Die Züchter sollen zur tiergerechten und umweltfreundlichen Produktion beitragen. Was das für ein regionales Zuchtprogramm bedeutet, erklärt Prof. Dr. Kay-Uwe Götz, LfL Grub.
Heinrich Niggemeyer, SUS
Die Schweinezucht ist dynamisch. Wie haben sich die Schwerpunkte verändert?
Wir kommen aus einer Phase der Forschung und Beratung, in der die Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Betriebe im Mittelpunkt der Bestrebungen stand. Derzeit und in Zukunft noch viel stärker rückt das Tier mit seinen Bedürfnissen ins Zentrum. Das bedeutet, dass wir einerseits noch mehr Rücksicht auf das Befinden der Tiere nehmen müssen. Andererseits werden wir den Sektor Schweineproduktion und seine Auswirkungen auf die Umwelt betrachten müssen. Schweinehaltung wird damit tiergerechter und umweltfreundlicher. Auf dem Weltmarkt werden wir jedoch nicht mehr mithalten können.
Landwirte wollen robuste Ferkel. Hat es hier Zuchtfortschritte gegeben?
Schon immer wollten Landwirte gesunde und robuste Tiere. Zwischen Wollen und Können liegen jedoch in der Schweinezucht immer die möglichst objektive Erfassung vieler Daten und die Entwicklung einer Zuchtwertschätzung. Hier haben wir in der jüngeren Vergangenheit große Fortschritte gemacht, und wir nutzen heute systematisch viele Daten aus den Sauenplanern der Ferkelerzeuger. In Bayern erfassen wir neben den Anomalien auch die tot geborenen und die zu leicht geborenen Ferkel und wir schätzen auch Zuchtwerte für akzessorische Bursen (Liegebeulen).
Die Wurfgröße übersteigt teils die Anzahl Zitzen. Wie ist dies zu bewerten?
Ich sehe diese Entwicklung kritisch. Objektiv betrachtet kann man das durch künstliche Ammen lösen, aber das ist der Gesellschaft im 21. Jahrhundert nicht mehr zu vermitteln. Wir bemängeln beim Rind die frühe Trennung von Kuh und Kalb und schaffen in der Schweinezucht Tatsachen, die uns gar keine andere Möglichkeit lassen als einen Tag alte Ferkel von ihrer Mutter zu trennen? Das passt nicht zusammen.
Wie viel Zitzen sollte eine Sau haben?
Ich glaube, dass wir bei 8/8 ein Optimum haben. Mehr Zitzen wären nur an einer längeren Sau von Vorteil, was aber Nachteile für die Statik und damit für die Nutzungsdauer mit sich bringt. Die Qualität der 16 Zitzen ist von größerer Bedeutung und da haben wir im vergangenen Jahrzehnt gute Fortschritte gemacht.
Stichwort Außenklimaställe: Brauchen wir temperaturresistentere Tiere?
Der Klimawandel ist eine von zwei großen Herausforderungen für die Schweinehaltung. Wir müssen aber Klima, Haltung, Fütterung und Leistungsniveau gemeinsam betrachten. Wir werden einen Wechsel der wesentlichen Futterinhaltsstoffe erleben und damit einen Rückgang der Wachstumsleistung. Das erleichtert es den Tieren, hohe Temperaturen zu ertragen. Ebenso werden wir mit Minisuhlen den Tieren passive Kühlung ermöglichen. Bei niedrigen Temperaturen müssen wir geeignete Maßnahmen, insbesondere für die jungen Tiere, umsetzen. Hier werden wir die bewährten Lösungen für wärmeres Mikroklima auch bei Außenklimakontakt weiterentwickeln müssen. Aber auch dazu gibt es schon gute Ansätze.
Gibt es Tiere, die N-/P-reduziertes Futter besonders gut verwerten?
Das ist im Moment ein interessantes Forschungsthema. In der Schweiz glaubt man, entsprechende Linien identifiziert zu haben und auch bei uns laufen erste Projekte an. Ich glaube, dass wir züchterische Ansätze finden werden, aber die Erfahrung zeigt, dass Quantensprünge selten sind. Die Herausforderung wird deshalb auch in diesem Bereich darin liegen, die Effizienz einzelner Tiere zu messen und dies kontinuierlich züchterisch zu nutzen.
Wir sollen nachhaltig mit Ressourcen umgehen. Sind Hochleistungsrassen per se im Vorteil?
Nachhaltigkeit bemisst sich nicht an der Effizienz, sondern am Ressourcenverbrauch eines Sektors. In der Vergangenheit hat eine bessere Futterverwertung immer zu mehr Ressourcenverbrauch geführt, weil die Produktion stieg. Bei der gegenwärtigen Fütterung hat das Schwein keine Chance, mit dem Geflügel zu konkurrieren. Auch die effizientesten Schweine haben eine schlechtere Futterverwertung als ein Broiler. Nachhaltigkeit heißt in Zukunft vor allem möglichst wenig Nahrungskonkurrenz zum Menschen, und hier sehe ich für Schweine gute Chancen. Die Nutzung von Nebenprodukten und Reststoffen, aber auch die Verwertung von Abfällen und Speiseresten sind Nischen, in denen das Geflügel nicht konkurrenzfähig ist.
