In Schweden führen Landwirte die Kastration mit Betäubung selbst durch. Politik und Tierschützer ziehen mit – ein Vorbild für Deutschland.
Fred Schnippe, SUS
In Deutschland wird mit Hochdruck am sogenannten vierten Weg für die Kastration gearbeitet. Denn Ebermast, Immunokastration und der Eingriff mit Narkose reichen als Alternativen nicht aus. Es gibt u.a. Probleme mit der Akzeptanz, hohen Kosten sowie dem Tier- und Anwenderschutz.
Ziel ist daher ein Verfahren mit lokaler Betäubung, das die Landwirte selbst anwenden. Dies setzt aber rechtliche Anpassungen voraus. So darf bei uns bisher nur der Tierarzt lokal betäuben. Hinzu kommt die Frage nach einem geeigneten Lokalanästhetikum.
Schweden als Vorbild
Wie Deutschland die Kuh vom Eis bekommen kann, zeigt Schweden. Das Land gilt EU- bzw. weltweit als Vorreiter beim Tierschutz. Und in Schweden führen die Landwirte die Kastration mit lokaler Betäubung seit Anfang 2016 erfolgreich selbst durch.
Vorbildlich ist der politische Prozess zum Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration. So veranlasste die Regierung in Stockholm zunächst umfangreiche Praxisstudien, um mögliche Alternativen aufzuzeigen. Schnell zeigte sich, dass die schwedischen Fleischkunden weder die Ebermast noch die Immunokastration in der Breite akzeptieren.
Auch die Kastration mit Narkose konnte sich nicht durchsetzen. Dazu Margareta Åberg vom schwedischen Bauernverband: „Die Inhalationsnarkose hat Schwächen beim Anwender- und Tierschutz. Und die lange Aufwachphase bei der Injektionsnarkose erhöht die Ferkelverluste.“
Schwedens weitere Untersuchungen konzentrierten sich daher auf die Kastration mit Lokal-Anästhesie. Im Fokus stand eine Studie aus dem Jahr 2010. Sie zeigt, dass die Landwirte nach Schulungen in der Lage sind, die Kastration mit lokaler Betäubung selbst erfolgreich durchzuführen. Die hohen schwedischen Ansprüche zum Tierschutz werden dabei gewahrt. Details zur Studie lesen Sie auf der nächsten Seite.
Erst nachdem mit der lokalen Betäubung ein gangbarer Weg für die Praxis gefunden war, beschloss die Regierung 2012 das Verbot der bisherigen Kastrationspraxis. Dabei wurde eine Übergangsfrist bis Anfang 2016 vereinbart.
Auch bestand politischer Konsens, dass die Kastration in den Händen der Landwirte bleibt. „Wenn der Tierarzt die Ferkel betäubt, laufen die Kosten aus dem Ruder. Das hätte die Existenz vieler Ferkelerzeuger bedroht“, betont Åberg.
Tierschutz-Gesetz angepasst
Um das zu verhindern, hat Stockholm 2011 den rechtlichen Rahmen für die Kastration angepasst. Seither ist im Tierschutz-Gesetz verankert, dass Landwirte die Ferkel vor der Kastration selbst lokal betäuben dürfen.
Um den Erfolg zu sichern, hat die Regierung die Freigabe an enge Vorgaben geknüpft:
- Landwirte müssen eine ganztägige Intensivschulung zur lokalen Betäubung erfolgreich absolvieren.
- Die Freigabe gilt für maximal sieben Tage alte Ferkel. Die Betäubung älterer Ferkel ist dem Tierarzt vorbehalten.
- Praktiker müssen die korrekte Betäubung dokumentieren.
- Behörden und Hoftierärzte prüfen die Umsetzung der Vorgaben.
- Der Tierarzt darf Anästhetika für maximal acht Tage im Voraus abgeben.
Der wichtigste Aspekt sind die Schulungen. Dazu Margareta Åberg: „Versierte Tierärzte vermitteln in Theorie sowie praktischen Übungen die lokale Betäubung. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Lanwirte das Erlernte später sehr pflichtbewusst umsetzen.“
Die Schulungen vermitteln klare Vorgaben zu den Hilfsmitteln. So sind zur Injektion des Betäubungsmittels sehr dünne Nadeln (16x0,5 mm) zu verwenden. Sie sollen die Gabe in den Hoden so erträglich wie möglich machen. Um die Injektion exakt steuern zu können, sollte das Ferkel im Kastrationsbock fixiert sein. Alternativ hält eine zweite Person das Ferkel.
Lidocain plus Schmerzmittel
Klar geregelt ist auch die Medikation. Schweden schreibt das Betäubungsmittel Lidocain vor, das in den Produkten Xylocaine oder Lidokel enthalten ist. Zieldosis sind 0,5 ml je Tier. Die Hauptinjektion erfolgt in den Hoden. Beim Zurückziehen der Nadel wird der übrige Teil des Betäubungsmittels unter die Haut gespritzt, um Schmerzen beim Öffnungsschnitt auszuschalten.
Die Wahl fiel auf Lidocain, da es eine schnelle Anflutung und hohe Schmerzausschaltung sichert. „Zudem ist das Mittel gut verträglich. Lidocain hat sich in der Veterinär- und Humanmedizin bewährt“, erläutert Margareta Åberg.
Damit die Betäubung sicher wirkt, muss der Landwirt bis zur Kastration mindestens drei Minuten warten. Die Praktiker geben die Ferkel nach der Lidocain-Gabe daher in eine Kiste. Die Wartezeit nutzen sie zur Injektion beim nächsten Wurf. Erst dann wird der erste Wurf kastriert. Die Wirkdauer des Lidocains von einer Stunde reicht bei diesem Handling sicher aus. Zum Abschluss erhalten die Ferkel Meloxicam gegen postoperative Schmerzen.
Mehr Ruhe beim Kastrieren
Mit diesem Konzept sammeln die Schweden inzwischen fast 18 Monate positive Erfahrungen. So sind die Ferkel beim Kastrieren wesentlich ruhiger und zeigen keine Schmerzen. Das fördert auch die Ruhe im Abferkelstall.
Die Wunden der betäubten Ferkel heilen schnell und vermehrte Verluste treten nicht auf. Auch das Wachstum der betäubt kastrierten Ferkel ist gleich. „Einige Praktiker berichten, dass die Ferkel seit der Umstellung auf die Betäubung schneller ans Gesäuge zurückkehren“, schildert Margareta Åberg.
Jedoch ist die Kastration unter Betäubung mit Mehrarbeit verbunden. Denn aufgrund der Wartezeit nach der Injektion muss jedes Ferkel zweimal aufgenommen werden. Inklusive der Gabe des Anästhetikums dauert die Kastration rund doppelt so lange wie zuvor. Da die Ferkel ruhiger sind, empfinden die Praktiker das Kastrieren aber wesentlich angenehmer. Die zusätzlichen Kosten für das Betäubungsmittel sind mit etwa 10 Cent je Ferkel überschaubar.
Fazit
Seit 2016 dürfen Schwedens Betriebe ihre Ferkel zur Kastration selbst lokal betäuben. Um dies zu ermöglichen, hat Stockholm das Tierschutzgesetz angepasst. Die Erfahrungen sind gut:
- Nach Schulungen setzen die Praktiker die lokale Betäubung sicher um.
- Die Kastration läuft wesentlich ruhiger und angenehmer für die Ferkel ab.
- Politiker und Tierschützer tragen diesen Weg mit.
- Schwedens gute Erfahrungen geben Anlass, die lokale Betäubung auch in Deutschland zu etablieren.