Die Ferkelerzeuger können auf die Kastration nicht verzichten. Jetzt gilt es, den Eingriff unter Lokalanästhesie weiter zu optimieren.
Fred Schnippe, SUS
Die Kastration gehört zu den Kernthemen für die Ferkelerzeuger. So herrscht in der Fachwelt weitgehend Konsenz: Die Ebermast, die Immunkastration und die Kastration unter Vollnarkose reichen als alleinige Lösungen nicht aus.
Auch die vom Berliner Agrarressort stark geförderte Kastration mit dem Narkosegas Isofluran hat ihre Tücken. Fachleute weisen schon länger auf die Gesundheitsgefahren für den Anwender hin. Hinzu kommen Tierschutz-relevante Nachteile beim Isofluran.
Landwirte und Fachtierärzte fordern daher auch die Kastration mit lokaler Betäubung zu ermöglichen. Positive Erfahrungen aus Skandinavien belegen, dass dieser Weg gangbar ist.
Votum für Lokalbetäubung
Welche enorme Bedeutung die Kastration mit Lokalanästhesie für unsere Ferkelerzeuger hat, zeigt eine online- Umfrage der SUS. Binnen weniger Tage haben sich 410 Praktiker beteiligt! Die erste Frage: Wie wichtig ist die lokale Betäubung? Das Ergebnis ist eindeutig. So bewerten fast 87% der Teilnehmer die Kastration mit Lokalbetäubung als Existenzfrage für ihren Betrieb (siehe Übersicht).
Nur knapp 8% der Befragten halten die Ebermast bzw. die Immunokastration in ihrem Betrieb für umsetzbar. Hier spiegeln sich die begrenzten Absatzmöglichkeiten für Jungeber bzw. die Ablehnung der Schlachthöfe für die Eber-Impfung wider.
Auch die Kastration mit Vollnarkose bekommt wenig Zuspruch. Nur 3,5% der Teilnehmer bewerten sie als gute Alternative. Neben der starken Belastung für die jungen Ferkel mit Totalverlusten sowie rechtlichen Unklarheiten dürften hier der hohe Zeitaufwand und die Kosten eine Rolle spielen.
In der zweiten Frage ging es darum, ob die Kastration mit Lokalbetäubung politisch umsetzbar ist. Hier sind Viele optimistisch. Knapp 58% der Teilnehmer denken, dass die Politik die Wichtigkeit erkennt und die Lokalanästhesie ermöglicht. Möglicherweise wird die zweijährige Fristverlängerung bis zum Verbot der betäubungslosen Kastration als positives Signal gesehen. Allerdings rechnet gut ein Drittel der Teilnehmer mit erheblicher Gegenwehr der Tierschützer. Diese könnte dazu führen, dass Berlin die Kastration mit lokaler Betäubung weiter blockiert.
Nach Schulung machbar
Ein sehr positives Votum zeigt die Umfrage dagegen beim Thema Schulung. So trauen sich mehr als 90% der Landwirte zu, die Lokalbetäubung nach einer Schulung selbst auszuführen. Nur 6% der Befragten sind sich in diesem Punkt unsicher. Dass Tierärzte die Lokalanästhesie durchführen sollten, sagen lediglich 3% der Teilnehmer.
Zum Abschluss ging es um die Applikation des Lokalanästhetikums. Die Frage: Ist die Injektion in den Hoden kommunizierbar? Knapp die Hälfte beantwortet dies mit ja. Denn ähnlich wie beim Zahnarzt lindert die Injektion den Schmerz.
Allerdings denken 34% der Befragten, dass wir eine schonendere Applikation benötigen. Knapp 16% sind sogar überzeugt, dass der Verbraucher die Injektion in die Hoden ablehnt.
Insgesamt zeigt die Umfrage: Die Kastration mit Lokalanästhesie ist existenziell für die Zukunft unserer Sauenhaltung. Doch bei der politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz gibt es große Herausforderungen.
Betäubung optimieren
Ein Manko der Kastration mit Lokalanästhesie ist die Injektion in die Hoden. Zwar praktizieren auch die Norweger, Schweden und Dänen diesen Weg. Doch selbst mit einer äußerst dünnen Nadel ist die Injektion in den Hoden gegenüber Teilen der Bevölkerung wohl schwer vermittelbar. Zudem nutzen Tierschutzaktivisten diesen Punkt, um die Kastration mit Lokalanästhesie als Ganzes abzulehnen.
Alternativ zur Gabe in den Hoden ist die Anwendung mittels Infiltration denkbar. Diese umfasst das Einströmen einer Substanz in das Gewebe. Bei der Infiltration wird das Lokalanästhetikum in den Hodensack sowie in dieLeistengegend injiziert. Das Betäubungsmittel infiltriert dann ins umliegende Gewebe, so dass auch die Hoden und die Samenleiter betäubt sind. Diese Methode hat allerdings den Nachteil, dass es zur ungewollten Injektion in ein Blutgefäß kommen kann.
