Unser Autor Dr. Albert Hortmann-Scholten, LWK Niedersachsen, berichtet
Bereits seit Mitte 2020 schreiben die Ferkelerzeuger in Deutschland rote Zahlen. Das wirkt wie ein Turbo auf den Strukturwandel. Experten rechnen in der November-Viehzählung nur noch mit rund 1,3 Mio. Sauen in Deutschland. Das wären knapp 200 .000 weniger als bei der Viehzählung im Mai 2022.
Dabei sind die Ferkelpreisnotierungen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, sie liegen über dem Niveau der Vorjahre. Sorgen bereiten mit Blick auf das kommende Jahr die weiterhin explodierenden Produktionskosten. Durch den Krieg in der Ukraine sind viele Kostenblöcke in der Ferkelerzeugung derart in die Höhe geschossen, dass selbst höhere Erlöse weiterhin kein positives Ergebnis zulassen. Die Preise für z.B. Ferkelaufzuchtfutter bewegen sich seit März auf einem extrem hohen Niveau (siehe Übersicht 1).
Und trotz Gas- und Strompreisbremse werden sich die Energiekosten in vielen Sauen haltenden Betrieben gegenüber dem letzten Winter verdoppeln.
In der Schweinemast ist die Erlössituation ähnlich angespannt. Steigende Futter- und Energiekosten bei gleichzeitig sinkender Fleischnachfrage haben die Mäster verunsichert. Die Aufstallbereitschaft war im Herbst 2022 phasenweise so stark eingeschränkt, dass trotz eines zurückpendelnden Ferkelangebots Preisdruck aufkam. Viele Sauenhalter hatten große Schwierigkeiten beim Verkauf ihrer Ferkel.
Weniger Futter und Sperma
Die angespannte Situation könnte sich im kommenden Jahr endlich ändern. Denn dann wird das Angebot nochmals deutlich sinken. Kommen dazu weiter positive Signale vom Schlachtschweinemarkt, steht einer Erholung am Ferkelmarkt nichts entgegen. Gleich mehrere Faktoren sprechen für die Trendwende.
Das Angebot an Schlachtschweinen wird im 1. Quartal 2023 deutlich sinken. Zum einen wurden im Vergleich zu den Vorjahren nochmals weniger Ferkel aus den Niederlanden und Dänemark eingeführt. Die vorläufigen Schätzungen der LWK Niedersachsen für das Jahr 2022 liegen zwischen 8,1 und 8,3 Mio. Tieren (siehe Übersicht 2.)
Zum anderen reißt die weiterhin wegbrechende heimische Sauenhaltung ein erhebliches Ferkelloch. Das erkennt man beispielsweise an den Verkäufen der deutschen Mischfutterindustrie. Diese registrierte zum Jahresende 2022 deutliche Umsatzeinbrüche beim Ferkel- und Sauenfutter. Gleichzeitig berichten Besamungsstationen im 4. Quartal 2022 von zweistelligen Einbrüchen beim Spermaverkauf.
Deutschland ist bei der Bestandsentwicklung kein Einzelfall. Die Schweinebestände sinken mittlerweile in der gesamten EU. Die Kommission meldete bereits im Spätsommer 2022 das kleinste Schweineaufkommen seit dem Jahr 2014. Bis auf Spanien dürften laut EU-Prognosen die Bestände im Jahr 2023 in allen Mitgliedsstaaten weiter rückläufig sein. Allerdings stößt man auch in Spanien zusehends an Grenzen.
Ferkelangebot sinkt
Besonders massiv sind die Rückgänge in der Sauenhaltung in Süddeutschland. Die Zahl der Zuchtsauen hat sich in Bayern und Baden-Württemberg seit dem Jahr 1985 mehr als halbiert (siehe Übersicht 3).
Sollte dieser massive Substanzverlust anhalten, dürften in Zukunft erhebliche Probleme auf die süddeutschen Vermarkter zukommen. Weil im Süden künftig heimische Ferkel massiv fehlen werden, sind zum Beispiel die angestrebten Regionalprogramme auf Basis einer 5xD-Verkaufsstrategie akut gefährdet.
