Wird sich die genomische Selektion auch in der Schweinezucht etablieren und die bisherigen Zuchtinstrumente ergänzen? SUS hat fünf Experten zu ihrer Einschätzung befragt.Kaum ein Schlagwort hat die Rinderzüchter in den letzten zwei Jahren mehr bewegt wie die „Genomische Selektion“. In der Holsteinzucht ist es gelungen, innerhalb kürzester Zeit ein praxisreifes System zu entwickeln, um Tiere nach genomischen Zuchtwerten zu selektieren. In anderen Rinderpopulationen wird man Schritt für Schritt nachziehen. Das Ziel ist, mit Hilfe von Genomtests schneller Informationen über die genetische Veranlagung des Tieres zu erhalten. Dank des technischen Fortschritts ist es heute möglich, in Hochgeschwindigkeit eine Vielzahl markanter Stellen im Genom (Erbgut) zu analysieren. Wie der Test und die darauf aufbauende genomische Selektion funktionieren, lesen Sie im nebenstehenden Kasten. Schweinezüchter loten Chancen aus Auch die Schweinezüchter sind dabei, die Chancen der genomischen Selektion auszuloten, um schneller an sichere Infos zur Veranlagung des Tieres zu gelangen. Bislang werden Zuchtferkel zunächst nach den Leistungen ihrer Eltern bewertet. Der so genannte Pedigree-Zuchtwert berechnet sich als Mittel der Zuchtwerte von Vater und Mutter und ist noch recht unsicher. Nach dieser Methode haben Wurfgeschwister den gleichen Zuchtwert, obwohl sie nicht die gleichen Gene in sich tragen. Später durchlaufen die Tiere diverse Eigenleistungsprüfungen. Fließen diese Informationen mit ein, werden für jedes Tier individuelle Zuchtwerte berechnet, die allerdings immer noch recht unsicher sind. Die endgültige Beurteilung des Zuchttieres erfolgt erst, wenn alle Nachkommenprüfungen abgeschlossen sind. Mit der Verfügbarkeit des porcinen SNP-Chips können jetzt tierindividuelle Zuchtwerte berechnet werden, die sich allein auf Informationen zum Genom stützen. Diese Untersuchung ist bereits direkt nach der Geburt möglich. Das heißt, dass genomische Zuchtwerte für Tiere ohne eigene Leistungsinformationen geschätzt werden können. Damit diese neue Zuchtwertschätzung überhaupt Sinn macht, muss der genomische Zuchtwert sicherer sein als der herkömmliche Pedigree-Zuchtwert. Dies ist in der Rinderzucht gegeben. Hier erreichen die Genomzuchtwerte mittlerweile Sicherheiten von 60 bis 70 %, gegenüber den Pedigree-Zuchtwerten eine deutliche Verbesserung von ca. 30 %. Ungleiche Voraussetzungen Auch in der Schweinezucht erwartet man Verbesserungen in der Schätzgenauigkeit, wenn neben den Vorfahrenleistungen Informationen zum Genom berücksichtigt werden. Doch man ist insgesamt nicht so euphorisch wie in Kreisen der Rinderzüchter. Denn es gibt grundsätzliche Unterschiede in puncto Zucht- und Kostenstruktur: Die genomische Selektion bietet den Rinderzüchtern die Möglichkeit, Bullenkälber ohne Nachkommenprüfung für die Zucht auszuwählen. Dadurch kann das Generationsintervall von sechs auf zwei Jahre reduziert und der Zuchtfortschritt erhöht werden. Zuchtschweine werden ohnehin als Jungtiere mit kurzen Generationsintervallen selektiert. Neben den Auswirkungen auf den Zuchtfortschritt können in der Rinderzucht die Kosten der Leistungsprüfung gesenkt werden. Denn die bislang übliche Wartebullenhaltung lässt sich deutlich einschränken. Ein nachkommengeprüfter Bulle stellt einen Wert von rund 30 000 € dar. Dies macht es leicht, die relativ hohen Untersuchungskosten der Genom-Typisierung zu refinanzieren. Der Wert eines nachkommengeprüften Ebers ist bei weitem nicht so hoch. Die Sicherheit der genomischen Zuchtwertschätzung hängt maßgeblich von der Größe und der Zusammensetzung der Lernstichprobe ab. In der Holstein-Population konnte die Stichprobe durch verbands- und länderübergreifende Kooperationen auf insgesamt 16 000 nachkommengeprüfte Bullen erhöht werden. Bei den Schweinen arbeitet man mit Lernstichproben, die 500 bis 3 000 Tiere umfassen. In der Rinderzucht konzentrieren sich einzelne Verbände bzw. Firmen oft nur auf eine Rasse, in der Schweinezucht muss das Zuchtunternehmen die Typisierung gleich für mehrere Linien an vielen 1 000 Tieren durchführen. Die Milchviehzüchter bearbeiten teils wenige wichtige Merkmale wie Milchleistung oder Inhaltsstoffe. In der Schweinezucht ist die Palette der Merkmale größer. Ebenso dürfte der Arbeitsaufwand für die fortlaufende Kalibrierung der Zuchtwertschätzung höher sein. Bei Rind und Schwein gleichermaßen ist die genomische Selektion nur für Merkmale anwendbar, für die eine klassische Zuchtwertschätzung vorliegt. Für die in der Schweinezucht immer wichtiger werdenden Merkmale aus dem Bereich Fruchtbarkeit, Fitness/Gesundheit und Nutzungsdauer sind die Voraussetzungen dafür bislang nur bedingt vorhanden. Angst, den Zug zu verpassen Noch ist nicht klar, ob die genomische Selektion wirtschaftlich vertretbar zum Einsatz kommen kann. Dennoch beschäftigen sich alle größeren Zuchtunternehmen intensiv damit, um eigene Erfahrungen zu sammeln. Denn sollte sich die genomische Selektion zur Standard-Technologie entwickeln, will man sofort durchstarten können. Wie die Zuchtunternehmen die neue Zuchtmethode bewerten und welche Projekte und Untersuchungen bereits laufen, lesen Sie auf den folgenden Seiten.