Die Produktion von Fleisch aus Zellkulturen funktioniert. Jetzt setzt die Branche alles daran, die Produktionsmenge zu steigern.
Laborfleisch, Kunstfleisch, In-vitro-Fleisch, zellbasiertes Fleisch, kultiviertes Fleisch, Clean Meat, schlachtfreies Fleisch: Namen für Fleisch aus Zellkulturen gibt es viele. Letztendlich stehen sie alle für Fleisch, das außerhalb eines lebenden Organismus erzeugt wird.
Zum Herstellungsprozess gehören grob vier Schritte. Zunächst entnimmt man Stammzellen mittels Biopsie aus dem Muskelgewebe eines lebenden oder frisch geschlachteten Tieres. Dabei reichen wenige Stammzellen aus, um die Produktion von verhältnismäßig viel Laborfleisch anzuschieben.
Im zweiten Schritt werden die Zellen in ein Nährmedium gegeben. Anschließend erfolgt die Vermehrung in einem Bioreaktor, in dem die Zusammensetzung des Nährmediums, Sauerstoffzufuhr, Temperatur, pH-Wert und Sterilität genau gesteuert werden. Im Bioreaktor durchlaufen die Zellen dann verschiedene Stadien. Über ein Trägergerüst wachsen sie zu einer Masse zusammen, die der von Hackfleisch ähnelt. Um dem Geschmack von tierischem Fleisch nahezukommen, werden dem farblosen Gewebe Fettzellen zugefügt.
Mehr als 100 Start-ups
Weltweit beschäftigen sich mehr als 100 Start-ups mit der Erzeugung von Fleisch und Fisch aus Zellkulturen. Allein 2020 und 2021 wurden 46 neue Unternehmen gegründet. Viele Investoren geben Gelder für die technologische Entwicklung und Vorbereitung der Markteinführung. Die Finanzmittel erreichen dabei mitunter dreistellige Millionenbeträge.
„Das Vertrauen der Investoren in diese Technologie ist in den beiden letzten Jahren deutlich gestiegen“, berichtet Brian Spears, Gründer von New Age Eats. Das kalifornische Start-up konnte 2021 beispielsweise 25 Mio. US-$ für eine Pilotanlage zur Herstellung von Bratwurst aus Zellkulturfleisch einwerben.
Unternehmen wie New Age Eats finden sich auf allen Kontinenten, wobei sich in den vergangenen Jahren vier Hotspots herauskristallisiert haben. Es sind die USA, Westeuropa (Niederlande, Vereinigtes Königreich, Deutschland), Israel und Singapur. Das Innovationszentrum war zweifellos die Region um die San Francisco Bay in Kalifornien. Allerdings zeichnet sich aktuell ab, dass Israel und Singapur verstärkt die Führung übernehmen, was die Weiterentwicklung der Technologie bei den Zellkulturen betrifft.
Beide Länder sind auf umfangreiche Nahrungsmittelimporte angewiesen und intensivieren deshalb ihre Anstrengungen in puncto Ernährungssicherung. So hat sich die Regierung von Singapur das Ziel gesetzt, bis 2030 etwa 30% der benötigten Lebensmittel im eigenen Land zu erzeugen.
Im Vergleich zu Singapur und Israel mangelt es in Europa an einem konzertierten Vorgehen bei der Forschung und Entwicklung von Fleisch aus Zellkulturen. Marktführer ist das niederländische Unternehmen Mosa Meat.
Raus aus den Kinderschuhen
Die Erzeugung von Fleisch aus Zellkulturen ist in den vergangenen Jahren den Kinderschuhen entwachsen. In allen Prozessschritten haben die Unternehmen Fortschritte erzielt. So gibt es inzwischen stabile Zelllinien, die eine anhaltende Vermehrung der Zellen garantieren. „Auch sind Nährmedien entwickelt worden, die ohne Verwendung des fetalen Kälberhormons ein schnelles Wachstum der Zellen ermöglichen“, berichtet Spears.
Aktuell arbeiten die Unternehmen am sogenannten Scale-up, also der Erzeugung in Großanlagen. Dabei sollen die im Labor verwendeten Bioreaktoren auf Größenordnungen wachsen, die eine Herstellung von für den Markt interessanten Mengen ermöglichen.
Hierfür wird noch sehr viel Investitionskapital benötigt, weil mit Bioreaktoren, die eine Kapazität von mehreren Tausend Litern haben, kaum Erfahrungen vorliegen. Diese Investitionen werden aber erst dann verfügbar sein, wenn eine Marktzulassung vorliegt. „Wir werden 2023 eine neue Investitionsrunde starten und hoffen, dann die benötigten Mittel zur Verfügung zu haben“, so Brian Spears.