Haben Merkmale der Mütterlichkeit das Potenzial, die Ferkelverluste zu senken?
Freies Abferkeln und Gruppenhaltung ferkelführender Sauen werden in Zukunft im Trend sein. Hierzu bedarf es guter Muttereigenschaften und diese müssen systematisch erfasst werden. Die LfL hat hierzu eine Mütterlichkeitskarte und einen Mütterlichkeitsindex entwickelt. Wir müssen in der Diskussion aber immer darauf hinweisen, dass Schweine biologisch so angelegt sind, dass ein gewisser Anteil an Verlusten einprogrammiert ist. Es ist kein realistisches Ziel, null Prozent Ferkelverluste anzustreben.
Lässt sich das Thema Schwanzbeißen züchterisch lösen?
Das ist eine spannende Frage. Die bisherigen Ansätze identifizieren hauptsächlich Opfer des Schwanzbeißens und die genetischen Auswertungen zeigen hierfür eine geringe Erblichkeit. Auch wissen wir nicht, was wir mit einer Selektion gegen den Opferstatus erreichen würden. Würden die Schweine abwehrbereiter? Würden sie nervöser? Ich sehe da wenig Ansätze.
Die Identifizierung von Tätern in den Größenordnungen, die man für die Zucht brauchen würde, ist eine noch größere Herausforderung. Hierzu braucht man viele Tiere mit bekannten Abstammungen, die man automatisch in der Bucht identifizieren kann. Dann könnte man mit der Auswertung von Videos mithilfe von künstlicher Intelligenz Beißgeschehen erkennen und die Täter identifizieren. Auch hierzu gibt es erste Versuche in Osnabrück und in Boxberg.
In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit darf aber nicht der Eindruck entstehen, dass hierdurch Haltungsmängel mit züchterischen Ansätzen überdeckt werden. Das wäre z.B. bei der Zucht auf sehr kurze Schwänze der Fall.
Die Qualität von Schweinefleisch wird von einigen Verbrauchern nicht besonders hoch eingeschätzt. Brauchen wir Gourmetlinien?
Es ist bedauerlich, dass sich Aussagen über die Qualität von Schweinefleisch auch heute noch an Problemen der achtziger Jahre orientieren. Schweinefleisch hat schon lange keine bedeutenden Qualitätsmängel mehr, aber der Genusswert lässt sich noch verbessern. Hierzu gehören das Safthaltevermögen und das intramuskuläre Fett. Beides wird schon längere Zeit bearbeitet, aber ohne starke Gewichtung im Zuchtziel.
Züchterisch macht es deshalb durchaus Sinn, Gourmetlinien zu entwickeln. Solten sich die Futtergrundlagen ändern, müsste man dies berücksichtigen.
Können regionale Zuchtprogramme mit den weltweit tätigen Zuchtfirmen mithalten?
Wenn sie auf sich allein gestellt sind, können sie das nicht. Aber zum Glück unterstützen ja viele Regierungen noch die bäuerliche Zucht im eigenen Land durch Leistungsprüfung, Zuchtwertschätzung und vor allem durch hochkarätige Forschung. Das hat in der Vergangenheit immer ausgereicht, um im Wettbewerb zu bestehen. Die verbleibenden von Landwirten getragenen Programme sollten aber intensiver zusammenarbeiten, um vorhandene Synergien zu nutzen. Ich glaube, dass in Mitteleuropa in der näheren Zukunft der Grundgedanken bäuerlich und tierwohlorientiert den Ansatz industriell und profitorientiert schlagen wird.
Welche Anforderungen stellt die nachhaltige Schweineproduktion in Bayern?
Bayern ist nach wie vor ein Markt mit einer starken Betonung des Fleischanteils. Die Metzgervermarktung hat an Bedeutung verloren, dennoch wird in einigen Jahren die Regionalität bei der Schlachtung wiederkehren. Bayern, mit seinen kleinen Strukturen, sollte diesen Weg früher gehen als die exportorientierten Erzeuger im Norden. Die Ferkelerzeugung hat in den letzten Jahren schwere Zeiten erlebt, aber in einigen Jahren wird Bayern im Zuge der Regionalisierung der Produktion seine Ferkel wieder selbst erzeugen.
Was würden Sie jungen Schweinezüchtern raten, um ihnen Mut zu machen?
Die Situation wird schwierig bleiben und wir haben leider bis heute noch keine Strategie gegen Influencer, die unter dem Deckmantel des Tierschutzes die Abschaffung der Nutztierhaltung betreiben. Nutztiere gehören zu einer zukunftsfähigen Landnutzung, und zwar auch die Schweine! Aber wir werden einen massiven Strukturwandel erleben, das wird eine harte Zeit.
Für die Besten ist aber immer ein Platz! Junge Landwirte sollten nicht allein auf verbindliche politische Vorgaben hoffen, sondern versuchen, im Rahmen des Möglichen zukunftsfähig zu investieren, d.h. eine möglichst gute Lage für den Stall anstreben und baulich-räumlich möglichst flexibel bleiben.