Im KoVeSch-Projekt wurden Frühindikatoren für Schwanzbeißen identifiziert. Mithilfe Künstlicher Intelligenz sollen sie den Schweinehalter warnen, wenn sich Probleme anbahnen.
Schwanzbeißen ist eine Verhaltensstörung, die durch verschiedene Faktoren ausgelöst wird. Allen voran haben die Haltungsumgebung, die Tiergesundheit, das Klima und das Platzangebot großen Einfluss darauf, ob es in einem Bestand zu Problemen kommt.
Das routinemäßige Kupieren der Schwänze ist eine effiziente, aber auch gesellschaftlich stark umstrittene Vorbeugemaßnahme. Deshalb beschäftigt sich die Branche seit einigen Jahren mit der Haltung unkupierter Schweine. Doch die Praktiker stoßen immer wieder an Grenzen und es kommt selbst unter vermeintlich besten Haltungsbedingungen zu tierschutzgefährdenden Situationen in den Ställen.
Auch die Forschung hat sich u.a. im Konsortialprojekt zum Kupierverzicht beim Schwein (KoVeSch) diesem Thema angenommen. Das Projekt lief von 2019 bis 2021 an mehreren Versuchsanstalten, darunter das Lehr- und Versuchszentrum (LVZ) Futterkamp und die Versuchsstation (VS) Wehnen. Die Forscher haben unkupierte Ferkel bzw. Mastschweine in konventionellen sowie optimierten Buchten gehalten und sind dabei auch der Frage nachgegangen, welche Frühindikatoren es für Schwanzbeißen gibt. Die sogenannten KomfortPlus-Buchten gingen im Standard weit über das gesetzliche geforderte Maß an die Haltungsbedingungen hinaus.
Fokus auf Buchtenstruktur
Im Versuch wurde darauf geachtet, dass sich die optimierten Aufzucht- und Mastbuchten durch eine klare Strukturierung in verschiedene Funktionsbereiche von der konventionellen Aufstallung absetzten. Angefangen mit dem überdachten Liegebereich, wo den Tieren eine Minimaleinstreu als Beschäftigungsmaterial angeboten wurde.
Daran schloss sich der Aktivitätsbereich an, der mit Beckentränken und Futterplätzen ausgestattet war. Gefüttert wurde Trockenfutter ad libitum an Lang- bzw. Kurztrögen. Der vollperforierte Kotbereich kennzeichnete sich durch ein Kontaktgitter zur Nachbarbucht aus. Zudem war hier eine Mikrosuhle installiert worden, um den Tieren Abkühlung zu verschaffen.
Auch das Platzangebot bzw. das Tier-Fressplatz- und das Tier-Tränkeplatz-Verhältnis schraubten die Wissenschaftler kräftig nach oben. So lag das Platzangebot in der Aufzucht und Mast bei 0,5 bzw. 1,5 m² pro Tier. In den Standardbuchten wurde mit 0,38 m² und 1 m² je Tier aufgestallt.
Keine Unterschiede gab es in puncto Beschäftigungsmaterial. In beiden Haltungsgruppen standen den Tieren Sisal- oder Baumwollseile und Beschäftigungsfutter zur Verfügung. Letzteres wurde aus verschiedenen Bestandteilen zusammengemischt. Darunter Ferkelmüsli, Dinkelspelzen-, Luzerne- und Graspellets, Ackerbohnen, Erbsen sowie Körnermais.
Verschiedene Indikatoren
Für das Projekt wurden im Vorfeld Frühindikatoren selektiert, die potenziell am besten die Entstehung von Schwanzverletzungen erklären können. An erster Stelle ist dabei die Schwanzhaltung zu nennen. Im Versuch differenzierte man hier zwischen geringelt bzw. erhoben und hängend, eingeklemmt oder wedelnd.
Auch die Tiergesundheit wurde bonitiert. Neben Hautverletzungen erfassten die Wissenschaftler anhand gängiger Symptome, wie Husten, Durchfall oder Lahmheiten, ob die Tiere an Erkrankungen der Atemwege, des Verdauungstrakts oder des Bewegungsapparats litten. Zusätzlich stellte man für jede Bucht nach QS-Vorgaben einen Therapieindex auf, wobei Behandlungen wegen Schwanzbeißen in allen Altersgruppen ausgeklammert wurden.