Weiter ist da bereits sein Kollege Josh Tetrick, Gründer des Start-ups Eat Just, das Ei-Ersatzprodukte auf pflanzlicher Basis und Geflügelfleisch aus Zellkulturen erzeugt. „Da wir bereits über eine Marktzulassung für Chicken Nuggets und Brustfilets in Singapur verfügen und unsere Ei-Ersatzproduke in Nordamerika und Asien steigende Absatzzahlen verzeichnen, ist es uns gelungen, allein 2021 über 420 Mio. US-$ an Investitionskapital zu generieren“, so Tetrick.
Das Geld steckte der Gründer unter anderem in eine neue Produktionsstätte für Hähnchenfleisch aus Zellkulturen in Singapur. „Während wir 2022 nur einige Hundert Kilogramm erzeugt haben, werden es 2023 mit dem 6000-l-Bioreaktor in Singapur 25000 kg sein“, so Tetrick weiter.
Erste Zulassung in USA
Auch in den USA konnte Tetrick im März 2023 einen Meilenstein verbuchen. Seine Tochtergesellschaft Good Food erhielt von der US-amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) die Marktzulassung für sein durch Zellkulturen erzeugtes Hähnchenfleisch.
In der EU hingegen war bis Ende 2022 noch kein einziger Antrag für In-vitro-Fleisch bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gestellt worden. Hinderlich ist in Europa die anhaltende Diskussion um die Bezeichnung der Produkte und das aufwendige Verfahren der Produktzulassung entsprechend der Novel-Food-Verordnung.
Teure Produktion
Neben den Herausforderungen beim Scale-up und dem Ringen um Marktzulassungen stellen die hohen Produktionskosten ein großes Problem bei der Erzeugung von Fleisch aus Zellkulturen dar. Ein Kostentreiber ist beispielsweise die Herstellung des Nährmediums. Auch die Steuerungssoftware der großen Bioreaktoren ist sehr teuer.
Brian Spears vermutet deshalb, dass es noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis die Unternehmen in der Lage sein werden, Produkte herzustellen, die preislich mit konventionell erzeugtem Fleisch konkurrieren können. Das werden dann seiner Meinung nach aber noch keine Produkte aus 100% kultiviertem Fleisch sein, sondern Hybridprodukte, die neben Fleisch aus Zellkulturen Proteine auf Pflanzenbasis enthalten.
Skeptische Verbraucher
Zusätzlich zum hohen Marktpreis weiß man aus Befragungen von potenziellen Konsumenten auch, dass diese den Produkten zum Teil sehr skeptisch gegenüberstehen. „Viele, die ohne Schwierigkeiten Fleischersatzprodukte auf Pflanzenbasis essen, sind sehr zögerlich hinsichtlich des Verzehrs von kultiviertem Fleisch“, weiß Brian Spears.
Die Unternehmen arbeiten deshalb schon jetzt an Kommunikationsstrategien, die deutlich machen sollen, weshalb eine Anwendung dieser Technologie unverzichtbar ist, wenn man – so ihre Argumentation – die Bevölkerung im Jahr 2050 ernähren und den Klimawandel abmildern will. Außerdem argumentieren sie, dass der Verzehr ihrer Produkte auch gesundheitliche Vorteile bietet.
Markteinschätzung schwierig
Es gibt also noch viele Hürden, die die Unternehmen aus dem Weg räumen müssen, um erfolgreich Fleisch aus Zellkulturen am Markt zu etablieren. Vor diesem Hintergrund sind die Marktaussichten aktuell schwierig einzuschätzen. Eine Studie des Beratungsunternehmens Kearney geht davon aus, dass kultiviertes Fleisch 2030 bereits einen Anteil am Fleischmarkt von 10% haben wird (siehe Übersicht). 2035 sollen es dann schon 22% sein.
Die beiden Gründer Spears und Tetrick halten diese Prognose jedoch für zu optimistisch. „Ich gehe davon aus, dass Fleisch aus Zellkulturen – und hierbei dürfte es sich zu einem hohen Anteil um Hybridprodukte handeln – im Jahr 2030 nur einen Anteil von maximal 5% am weltweiten Umsatz von Fleisch erreichen kann“, teilt Brian Spears seine Markteinschätzung. „Auch ich rechne nicht damit, dass 2030 bereits Umsätze in Milliardenhöhe mit Fleisch aus Zellkulturen getätigt werden können“, ergänzt Josh Tetrick.
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Prof. Dr. Hans-Wilhelm Windhorst, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover