Mithilfe der Künstlichen Intelligenz werden Eber mit Spermamängeln bereits vor dem Besamungseinsatz ausselektiert. Jetzt wurde die Technologie „FertiBoar“ weiter verbessert.
Erfolg im Stall beginnt mit der Auswahl der richtigen Genetik. Doch was macht eine gute und richtige Genetik aus? Betrachtet man die Ebergenetiken am Markt, spielen in erster Linie die Produktionsleistungen wie Tageszunahmen, Fleischfülle und Futteraufnahme eine wesentliche Rolle. Zudem sind in den vergangenen Jahren Robustheit und Vitalität deutlich stärker in den Fokus gerückt.
Doch die richtige Genetik beschränkt sich nicht allein auf die Leistungsmerkmale im Stall und am Haken, sondern berücksichtigt beispielsweise auch die Belange der Besamungsstationen. Ein wichtiges Kriterium ist dabei die Spermaqualität. So hat eine aktuelle Studie gezeigt, dass europaweit ca. 17% aller Jungeber an den KB-Stationen ausfallen, davon mehr als 50% aufgrund schlechter Spermaqualität – wobei die Ergebnisse je nach Eberrasse und Station stark variieren.
Das bedeutet: Je weniger Spermamängel die eingekauften Jungeber haben, umso weniger Ausfälle verzeichnen die KB-Stationen. Letztlich können sie so die Kapazitäten der Quarantäne- und Produktionsställe effektiver nutzen und mehr qualitativ hochwertige Besamungseber anbieten.
Auch für Sauenhalter wichtig
Ein hohes Qualitätsniveau ist auch vorteilhaft für die Sauenhalter. Denn die Spermaqualität beeinflusst die Abferkelrate und Wurfgröße. Verschiedene Studien beschreiben eine Steigerung der Wurfgröße um mindestens 0,17 geborene Ferkel je 10% weniger anormalen Spermien in der Besamungsportion.
Dies entspricht unter Annahme üblicher Leistungsdaten (7% Totgeburtenrate, 10% Ferkelverluste, 2,4 Würfe/Sau pro Jahr) sowie einem Ferkelpreis von 70 € rund 24 € je Sau und Jahr, also fast 12.000 € für einen Betrieb mit 500 Sauen – allein durch die Reduktion der anormalen Spermien. Und auch wenn es festgelegte Qualitätsstandards gibt und die Besamungsstationen nachweisbar dafür sorgen, dass genügend gute Spermien in jeder Besamungstube sind, sind solche Abweichungen von 10% in der zugelassenen Spannbreite vorhanden.
Hoden-Check vor KB-Einsatz
Doch wie lässt sich die Spermaqualität beurteilen, bevor die Jungeber aufgestallt und zum ersten Mal abgesamt worden sind? Mit dieser Fragestellung beschäftigten sich das Institut zur Fortpflanzung Landwirtschaftlicher Nutztiere (IFN) in Schönow und das Zuchtunternehmen PIC Ende der 2010er-Jahre in einem vierjährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekt.
Im Rahmen des Projekts wurden von mehr als 1.600 Ebern Ultraschallbilder der Hoden erstellt, einmal zu Beginn ihrer Leistungsprüfung mit 100 Tagen und einmal am Ende, also bei der Selektion mit ca. 170 Tagen. Eine Software analysierte die Bilder anhand ihrer unterschiedlichen Grautöne und anhand der Anordnung der Bildpixel. So erhielt man Informationen über die Dichte des Hodengewebes, über verschiedene anatomische Strukturen und über Anomalien wie Ödeme oder Abszesse.
1.600 Eber für KI-Training
Die „geschallten“ Eber wurden an die Besamungsstationen ausgeliefert und durchliefen dann den üblichen Eingliederungsprozess inklusive Training für die Spermaabnahme. Die dabei gewonnenen Ejakulate sandte man zum IFN, das im Labor die Qualitätsparameter ermittelte und mit den Informationen über die Hodenstrukturen verknüpfte. Diese Daten bildeten schließlich die Grundlage zum Anlernen einer Künstlichen Intelligenz (KI), genannt FertiBoar.
Die KI sagt die spätere Spermaqualität anhand der Ultraschallbilder mit hoher Genauigkeit voraus. So werden junge Eber, bei denen FertiBoar Spermamängel prognostiziert, noch vor der Auslieferung an eine Besamungsstation und somit auch vor der ersten Samenentnahme identifiziert und gemerzt. Seit der Praxiseinführung von FertiBoar Ende 2021 wurden mehr als 3.000 Eber (PIC408) untersucht und die Ausfallquote von Jungebern in Besamungsstationen um ca. 50% gesenkt.
Videos statt Bilder
Die KI-Technologie wird seitdem laufend weiterentwickelt. So wurden die Messungen beschleunigt und von Bildern auf Videos umgestellt. Aus dem Videomaterial werden nun die besten Bilder automatisch herausgefiltert. In Summe führen die Anpassungen dazu, dass die Genauigkeit von FertiBoar weiter verbessert wird.
In Zusammenarbeit mit der Federal University of Minas Gerais (Brasilien) wurden zudem im letzten Jahr weitere 1.500 Eber unterschiedlicher Rassen und Altersgruppen mittels Hodenultraschall untersucht. Die Datenerhebung als Teil einer Promotionsarbeit legt den Grundstein zur Routineimplementierung der Technologie bei weiteren Eberlinien.
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Michael Kleve-Feld, PIC