Verbraucher haben heute nur geringe bis gar keine Kenntnisse über die Prozesse in der Landwirtschaft und im vor- und nachgelagerten Bereich. Gleichzeitig vermutet ein großer Teil, dass im Zweifelsfall der Ernährungswirtschaft finanzielle Aspekte wichtiger sind als ein verantwortungsvolles Verhalten gegenüber der Gesellschaft. Dieser Mix aus geringem Wissen, den daraus entstehenden, vereinfachenden Beurteilungsmustern und fehlenden Kontrollmöglichkeiten führt beim Verbraucher zu Unbehagen und Verunsicherung über die Qualität der Lebensmittel. Dies gilt insbesondere für Schweinefleisch. Unterschiedliche Umfragen kommen zu ähnlichen Ergebnissen darüber, was Verbrauchern wichtig ist. So gaben in einer vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) in Auftrag gegebenen Erhebung fast 90 % der Verbraucher an, dass sie eine artgerechte Tierhaltung wollen (Übersicht 1). Zwei Drittel der Befragen achten zudem auf regionale Herkunft sowie den Preis. Der weitaus größte Anteil der Verbraucher sieht einer anderen Befra-gung zufolge neben der Tierhaltung bei Tiertransport und Schlachtung einen erheblichen Verbesserungsbedarf (Übersicht 2). Dies ist dem Verbraucher fast genauso wichtig wie mehr Platz und Auslauf. Ausgehend von diesen Ergebnissen müsste ein erhebliches Marktpotenzial für Fleisch aus besonders artgerechter Tierhaltung bestehen. Im Markt spiegelt sich das Resultat jedoch nicht wider. So liegt der Anteil von Bio-Fleisch, dessen Erzeugung als besonders artgerecht angesehen wird, weit unter 2 %, bei Schweinefleisch und Geflügel sogar unter 1 %! Gleichzeitig ist der Verbrauch an Schweinefleisch in den letzten 15 Jahren fast unverändert geblieben, der von Geflügelfleisch sogar gestiegen. Dabei wird gerade Schweine- und Geflügelfleisch mit dem negativ belegten Begriff „Massentierhaltung“ in Verbindung gebracht. Bleibt festzuhalten: Für viele ist Fleisch nach wie vor ein besonderes Nahrungsmittel, welches reich an wichtigen Nährstoffen ist. Fleisch ist „ein Stück Lebenskraft“. Aus eigenen Untersuchungen wissen wir, dass der Wunsch nach unreflektiertem Genuss von Fleisch besteht. Dieser Genuss ist jedoch gestört, wenn Themen wie Tierwohl oder Schlachtung angesprochen werden. „Hört doch endlich auf mit der Diskussion, ich esse noch.“ Oder: „Ich würde keinen Schlachthof besuchen, denn danach könnte ich kein Fleisch mehr essen.“ Ausgehend von diesem Konflikt lassen sich unterschiedliche Reaktionen feststellen: Unsere Interviews zeigen auch, dass den Menschen in Schlachtbetrieben und in der Fleischverarbeitung eine wichtige Funktion zukommt. Sie sind es, die Tiere töten und Fleisch so weit vorbereiten, dass eine weitgehende Ausblendung des Haltungs- und Schlachtprozesses auf der Ebene der Verbraucher möglich ist. Der Fleischwirtschaft wird zugestanden, dass sie faktisch und psychologisch etwas kann, was die meisten Verbraucher nicht selber können und nicht tun wollen. Diese wichtige Leistung ist gleichzeitig aber auch die Achillesferse der Branche. Die besondere Konstellation macht die Branche anfällig für Gerüchte und Sensationsgeschichten. Lohndumping und Werkverträge sind für Verbraucher und damit auch für die Medien eine weitaus dankbarere Meldung, wenn sie in der Fleischbranche stattfinden, als wenn sie in der Bau- oder der Gemüsewirtschaft passieren. „Die behandeln die Menschen auch nicht besser als die Tiere.