Etwas besser sieht die Versorgung mit Ferkeln im Norden Deutschlands aus. Zwar sinken auch in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen die Sauenbestände, aber deutlich langsamer als im Süden. Dennoch dürfte es auch in vielen norddeutschen Regionen zu einer spürbaren Verknappung des Ferkelangebotes kommen.
Im kommenden Jahr rechnen Marktbeobachter damit, dass der Selbstversorgungsgrad in der deutschen Ferkelerzeugung auf rund 70% fällt. Damit bleibt die Bundesrepublik weiter extrem abhängig von Einfuhren aus den Nachbarländern Dänemark und den Niederlanden.
Global steigende Kosten
Betriebswirtschaftler rechnen mit weiter steigenden Grenzkosten in allen Hauptproduktionsländern. Das führt zwangsläufig zu höheren Erzeugerpreisen. Davon werden die Veredler in der EU und in Deutschland profitieren.
Das ist umso wichtiger, weil gerade deutsche Schweinehalter mit immer höheren Produktionskosten zu kämpfen haben. In Deutschland lagen die Vollkosten laut Interpig im letzten Jahr bei 1,79 € je kg Schlachtgewicht (SG). Das sind 20 Cent mehr als 2020. In Dänemark, den Niederlanden und Spanien waren es 1,46 € bis 1,67 €. Um kostendeckend produzieren zu können, müssen die Ferkelnotierungen bei 80 € liegen.
Für das Jahr 2022 liegen zwar noch keine endgültigen Zahlen vor. Experten rechnen aber damit, dass die vollkostendeckenden Erzeugerpreise in Deutschland nochmals um 25 bis 30% angestiegen sind.
Preisspielraum im Handel
Momentan spricht einiges dafür, dass sich die Verhandlungsposition der Erzeuger und der Fleischindustrie gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ein wenig verbessert. Die bisherigen Kostensteigerungen konnte man zwar kaum an den Handel weitergeben. Aber im Jahr 2023 dürfte aufgrund des deutlich fallenden Angebots Spielraum nach oben sein.
Die Fleischbranche warnt angesichts des dramatischen Bestandsabbaus sogar vor Versorgungslücken am deutschen Schlachtschweinemarkt. Nach Ansicht des Verbandes der Fleischwirtschaft (VDF) und des Bundesverbandes der Versandschlachtereien (BDV) werden die Preise für Schweinefleisch in den nächsten Wochen deutlich steigen. Das wird auch die Ferkelnotierungen beflügeln.
Steigende Exporte erwartet
In vielen asiatischen Ländern explodieren die Schweinepreis derzeit regelrecht. In China zum Beispiel lagen die Preise zu Jahresbeginn bei unter 2 €, jetzt sind es rund 5 € je kg SG! In anderen Ländern ist die Situation ähnlich.
Das vergleichsweise gute Preisniveau auf dem Weltmarkt bietet den Europäern gute Chancen für steigende Exporte nach Asien. Marktexperten prognostizieren unter anderem ein höheres Preisniveau bei den Ausfuhren. Dies wiederum dürfte die Ferkel- und Mastschweinepreise hierzulande stützen.
Hilfreich dürfte auch die Tatsache sein, dass Südkorea trotz anhaltender ASP-Probleme in verschiedenen EU-Ländern künftig wieder Schweinefleisch aus der Europäischen Union importieren will. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen der EU und der koreanischen Regierung kann der Export aus Europa nun wieder aufgenommen werden. Der europäische Ansatz der sogenannten Regionalisierung hat die koreanische Regierung zum Umdenken bewegt. Marktbeobachter rechnen in diesem Zuge mit einer Marktentlastung durch steigende Ausfuhren spätestens im ersten Halbjahr 2023.
Weiter positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Fleischindustrie dürfte sich auch der Euro-Dollar-Wechselkurs auswirken. Die Abschwächung der europäischen Währung im letzten Jahr hat die Konkurrenzsituation bei den Schweinefleischausfuhren verbessert.
ITW muss attraktiver werden!