Sowohl die Schwanzhaltung als auch die Tiergesundheit wurden im Rahmen der täglichen Kontrolle von Montag bis Freitag als Anzahl betroffener Schweine pro Bucht ermittelt. Das Gewicht wurde beim Absetzen und am Ende der Aufzucht pro Schwein erhoben und als Mittelwert pro Bucht verwendet.
Verschiedene automatisch erfasste Parameter rundeten die Auswahl an Indikatoren ab. Mittels Sensoren auf Buchtenebene maßen die Forscher den Wasserverbrauch pro Schwein, die Aktivität, die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit. Die NH3- bzw. CO2-Konzentration, die Abluftrate sowie die Außentemperatur wurden für das jeweilige Abteil erhoben.
Um die Entwicklung von Schwanzbeißen abzubilden, fand zweimal pro Woche bei jedem Schwein eine Bonitierung der Schwanzverletzungen statt. Dabei kam der Deutsche Schweine-Boniturschlüssel (DSBS) zum Einsatz und man stellte zwei Kategorien auf:
- Keine Schwanzverletzungen (keine oder nur oberflächliche Durchbrechungen der Haut)
- Schwanzverletzungen (klein- und großflächige Durchbrechungen der Haut)
Anhand dieser Daten wurde pro Bucht und Boniturtag ein Prozentwert für das Auftreten von Schwanzverletzungen ermittelt.
Schwanzhaltung Als Signal
Insgesamt werteten beide Versuchsanstalten 30 Durchgänge mit knapp 3800 Tieren aus. Dabei kristallisierte sich sowohl in der Aufzucht als auch in der Mast die Schwanzhaltung als stärkster Frühindikator für ein sich anbahnendes Schwanzbeißgeschehen heraus (siehe Übersicht). Je mehr hängende, eingeklemmte und wedelnde Schwänze beobachtet wurden, desto mehr Schwanzverletzungen traten wenig später auf.
Dazu gab es noch andere geeignete Frühindikatoren, wobei sich teils Unterschiede zwischen den Produktionsstufen auftaten. So konnte bei den Ferkeln ein Zusammenhang zwischen einer höheren Anzahl an Tieren mit Hautverletzungen und dem Auftreten der Verhaltensstörung hergestellt werden. Gleiches galt für einen auffälligen Therapieindex in der Säugezeit, einen gesteigerten Wasserverbrauch und starke Aktivität.
In der Mast entpuppte sich vor allem eine erhöhte Anzahl an lahmenden Schweinen als Vorbote eines Schwanzbeißgeschehens. Zudem verhielt es sich mit der Aktivität konträr zu den Ferkeln. Denn hier kündigte eine zurückgehende Aktivität Probleme an. Der Abluftrate, im Versuch als allgemeiner Indikator für die Luftqualität eingesetzt, wurde eine ähnliche Bedeutung beigemessen.
Mit KI gegen Schwanzbeißen
Anders als in einem groß angelegten Versuch fehlt es auf den Praxisbetrieben oftmals an der Zeit, die unkupierten Tiere in einem derartigen Umfang zu betreuen. Aus diesem Grund verwendeten die Forscher ihre ermittelten Frühindikatoren, um mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) eine automatische Früherkennung für das Schwanzbeißen zu entwickeln.
Das Vorhersagemodell funktionierte so, dass es täglich anhand der selektierten Frühindikatoren das Auftreten von Schwanzverletzungen für bis zu fünf Tage im voraus schätzte. Die Genauigkeit der Vorhersage wurde als Übereinstimmung zwischen dem wahren und geschätzten Vorkommens von Schwanzverletzungen pro Tag ermittelt. Um zu testen, ob das im LVZ Futterkamp entwickelte Modell auch auf andere Schweinebetriebe übertragbar ist, wurden in einer weiteren Versuchsreihe die Datensätze der VS Wehnen verwendet.
Gerade bei der Vorhersage einen Tag vor dem Auftreten von Schwanzverletzungen war die Erfolgsquote des Frühwarnsystems sehr hoch. So lag auf Basis der Daten des LVZ Futterkamp in der Ferkelaufzucht die Genauigkeit der Vorhersage bei 95%. In der Mast wurden sogar 96% erreicht. Bei der Übertragung der Methode auf die Daten von der VS Wehnen war die Trefferquote bei den Ferkeln mit 87% und bei den Mastschweinen mit 93% ebenfalls gut.
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