Die Borchert-Kommision fordert den radikalen Umbau der Tierhaltung. Die Mehrkosten steigen auf über 4 Mrd. € jährlich! Woher kommt das Geld?
Fred Schnippe, SUS
Kaum ein Thema polarisiert die Branche derart wie die Borchert-Pläne zum Umbau der Tierhaltung. Befürworter sehen darin die einzige Chance, dass die Erzeuger die Kosten für mehr Tierschutz zumindest teils zurück bekommen. Kritiker fürchten indess, dass die Landwirte auf dem Gros der Mehrkosten sitzenbleiben und ausländische Erzeuger sie überrollen.
Politik will mehr Tierschutz
Dagegen herrscht politisch weitgehend Einigkeit. So stimmten im Sommer 2020 im Bundestag neben der großen Koalition auch die Linken und die AfD dafür, dass die Borchert-Pläne die Basis der künftigen Tierhaltung bilden. Die Regierung wurde aufgefordert die Empfehlung des Kompetenznetzwerkes um den ehemaligen Landwirtschaftsminister Jochen Borchert in Gänze aufzugreifen.
Im März stimmte auch der Bundesrat mehrheitlich für den Umbau der Nutztierhaltung im Sinne Borcherts. Die Länderkammer beauftragte die Bundesregierung, die Borchert-Pläne umzusetzen und eine Finanzierung zu entwickeln.
Wenn dies so kommt, bleibt in der deutschen Nutztierhaltung kein Stein auf dem anderen. So hat die von Bundesagrarministerin Julia Klöckner bauftragte Borchert-Kommission vergangenes Jahr extrem ehrgeizige Ziele formuliert:
- Bis 2030 soll weitgehend die Stufe 1 des staatlichen Tierwohlkennzeichens gesetzlicher Standard werden. Das heißt vor allem: 20% mehr Platz für Ferkel und Mastschweine, 10% mehr Platz für Zuchttiere, zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial, längere Säugezeiten, mehr Buchtenstruktur und beschleunigter Kupierverzicht.
- Bis 2040 soll Stufe 2 des Tierwohlkennzeichens Pflicht für alle werden. Hier sind vor allem mindestens 40% mehr Platz in der Mast und Aufzucht, der vollständige Kupierverzicht, u.U. fünf Wochen Säugezeit sowie Außenklimareize gefordert.
- Zudem sollen bis 2040 mindestens 10% der Betriebe in Stufe 3 arbeiten. Dort gilt zusätzlich: Mindestens 90% mehr Platz und Auslauf für alle Tiere über 30 kg.
Für die Borchert-Kommission sind die radikalen Verschärfungen im Tierschutz alternativlos. Denn sie hält die jetzige Nutztierhaltung für nicht zukunftsfähig und verweist vor allem auf die schwindende gesellschaftliche Akzeptanz.
Das Netzwerk betont weiter, dass auch Gerichtsurteile den Gesetzgeber zum Handeln zwingen. Im Schweinebereich werden vor allem das Magdeburger Urteil zum Kastenstand sowie die Normenkontrollklage Berlins genannt.
Gigantische Mehrkosten
Den Fachleuten um Ex-Minister Borchert ist bewusst, dass die umfassende Anhebung des Tierschutzes zu gigantischen Mehrkosten in der Erzeugerstufe führt. In einer ersten Einschätzung aus dem Frühjahr 2020 hatte das Netzwerk die Mehrkosten im Schweine-, Geflügel- und Rindersektor zusammen auf 1,2 Mrd. € in der Startphase und später auf 3,6 Mrd. € kalkuliert – und zwar jährlich!
Die im März veröffentlichte Machbarkeitsstudie zum Umbau der Nutztierhaltung nennt noch höhere Kosten. Die im Wesentlichen aus Anwälten bestehende Gruppe beziffert die Mehrkosten in der Anfangsphase auf rund 3 Mrd. € später sogar auf 4 Mrd. € jährlich. Die Borchert-Kommission und die Machbarkeitsstudie lassen keinen Zweifel, dass die höheren Kosten weitgehend durch Fördermittel ausgeglichen werden müssen. Denn mit den höheren Tierschutzauflagen sind deutsche Betriebe im EU-Wettbewerb nicht konkurrenzfähig.
Hauptziel der Machbarkeitsstudie war daher, Finanzierungsmodelle für eine Tierwohl-Förderung zu bewerten. Im Vordergrund stand dabei die Vereinbarkeit mit dem nationalen und europäischen Recht.
Finanzierung: Drei Wege
Kernergebnis der Studie ist, dass zur Finanzierung von mehr Tierschutz sowohl Verbrauchssteuern auf tierische Produkte als auch die Anhebung der Umsatzsteuer z.B. auf Fleisch denkbar sind. Die Studie nennt drei Wege:
- Verbrauchssteuer: Sie beinhaltet mengenbezogene Abgaben auf Fleisch ähnlich der Mineralölsteuer. Im Raum standen etwa 40 ct/kg Fleisch, die nach neuen Daten nicht ausreichen. Die Steuern könnten als Fördermittel für mehr Tierwohl dienen. Eine Zweckbindung nur zugunsten deutscher Tierhalter ist problematisch. Es gilt ein Benachteiligungsverbot für ausländische Erzeuger.