Während es derzeit viele positive Marktsignale gibt, die auf eine nachhaltige Preiserholung im nächsten Jahr hindeuten, bleibt offen, wie viele Sauenhalter davon profitieren werden. Viel hängt vom weiteren Vorgehen bei der Initiative Tierwohl (ITW) ab. Bislang ist die Teilnahmebereitschaft der Sauenhalter sehr gering, weil die finanziellen Rahmenbedingungen nicht passen.
Dabei besteht großes Potenzial für ITW-zertifizierte Ferkel. Allein im Jahr 2023 dürften ca. 13 Mio. ITW-Ferkel fehlen. Bei einem Schlachtvolumen von etwa 47 Mio. Mastschweinen entspricht dies einem Marktanteil von nur 28%. Dabei ist es doch erklärtes Ziel der Initiatoren, die Imbalance zwischen der Anzahl registrierter Mastschweine und nach ITW-Regeln erzeugten Ferkeln auszugleichen. Schließlich soll ab der vierten Programmphase im Jahr 2024 die „Nämlichkeit“ in der gesamten Erzeugungskette hergestellt werden.
Für die unbefriedigende Entwicklung gibt es gleich mehrere Gründe:
- Der von der ITW angebotene Bonus in Höhe von 3,57 € je Ferkel reicht nicht aus, um die notwendigen Investitionskosten in den höheren Haltungsstufen zu stemmen. Hinzu kommt, dass die erforderlichen Investitionen aufgrund der verkürzten Programmlaufzeit in nur 18 Monaten abgeschrieben sein müssen.
- Ein weiterer Knackpunkt ist, dass die Ferkel in jedem Fall in einen ITW-Mastbetrieb verkauft werden müssen. Falls der Mäster aussteigt, droht dem Sauenhalter der Verlust des ITW-Bonus.
- Kritik gibt es auch an dem hohen Organisations- und Kontrollaufwand sowie der damit verbundenen Bürokratie. Das schreckt viele Sauenhalter ab.
- Knackpunkt Nr. 4 ist der Wegfall der bewährten Fondslösung, die den Sauenhaltern bislang Planungssicherheit gibt. Sie soll 2023/2024 abgeschafft werden. Angeblich können die LEH-Konzerne die Ausstattung des ITW-Fördertopfes innerbetrieblich nicht mehr rechtfertigen.
- In der vierten Programmphase wird das ITW-System für ausländische Ferkel geöffnet. Mäster werden ihre Kaufentscheidung dann mehr denn je von den Faktoren Preis, Partiegröße, Qualität usw. abhängig machen. Gerade bei der Partiegröße sind niederländische und dänische Sauenhalter im Vorteil.
- Knackpunkt Nr. 6 ist die offene Zukunft der Initiative Tierwohl. Die von Bundesagrarminister Cem Özdemir geplante verpflichtende staatliche Tierhaltungskennzeichnung könnte den von der Wirtschaft initiierten Labeln massive Probleme bereiten. Entscheidend wird sein, wie sich der Handel verhält und ob er bereit ist, weiterhin in die ITW einzuzahlen. Offen ist außerdem, ob Mäster in der nächsten Programmphase bereit sein werden, den Ferkelerzeugern ein angemessenes Entgelt zu bezahlen. Denn spätestens mit der Einführung der Marktlösung bestimmt der Mäster den Bonus.
Bleiben die Rezessionsängste?
Einfluss auf die weitere Entwicklung wird auch die Höhe der Inflation haben. Stark steigende Lebenshaltungskosten und Rezessionsängste führen zu einer erheblichen Konsumzurückhaltung nicht nur der deutschen, sondern aller europäischen Verbraucher. Im letzten Jahr war der Schweinemarkt einer der Hauptverlierer.
Die hohe Inflation hat bereits deutliche Bremsspuren am Markt für Tierwohlfleisch hinterlassen. Fleischerzeugnisse aus der Haltungsform 2 bleiben immer öfter im Regal liegen. Auch die Fleischwarenindustrie zögert. Sie setzt lieber auf QS-Ware, vagabundierende EU-Ware oder sogenannte Drittlandsware, die sie erheblich preisgünstiger einkaufen kann. Daneben wollen viele Wurstwarenhersteller beim Rohstoffbezug flexibel bleiben und setzten lieber auf „Fleisch aus der EU“.