haltungsbedingungen eine für heutige Schweinerassen akzeptable Umgebung zu etablieren.