Das Recht der Tierärzte, Medikamente zu verkaufen, wird in Deutschland immer wieder zur Diskussion gestellt. Eine Studie spielt verschiedene Szenarien durch.
Im Moment befinden sich Tierarzt und Schweinehalter in einer recht bequemen Lage. Ist ein Schwein erkrankt, bekommt der Landwirt nach der Diagnose die erforderlichen Medikamente in der Regel sofort und direkt vom Tierarzt ausgehändigt. Der Veterinär auf der anderen Seite darf also Arzneimittel für von ihm behandelte Tiere beim Hersteller beziehen und diese mit einem gewissen Aufpreis an den Tierhalter abgeben. Im beschränkten Rahmen darf er Medikamente auch selbst herstellen. Diese Berechtigungen nennen sich „Dispensierrecht“ und sind bislang im deutschen Arzneimittelgesetz fest verankert.
Doch regelmäßig gerät das Dispensierrecht in die Kritik. Dahinter steckt die Vermutung, dass Veterinäre, da sie finanziell vom Medikamente-Verkauf profitieren, mehr Arzneimittel verschreiben könnten als notwendig. Insbesondere geht es dabei um die Abgabe von Antibiotika und die Sorge um eine verstärkte Resistenz-Entwicklung.
Gutachter überprüfen Dispensierrecht
Darüber hinaus bemängeln die Kritiker, dass Tierärzten beim Einkauf größerer Mengen von Medikamenten Rabatte gewährt werden. Dadurch haben die Veterinäre einen wirtschaftlichen Anreiz, große Mengen kostengünstiger zu beziehen und hierdurch die Gewinnmarge auszuweiten.
Aufgrund dieser Kritikpunkte hat das Bundeslandwirtschaftsministerium im Rahmen der Verabschiedung der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes das Dispensierrecht in seiner heutigen Form jetzt noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Dazu gab es dem Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG AG und Prof. Dr. Rolf Mansfeld, Professor für tierärztliche Bestandsbetreuung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, den Auftrag, ein Gutachten zu erstellen.
Im Rahmen dessen wurden Dokumente analysiert, Experten befragt, Länder-Fallstudien sowie quantitative Analysen durchgeführt und die Auswirkungen auf Ökonomie und Tiergesundheit identifiziert. Das Gutachten erläutert die Vor- und Nachteile sowie Alternativen zum Dispensierrecht.
Szenario 1: Dispensierrecht bleibt
In diesem Zusammenhang spielen die Wissenschaftler in dem Gutachten verschiedene Szenarien durch. Im ersten Szenario gilt die Annahme, dass das Dispensierrecht auch in Zukunft beibehalten wird. Der Tierarzt nimmt wie gehabt vor Ort im Stall die Erstbehandlung an den Tieren vor und bespricht die weiteren notwendigen Schritte mit dem Schweinehalter. Für diesen werden die Medikamente nicht teurer.
Allerdings sehen die Gutachter bei Beibehaltung des Status quo auch Schwächen, die aber nicht unmittelbar mit dem Dispensierrecht in Zusammenhang stehen:
- Auch weiterhin verbleiben Restbestände an Arzneimitteln auf dem Betrieb. Dies birgt die Gefahr, dass Arzneimittel ohne Verschreibung eingesetzt werden. Bei unsachgemäßer Anwendung gehen von diesen Risiken in Bezug auf Tiergesundheit und Resistenzen aus.
- Gerät der Landwirt wegen hoher Werte bei der Therapiehäufigkeit, die im Rahmen der 16. AMG-Novelle nun erfasst wird, unter Druck, könnte das seinen Antibiotikaverbrauch senken. Denn es ist davon auszugehen, dass die Attraktivität alternativer Tiergesundheitsmaßnahmen steigt.
Letzterer Punkt ist zunächst positiv zu sehen. Ein Risiko in diesem Szenario kann jedoch darin liegen, dass die Maßnahmen der 16. AMG-Novelle langfristig und bei erfolgreicher Verringerung des Antibiotikaverbrauchs eine Abwärtsspirale und damit einen zunehmenden Druck auf die Tierhalter auslösen, den Antibiotikaverbrauch weiter zu senken. Die möglichen Konsequenzen wiegen schwer:
- Zum einen ist zu befürchten, dass Tierhalter z. B. per Onlinehandel zunehmend Antibiotika aus Ländern beziehen, wo keine Rezeptpflicht besteht.
- Zum anderen können vermehrt potentere Antibiotika und damit insbesondere Reserveantibiotika oder subtherapeutische Dosierungen zum Einsatz kommen, die wiederum Resistenzen begünstigen können.
Um hier gegenzusteuern, schlagen die Verfasser des Gutachtens eine angepasste Preisgestaltung vor. Mittels Steuer, Höchstpreis, Mindestpreis, Preisbindung oder angepasster Rabattgewährung könnten zum Beispiel der Einsatz von Reserveantibiotika und der Preiswettbewerb unter Tierärzten möglicherweise besser zu regulieren sein.
Aktuell liegt dem Bundestag dazu ein Antrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach dem Vorschlag soll das Rabattierungssystem bei Antibiotika abgeschafft und gleichzeitig einheitliche Abgabepreise eingeführt werden.