- Umsatzsteuer: Denkbar ist die Anhebung des Steuersatzes auf Fleisch von 7 auf 19%. Möglich ist auch, die Umsatzsteuer auf alle Lebensmittel z.B. um 2% anzuheben. Über den Weg ließen sich jährlich rund 6,3 Mrd. € mit vertretbarem Aufwand generieren. Doch drohen bei alleiniger Ausschüttung an deutsche Erzeuger selbige Probleme mit dem EU-Recht wie bei einer Verbrauchssteuer.
- Ergänzungsabgabe: Als neuen Ansatz schlägt die Studie eine Ergänzungsabgabe auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer vor. Diesen Weg hatten das BMEL und Borchert bisher nicht angedacht. Der sogenannte Fleisch-Soli hätte den Vorteil, dass er die Einkommen besteuert und nicht die Produkte. Damit sind laut Gutachten auch bei alleiniger Zweckbindung auf deutsche Erzeuger keine Probleme mit Brüssel zu erwarten.
Knackpunkt Förderdauer
Neben der Finanzierung hat die Studie geprüft, wie lange die Tierwohl-Förderung möglich ist. Das Ergebnis ist ernüchternd: Laut EU-Recht ist bei sieben Jahren Förderdauer Schluss. Die Verfasser empfehlen der Bundesregierung in der GAP-Reform längere Förderzeiten auszuhandeln. Allerdings wurde in einer Diskussion mit Berufsverbänden deutlich, dass nur eine Erhöhung auf zehn bis zwölf Jahre möglich scheint.
Aus Sicht der Erzeuger ist das viel zu kurz. Das gilt insbesondere in den Haltungsstufen 2 und 3. Denn aufgrund der hohen Investitionen in Neu- und Umbauten ist eine Unterstützung über die ganze 20-jährige Abschreibungzeit ein Muss.
Wichtig ist zudem eine hohe Förderquote. Die Machbarkeitsstudie nennt das Ziel, 80 bis 90% der Tierwohlkosten auszugleichen. Sonst können viele Landwirte die Mehrkosten nicht schultern und die angestrebte Anhebung des Tierwohls auf breiter Basis würde nicht erreicht. Eine Säule wird die Investitionsförderung sein.
Bisher übliche Fördersätze von 40 bis 50% werden dafür allerdings oft nicht ausreichen. Zudem verursacht mehr Tierwohl mehr Arbeit und höhere variable Kosten. Als zweite Säule sind daher Boni auf die Erzeugerpreise ein Muss.
Mehr Arbeit, teure Ställe
Welche Mehrkosten auf Schweinehalter zukommen, hat die Landwirtschaftskammer NRW anhand eines 2200er-Mastbetriebes kalkuliert. Die Berechnung bezieht sich auf die Stufen 1 und 2 des staatlichen Tierwohlkennzeichens. Die Stufe 3 bleibt aufgrund der sehr hohen Anforderungen außen vor.
Zunächst geht es um die höheren Direktkosten, die durch Raufutter, Einstreu und Maßnahmen gegen Schwanzbeißen entstehen. Die zusätzlichen Direktkosten werden in Stufe 1 auf 6,60 € und in der zweiten Stufe auf 9,40 € pro Tier beziffert (siehe Übersicht).
Hinzu kommt die Mehrarbeit. Hier geht es insbesondere um das Verteilen von Raufutter, Einstreuen und die aufwendigere Tierkontrolle. Die zusätzlichen Arbeitskosten liegen in Stufe 1 bei rund 2 € und in Stufe 2 bei etwa 6 € je Tier.
Abstockung oft unrentabel
Auch die Festkosten steigen. Dieser Kostenblock hängt stark davon ab, ob der Betrieb das größere Platzangebot durch eine Bestandsabstockung oder durch eine Erweiterung des Stallgebäudes realisiert.
Bei einer Abstockung muss er in Haltungsstufe 1 mit zusätzlichen Festkosten von knapp 1 € je Tier kalkulieren, die sich vor allem aus der Anschaffung der Raufuttertechnik ergeben. In Haltungsstufe 2 fallen die zusätzlichen Festkosten mit 5,70 € je Tier selbst bei einer Abstockung deutlich höher aus, da auch aufwendige Maßnahmen zur Buchtenstrukturierung umzusetzen sind.
Noch stärker steigen die Festkosten, wenn der Platz durch eine Erweiterung des Stalls bereitgestellt wird. In diesem Fall sind in der Stufe 1 knapp 5,70 € und in Stufe 2 gut 14 € je Tier als zusätzliche Investitionskosten zu veranschlagen.
Hingegen schlägt bei einer Abstockung der entgangene Deckungsbeitrag stark zu Buche. In Stufe 1 des Tierwohlkennzeichens beträgt diese Position knapp 6 € und in Stufe 2 rund 11 € je Tier.
Mehrkosten bis zu 30 € je Tier
Unter dem Strich muss ein typischer Mastbetrieb in Stufe 1 des Tierwohlkennzeichens mit Mehrkosten um 15 € und in Stufe 2 mit 30 € und mehr je Tier rechnen. Wobei die Abstockung in beiden Stufen die teurere Variante ist. Soll die Sauenhaltung ebenfalls in den Stufen 1 oder 2 erfolgen, entstehen weitere Mehrkosten von 20 bis 30 € je Ferkel.
Die Kosten sind nicht die einzige Herausforderung der Borchert-Pläne. So können das Bau- und Emissionsrecht die Umstellung zu mehr Tierwohl oft blockieren. Auch zur Funktionssicherheit von Tierwohlställen gibt es offene Fragen. Mehr dazu im folgenden Beitrag.