In Fachkreisen wird daher eine dritte Betäubungsmethode diskutiert – die Leitungsanästhesie. Hier wird das Betäubungsmittel in der Nähe der Nerven platziert, welche die Schmerzen aus dem Genitalbereich ans Gehirn leiten. Ähnlich arbeiten Zahnärzte. Sie betäuben nicht den zu behandelnden Zahn sondern den zugehörigen Nerv.
Nadellose Injektion schont
Um das Betäubungsmittel für die Leitungsanästhesie schonend zu applizieren, ziehen Fachleute die sogenannte transdermale Applikation in Erwägung. Hierzu können Druckluftspritzen dienen, wie sie bereits bei Impfungen erfolgreich verwendet werden.
Denkbar ist eine Applikation per Druckluft in die Hoden. Diskutiert wird zudem eine Injektion leicht oberhalb der Hoden. Der zentrale Wirkort des Lokalanästhetikums ist dabei der schmerzableitende Nerv. Fachleute sprechen von der perineuralen Anwendung. Mit dieser Applikationsstelle würde man die leidige Diskussion um den Stich in die Hoden umgehen.
Mit der transdermalen, nadellosen Lokalanästhesie verbinden Tierärzte große Vorteile für das Tierwohl:
- Es ensteht kein Injektionsschmerz.
- Kleine Betäubungsmittelmengen um 0,2 ml reichen vermutlich aus.
- Die Gefahr von Fehlinjektion ist deutlich geringer.
- Die Applikation ist sehr schnell und damit stressarm für das Tier.
- Die Blutungsgefahr ist geringer.
- Die Gefahr der Erregerübertragung ist minimiert.
Vorteile verspricht die nadellose Injektion auch bei der Wirksamkeit der Betäubung. So zeigen Untersuchungen an toten Ferkeln, dass die Applikation per Druckluft eine optimale Eindringtiefe und breite Verteilung im Gewebe erzielt. Für die Versuche wurde die Injektionslösung eingefärbt. Die gute Verteilung im Gewebe gewährleistet nach Einschätzung von Fachleuten trotz der geringvolumigen Gabe einen raschen Wirkungseintritt am Nerv.
Ein weiterer Pluspunkt der Lokalanästhesie mit modernen Druckluftgeräten ist die Dokumentation. Denn mithilfe der RFID-Technologie machen neue Spritzen die Anwendung nachvollziehbar. Dies geschieht über einen Chip im Medikamentenbehältnis. Trägt das Ferkel eine RFID-Ohrmarke, ist sogar die Einzeltier-Zuordnung möglich. Dank einer Bluetooth- oder WLAN-Schnittstelle können die Daten bei Nachfrage an die Behörden übertragen werden.
Rechtliche Hürden
Doch warum wird nicht mit Hochdruck an dieser Lösung gearbeitet? Das größte Hindernis liegt im rechtlichen Bereich. So hat bislang keines der für Schweine zugelassenen Lokalanästhetika eine Freigabe für die Applikation per Druckluft.
Ob ein Pharmahersteller die Zulassung bald beantragt, ist fraglich. Denn die Zulassung ist aufwändig und teuer. Ohne politische Rückendeckung für die Kastration mit Lokalbetäubung schrecken die Hersteller zurück.
Ein weiterer Hemmschuh ist die Verfügbarkeit der Druckluft-Spritzen. Zwar bieten verschiedene Hersteller die Geräte in Deutschland an. Doch gerade die modernsten Spritzen stehen aufgrund von Verträgen zwischen Herstellern und Impfstoffanbietern nicht für die Lokalanästhesie bereit. So erhalten die Landwirte die Druckluft-Injektoren nur im Paket mit dem Impfstoff bestimmter Anbieter.
Die Weiterentwicklung der nadellosen Lokalanästhesie wird sich daher auf wissenschaftliche Studien fokussieren. Doch auch hier sind hohe Hürden zu nehmen. So ist aufgrund der fehlenden Zulassung der Anästhetika für die nadellose Injektion ein Tierversuch zu beantragen. Dies ist aufwändig und kann Widerstände auslösen.
Die Hoffnungen ruhen jetzt insbesondere auf der Klinik für Schweine der LMU München. Sie führt die Studie zur Kastration mit lokaler Betäubung für die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) durch. Ein Aspekt ist die Erprobung weiterer Applikationswege. Bleibt zu hoffen, dass die zukunftsweisende Gabe per Druckluft hier ebenfalls einfließt.
Fazit
- Die Kastration mit Lokalanästhesie ist existenziell für die Sauenhalter.
- Doch politische Vorbehalte verhindern die Freigabe des Verfahrens.
- Die Lokalanästhesie per Druckluft kann die Akzeptanz stark verbessern.
- Rechtliche Hürden blockieren aber die Erprobung in der Praxis.
- Die Hoffnungen ruhen jetzt auf den neuen Studien der LMU München.