Szenario 2: Dispensierrecht kippt
Im zweiten Szenario geht es um die generelle Abschaffung des Dispensierrechts. Dies würde den Anreiz des Arzneimittelverkaufs für Tierärzte auflösen, hat jedoch erhebliche Auswirkungen:
- Notwendige Behandlungen an den Tieren werden unter Umständen mit Zeitverzug durchgeführt, da der Landwirt die verschriebenen Medikamente erst aus der Apotheke besorgen muss. Sind z. B. einzelne Mastschweine erkrankt und werden nicht unmittelbar behandelt, kann sich die Infektion auf die ganze Herde ausbreiten.
- Wenn die Arzneimittelumsätze wegfallen, verdient der Tierarzt weniger Geld. In der Folge könnte ein Teil der Tierärzte den Praxisbetrieb einstellen oder die Einkommensverluste durch deutlich höhere Beratungsgebühren kompensieren, was wiederum für die Betriebe zu höheren Tiergesundheitskosten führen würde.
- Dass die Landwirte für die Medikamente wesentlich mehr oder weniger bezahlen müssen, wäre zunächst nicht zu erwarten. Denn auch die Apotheken sind an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden.
- Allerdings könnten für den Tierhalter durch den erweiterten Vertriebsweg weiterer Aufwand und eventuell Kosten hinzukommen. Es wird erwartet, dass Tierhalter zunehmend auf Bestellungen und Internethandel ausweichen.
- Die öffentliche Überwachung der Tierarzneimittel-Vergabe wäre aufwändiger, da mit den Apothekern ein weiterer Akteur hinzukäme.
- Die Auswirkungen der flächendeckenden Erfassung der Therapiehäufigkeiten wären wahrscheinlich ähnlich denen ohne Abschaffung des Dispensierrechts.
Szenario 3: Antibiotika nur auf Rezept?
Würde man nicht das komplette Dispensierrecht abschaffen, sondern nur die Arzneimittelgruppe Antibiotika ausschließen, hätte dies wesentlich geringere Auswirkungen. Doch auch hier wären die Rückgänge der Umsätze und Reinerträge der Praxen beträchtlich.
Wie bei der konkreten Abfrage mehrerer praktizierender Tierärzte im Rahmen der Expertenbefragung herauskam, beziehen sie rund 50 % ihres Umsatzes aus Arzneimitteln. Wiederum davon die Hälfte sollen aus dem Verkauf von Antibiotika stammen.
Der durchschnittliche Jahresumsatz einer deutschen Tierarztpraxis liegt bei rund 248 000 € bzw. bei einem Reinertrag von 72 000 €. Bei einer Herausnahme von Antibiotika aus dem Dispensierrecht würde sich der Umsatz also um 25 % auf 186 000 € verringern und der Reinertrag würde um 10 000 € auf ca. 62 000 € sinken, was einem Verlust von 14 % entspricht.
Außerdem ist dabei zu beachten, dass der verlängerte Vertriebsweg gerade bei Antibiotika die Tiergesundheit massiv gefährden kann. Denn antibakteriell wirksame Stoffe werden oftmals zur Bekämpfung von Erregern eingesetzt, die leicht von Einzeltieren auf Gruppen oder ganze Herden übertragen werden können. Nicht nur die Ansteckungsgefahr wäre durch eine solche Verzögerung erhöht. Auch das Tierleid wäre größer, der Therapieerfolg beeinträchtigt und die Tierverluste höher.
Inzwischen wurde die Studie offiziell vorgelegt und auf einem Fachdiskurs im Dezember 2014 in Berlin zur Diskussion gestellt. Die rund 85 anwesenden Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Behörden, Tierärzteschaft, Landwirtschaft, Industrie und Tierschutz waren sich erstaunlich einig, das Dispensierrecht beibehalten zu wollen.
Strittig war lediglich die Frage nach der Preisregulierung bei Antibiotika. Kritiker wiesen darauf hin, dass Reserveantibiotika oft billiger seien als herkömmliche Präparate und zudem häufig geringere Wartezeiten aufwiesen. Dies erhöhe den Anreiz, sie einzusetzen.
Fazit
Die Berechtigung der Tierärzte, Tierarzneimittel zu verkaufen, wird immer wieder infrage gestellt. Kritiker gehen von einem direkten Zusammenhang zum Antibiotikaverbrauch und der Resistenzentwicklung aus. Ob und welcher Zusammenhang tatsächlich besteht und welche Auswirkungen eine Abschaffung oder Änderungen des Dispensierrechts hätten, wurde in einer Studie im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums untersucht.
Das Ergebnis: Aktuell spricht einiges dafür, dass das tierärztliche Dispensierrecht in Deutschland grundsätzlich erhalten bleibt. Denn der alleinige Bezug von Antibiotika über Apotheken bringt keine Verbesserungen. Im Gegenteil: Er verzögert den Behandlungsstart!
Allerdings stehen Anpassungen bei der Preisgestaltung im Raum. Hier drohen den Tierärzten zukünftig womöglich starrere Vorgaben.