Ein Ferkelaufzüchter hat eine ganze Lieferpartie unkupierter Tiere aufgestallt. Nur mit hohem Tierarzt- und Kontrollaufwand blieb das Schwanzbeißen im Rahmen.
Dr. Diana Busley, Tierarztpraxis Bischoff, Melle
Seit dem 1. Juli dieses Jahres gilt bundesweit der Aktionsplan zum Kupierverzicht. Damit dürfen Sauenhalter die Schwänze ihrer Ferkel nur noch kürzen, wenn dies aus Tierschutzgründen unerlässlich ist.
Wenn dies nicht der Fall ist, sind in der Ferkelerzeugung bzw. Mast mindestens 1% der Plätze mit unkupierten Tieren zu belegen. Inzwischen testen viele Praktiker mit kleinen Gruppen, wie sich der Kupierverzicht umsetzen lässt.
Praxisversuch mit 260 Ferkeln
Auch ein Ferkelaufzüchter aus Nordrhein-Westfalen hat sich mit dem Thema befasst. In Absprache mit dem Ferkelerzeuger sollte bei einem Teil der Tiere das Kupieren unterbleiben. Aus organisatorischen Gründen konnte der Sauenbetrieb nur eine komplette Lieferpartie mit Langschwänzen bereitstellen. Der Sauenhalter hat die unkupierten Saugferkel intensiver kontrolliert und Spielseile als Beschäftigungsmaterial in den Abferkelbuchten montiert.
So stallte der Aufzüchter im Mai dieses Jahres 260 Ferkel mit unkupierten Schwänzen auf. Diese wurden in einem Abteil in vier gleich großen, vollperforierten Buchten untergebracht. Das Futter teilten Breiautomaten mit motorisierter Dosierung zu.
Um keinen Schiffbruch zu erleiden, hat der Betrieb seinen Hoftierarzt sowie seinen Futterlieferanten ins Boot geholt. Allen Beteiligten war klar, dass der Kupierverzicht bei einer ganzen Einstallgruppe sehr schnell hochgradig tierschutzrelevant werden kann! So weisen die eingestallten Dänenferkel zwar eine stabile Tiergesundheit auf. Aufgrund des enormen Wachstumsvermögens besteht allerdings eine erhöhte Gefahr, dass Kannibalismus auftritt.
Spezielles Futterkonzept
Eine der ersten Vorsichtsmaßnahmen war die Anpassung der Aufzuchtration. So haben die Bestandstierärztin und der Fütterungsberater Heinrich Eickhoff der Firma Fehse ein Konzept für unkupierte Ferkel erstellt. Dieses stellt einen Spagat zwischen Wachstum und Sicherheit dar.
Eine entscheidende Säule ist der erhöhte Rohfasergehalt von 4 bis 4,5%. Dies ist rund 1% mehr als der Betrieb zuvor gefüttert hat. Die zusätzliche Rohfaser stammt vor allem aus dem höheren Anteil an Gerste.
Zudem wurde der Eiweißgehalt um 0,5 bis 1% gesenkt, um den Stoffwechsel zu entlasten. Im Gegenzug ergänzt der Futterlieferant die ersten fünf limitierenden Aminosäuren bis zum Tryptophan über das Ferkelfutter. Der Zusatz von Säuren zur pH-Absenkung sowie mittelkettige Fettsäuren stabilisieren den Darm.
Zudem hat das Team Empfehlungen für die wöchentliche Futteraufnahme erstellt. Hier sind die Tiergewichte, das Fütterungssystem und die Genetik eingeflossen. Vor allem eine nach unten abweichende Futteraufnahme sollte als Frühsignal für Probleme dienen.
Reichlich Spielmaterial
Weiterhin hat der Aufzuchtbetrieb zusätzlich attraktives Beschäftigungsmaterial angeschafft. Dieses umfasst Kaustäbe für Ferkel (Bite-Rite), Jutesäcke, Ferkeltorf, Zuckerrübenschnitzel, Miscanthus-Presslinge und Baumäste. Zudem wurde mit dem Hoftierarzt vereinbart, dass dieser bei Problemen umgehend den Betrieb aufsucht. Des Weiteren erfolgte vorab ein Stallklima-Check per Temperatur-Logger.
Auch wurde beschlossen, dass der Betriebsleiter deutlich mehr Tierkontrollen vornimmt. Die Frequenz sollte von zwei auf vier Kontrollen pro Tag verdoppelt werden.
Zu erwähnen ist weiter, dass die Ferkel wenige Tage nach der Aufstallung an Durchfall erkrankten. Die klinische Untersuchung vor Ort lieferte den Verdacht auf eine beginnende Infektion mit Hämophilus parasuis (Glässer) sowie mit pathogenen E. coli.