“ Die fehlende Auseinandersetzung der Verbraucher mit dem Thema Schlachtung ist zudem eine der Ursachen dafür, dass die Unternehmen dieses Bereiches weitgehend unbekannt sind. Deshalb treffen „Skandale“ dann auch nicht nur diejenigen Unternehmen, die konkret dafür verantwortlich sind, sondern in der Regel die gesamte Branche. Alles in allem besteht bei Verbrauchern eine starke Tendenz, Einzelheiten gar nicht wissen zu wollen. Es geht vielmehr um die Gewissheit, dass Fleischverarbeitung – wie auch immer – gut funktioniert. Vor diesem Hintergrund ist eine offene Kommunikation gegenüber Verbrauchern schwierig. Wenn man „Gutes tut und darüber redet“, läuft man Gefahr, etwas in den Vordergrund zu stellen, von dem viele nichts wissen wollen. Mit dem Grundsatz „Tue Gutes und sag’, dass du die wichtigen Probleme angehst und sei bereit, auch über Details zu reden“, wird demgegenüber der Bedarf vieler Verbraucher nach Verdrängung vor allem beim Kauf und beim Verzehr von Fleisch respektiert. Kommunikation sollte somit nach dem Prinzip der Hinterlegung verfahren und nicht aufdringlich sein. Anders sieht es bei den Verbraucher- und Tierschutzorganisationen aus. Diese haben nicht nur die Legitimierung, sondern aus Sicht der Verbraucher auch die Pflicht, sich um die Einzelheiten zu kümmern. Bei der Kommunikation des Fleischsektors mit den NGOs und Institutionen gilt wieder der Grundsatz: „Tue Gutes und rede darüber.“ Es wäre eine Illusion zu glauben, sich mit all diesen Organisationen ins Benehmen zu setzen. Aber allein die Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung kann schon positive Wirkung haben. Auch gegenüber dem Handel ist der Grundsatz „Tue Gutes und rede darüber“ angemessen. Der Handel rühmt sich mit Nachhaltigkeit. Neben der gesellschaftlichen Verantwortung, die der Handel dadurch wahrnimmt, verringern entsprechende Aktivitäten auch das Risiko, von den NGOs an den Pranger gestellt zu werden. In Umfragen sehen viele Verbraucher Verbesserungsbedarf bei den Haltungs- und Schlachtbedingungen. Dennoch ist die Nachfrage nach Fleisch aus artgerechter Haltung gering. Der Verbraucher möchte Fleisch genießen und verdrängt insbesondere das Thema Schlachten. Die Fleischwirtschaft sollte signalisieren, dass sie die wichtigsten Probleme anpackt, ohne gegenüber dem Verbraucher aufdringlich zu werden. Die Kommunikation in Richtung NGOs und Handel sollte hingegen offensiv gestaltet werden. So hat zum Beispiel die Einigung über den Mindestlohn in den Schlachtbetrieben großes öffentliches Interesse hervorgerufen. Hier wurde ein öffentlich stark wirkendes Problem angegangen und aus Sicht vieler Verbraucher gelöst. Was will der Verbraucher? Verdrängtes Thema Tötung Wenn Schuldgefühle aufkommen So reagieren Fazit Im Markt ist schon lange ein Trend zur Vermarktung von Teilstücken und Produkten mit höherem Verarbeitungsgrad festzustellen. Dadurch wird die Distanz zum Tier erhöht und der Konflikt für die Verbraucher entschärft. Auf Seiten der Verbraucher spielt Verdrängung eine große Rolle. Dies bedeutet, dass eine explizite Auseinandersetzung v. a. in den Situationen nicht stattfindet, in denen es um Genuss geht – bei Kauf, Zubereitung und Verzehr von Fleisch. Werden die Schuldgefühle z. B. in Umfragen direkt angesprochen, dann kommt es oft zu Ausweichreaktionen: Verantwortlichkeit für Tierwohl und artgerechte Schlachtung wird an staatliche Institutionen delegiert, die bessere Gesetze machen oder striktere Kontrollen durchführen sollen. In unseren Interviews spielt auch der TÜV immer wieder eine Rolle, der offensichtlich noch das Image hat, mächtig zu sein und gnadenlos zu prüfen. Der TÜV oder andere Institutionen sollen kontrollieren und damit auch die auf Gewinn ausgerichteten Unternehmen der Ernährungsindustrie in die Schranken weisen. -Dr. Johannes Simons, Uni Bonn - Die meisten Verbraucher möchten sich nicht mit Themen wie Tierwohl und Schlachten beschäftigen. Dennoch braucht die Fleischwirtschaft hier einen offenen Dialog.