Um bei dem Durchgang mit 100% unkupierten Ferkeln kein Risiko einzugehen, erfolgte eine antibiotische Gruppenbehandlung über sieben Tage. Dies führte bei der tierärztlichen Nachkontrolle zur vollständigen Genesung.
Probleme durch Influenza
Bis zum Ende der dritten Aufzuchtwoche entwickelte sich der Durchgang dann unauffällig. Danach trat jedoch ein Atemwegsinfekt auf. Die Diagnostik mit Nasentupfern fiel in der PCR positiv für das Influenzavirus aus.
Während der Influenza zeigte die ganze Tiergruppe ein geringgradig gedämpftes Verhalten mit erhöhten Körpertemperaturen von bis zu 41,5°C. Einzeltiere hatten schleimig-eitrigen Nasenausfluss und feuchten Husten.
Um auch hier kein Risiko einzugehen, wurde die Influenza im Rahmen eines abendlichen Notdiensteinsatzes des Tierarztes umgehend behandelt. Die Tiere erhielten über das Futter einen Schleimlöser und einen Fiebersenker. Damit alle Ferkel sofort Zugang zum medikierten Futter hatten, wurden die Breiautomaten zuvor entleert. Zusätzlich erhielten die besonders betroffenen Tiere ein Antibiotikum und einen Fiebersenker per Injektion.
Parallel zur Influenza trat bei zwei Ferkeln Schwanzbeißen auf. Damit sich das Geschehen nicht ausbreitet, waren weitere Maßnahmen nötig. So stellte der Aufzüchter sofort reichlich Ablenkungsmaterial bereit. Bis zum Ausstalltag wurde in allen Buchten im Wechsel Ferkeltorf und Zuckerrübenschnitzel in Schalen vorgelegt. Der Betrieb hat das organische Beschäftigungsmaterial zwei- bis dreimal täglich nachgelegt, damit es frisch und attraktiv bleibt.
Zusätzlich wurden über die gesamte Aufzucht in jede der 60er-Buchten zwei Jutesäcke gelegt sowie je zwei Kaustäbe installiert. Zudem verfügt jede Bucht über eine Halterung für Presslinge aus Miscanthus. Ab der drittletzten Aufzuchtwoche legte der Landwirt außerdem Baumäste in die Buchten.
Der große Einsatz von Ablenkungsmaterial war unverzichtbar. Denn das eingesetzte Schwanzbeißen hätte in der Gruppe mit 100 % unkupierten Ferkeln schnell außer Kontrolle geraten können. Auch bei der Tierkontrolle hat der Landwirt keine Kompromisse gemacht. Nach dem Beginn des Schwanzbeißens hat er die Anzahl der Stalldurchgänge auf bis zu sechs pro Tag erhöht.
Nur zwei verletzte Tiere
Dank der intensiven Betreuung blieb das Schwanzbeißen im Rahmen. Nur zwei Ferkel zeigten Schwanzverletzungen. Sie wurden früh erkannt und sofort in eine Krankenbucht verbracht. Die Schweine mit verletzten Schwänzen wurden über mehrere Tage mit einem Antibiotikum und einem Schmerzmittel behandelt.
Die mehrfach notwendigen Behandlungen der gesamten Tiergruppe führten zu erhöhten Tierarzt- und Medikamentenkosten von knapp 2 € je Ferkel. Zudem war ein vermehrter Einsatz von Antibiotika nötig. Allerdings sind die Mehraufwendungen nicht allein dem Kupierverzicht zuzuordnen.
Das zusätzliche organische Beschäftigungsmaterial schlug mit 215 € für den Durchgang zu Buche. Die vier Kaustäbe haben 120 € gekostet. Sie können aber bei weiteren Durchgängen genutzt werden. Das Ferkelfutter selbst war trotz der Zusätze etwa so teuer wie zuvor. Denn der geringere Sojaanteil und die im Preis gesunkenen freien Aminosäuren wirkten sich positiv aus.
Trotz der mehrfachen Erkrankung schloss der Durchgang mit guten Leistungen ab. So erzielten die Ferkel bei Tageszunahmen von 504 g eine Futterverwertung von 1:1,61. Auch die Verluste waren mit 0,8% gering. Die zwei an Schwanzbeißen erkrankten Ferkel waren zum Ende voll marktfähig.
Ernüchterndes Fazit
Doch die Gesunderhaltung der ganzen Gruppe unkupierter Ferkel war nur mit zahlreichen Vorbeugemaßnahmen und mit stark erhöhtem Arbeitsaufwand zu stemmen. Dieser ist im Praxisalltag nicht umsetzbar:
- Der Landwirt musste vier bis sechs Kontrollgänge pro Tag vornehmen.
- Es kamen sieben verschiedene Be- schäftigungsmaterialien zum Einsatz.
- Der Betreuungsaufwand war insgesamt zwei- bis dreimal höher als üblich.
- Es war ein spezielles Fütterungskonzept notwendig.