Moskau pumpt Milliarden in die Tierhaltung. Wie stark ist RusslandsSchweinehaltung jetzt? Was heißt das für unsere Fleisch-Exporte?
Fred Schnippe
Russlands Importstopp für EU- Schweinefleisch greift inzwischen fast drei Jahre. Im Februar 2014 verloren hiesige Exporteure damit ihren wichtigsten Drittlandsmarkt. Sie konnten noch 2013 rund 750000 t Schweinefleisch für 800 Mio. € nach Russland ausführen.
Inzwischen ist klar: Mit einer baldigen Aufhebung des russischen Embargos ist nicht zu rechnen. Zu tief sind die Gräben zwischen Russland und Europa auf politischer Ebene.
Fraglich ist auch, in welchem Maße Russland künftig noch Schweinefleisch aus Europa braucht. So hat Moskau seine Importe aus Nicht-EU-Ländern in den letzten drei Jahren kräftig hochgefahren. Profitiert hat vor allem Brasilien, das 2015 rund 230000 t Schweinefleisch nach Russland lieferte und fast 80% der Importe abdeckte.
Gleichzeitig hat Präsident Wladimir Putin ein gewaltiges Förderprogramm für die heimische Tierhaltung aufgelegt. Die Ziele sind ehrgeizig: Moskau will in wenigen Jahren unabhängig von Fleisch-Importen sein. Russland will mittelfristig sogar Fleischexporteur werden und vor allem den attraktiven Markt in Asien bedienen.
Bestände stark aufgestockt
Zumindest in puncto Eigenversorgung ist Russland in den letzten Jahren einen großen Schritt vorangekommen. So ist der Schweinebestand laut amtlicher Statistikbehörde (FSSS) seit 2011 von 17,2 auf knapp 22 Mio. Tiere hochgeschnellt. Das ist ein Plus von mehr als 25% in fünf Jahren (siehe Übersicht 1).
Noch rasanter als die Tierbestände hat sich die russische Fleischerzeugung entwickelt. So lag die landesweite Erzeugung auf Basis des Lebendgewichtes im Jahr 2011 bei gut 2,4 Mio. t Schweinefleisch. Im laufenden Jahr könnte die Produktion fast 4 Mio. t Schweinefleisch erreichen. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat Russland seine heimische Schweinefleisch- erzeugung sogar verdoppelt.
Über 3 Mrd. € Agrarförderung
Motor dieser Steigerung ist zum einen die umfangreiche Agrarförderung, die Moskau seit Jahren betreibt. Trotz der anhaltenden Wirtschaftskrise und Milliardeneinbußen im Ölgeschäft hat der Ausbau der heimischen Landwirtschaft für Präsident Putin höchste Priorität.
Auch 2017 will der Staatschef die Agrarförderung fortsetzen. Hierfür sind im Haushalt umgerechnet gut 3 Mrd. € vorgesehen. Rund 15% davon bzw. mehr als 450 Mio. € sollen in den Ausbau der Schweinehaltung fließen.
Die zweite, ebenfalls sehr wirksame Maßnahme zur Stärkung der heimischen Veredlung ist das Import-Verbot für Fleisch aus Europa. Denn hierdurch kam es zur spürbaren Verknappung des Angebots und die Fleischpreise schnellten in die Höhe. Die Erzeuger profitierten insbesondere in den Jahren 2014 und 2015 von einer langen Phase mit sehr hohen Schlachterlösen. Diese stiegen infolge des Import-Embargos um 40% und lagen in der Spitze bei umgerechnet 2,50 € pro kg Schlachtgewicht.
Das Import-Embargo ist also keine Schutzmaßnahme gegen die Afrikanische Schweinepest, wie offiziell vorgegeben. Es dient der Marktabschottung. Das Embargo ist fester Bestandteil der Absprachen zwischen Moskau und den Agrarbetrieben. Und eines zeichnet Putin aus: Absprachen mit der Industrie – hierzu zählt auch der Agrarsektor – werden immer eingehalten!
Mega-Betriebe im Kommen
Mit dem Wachstum hat sich die Struktur der russischen Schweinehaltung stark verändert. So haben insbesondere die großen Agrarkonzerne profitiert. Sie haben ihren Anteil an der russischen Schweinefleischerzeugung binnen fünf Jahren von rund 55 auf 85% erhöht (s. Übersicht 2 Seite 31).
Verlierer sind die sogenannten Privatbetriebe. Hierunter versteht man Betriebe mittlerer Größe mit 2000 bis 5000 Sauen inklusive Mast. Diese Privatbetriebe standen 2011 noch für mehr als 40% der russischen Fleischerzeugung. Heute ist ihr Marktanteil auf weniger als 15% geschrumpft.
Weitere Verlierer des Strukturwandels sind die bäuerlichen Familienbetriebe. Hierunter firmieren Kleinstbetriebe mit wenigen Schweinen, die nur für den Fleischverkauf im Dorf sowie für die Familie produzieren. Der Marktanteil dieser Kleinbetriebe ist binnen fünf Jahren von gut 3 auf 1% gesunken. Das heißt: Auch im sehr strukturschwachen ländlichen Raum müssen immer mehr Menschen Fleisch zukaufen.
Indes konzentriert sich die Fleischerzeugung in den Agrarkonzernen auf immer weniger Inhaber bzw. Oligarchen. So stehen die 20 größten Schweinehalter Russlands inzwischen für mehr als 60% der Fleischerzeugung.
Allen voran steht die Agrar-Holding Miratorg. Der Fleischgigant deckt mit 115000 Sauen und einer Jahresproduktion von fast 400000 t Schweinefleisch mehr als 12% des russischen Marktes ab. Mit mehr als 20000 Mitarbeitern ist Miratorg neben dem Schweine- auch im Geflügel- und Rindfleischbereich aktiv. Der Megabetrieb verfügt auch über eigene Futtermühlen, Schlachtbetriebe sowie Verkaufsstätten.
Starker Leistungsschub
Die Entwicklung hin zu agrarindustriellen Strukturen wird von Moskau bewusst unterstützt. Denn nur die Großkonzerne verfügen über die Fi-nanzkraft, um in kurzer Zeit große Wachstumsschritte zu realisieren.
Außerdem ist es mithilfe der großen Produktionseinheiten gelungen, das Leistungsniveau der russischen Schweinehaltung spürbar zu verbessern. Zwar gibt es keine offiziellen Daten zu den biologischen Leistungen. Doch der enorme Ausbau der russischen Fleischerzeugung seit 2011 spricht für sich: Bei einer Aufstockung der Schweinebe-stände um 25% stieg die Fleischerzeugung um mehr als 50%!
Basis hierfür ist auch der Einsatz moderner Produktionstechnik. Diese wurde bis zum Import-Embargo im Jahr 2014 weitgehend im Westen zugekauft. Zudem wurde die Hygiene verbessert, insbesondere in puncto Seuchenprävention. So arbeiten die Großbetriebe mit dem höchsten Hygiene-Standard der sogenannten Stufe 4.
Das heißt: Zutritt zu den hermetisch abgeriegelten Anlagen erfolgt nur nach strikter Personenkontrolle und Einduschen. Zudem ist jeder Großbetrieb in mehrere Untereinheiten aufgeteilt. Diese liegen mehrere Kilometer voneinander entfernt und können im Krankheitsfall eigenständig arbeiten.
Fast 90% Selbstversorgung
Durch den Ausbau der Schweinehaltung ist Russland heute weniger abhängig von Fleischimporten. Lag der Selbstversorgungsgrad beim Schweinefleisch 2011 noch bei etwa 66%, wurden in diesem Jahr rund 90% Selbstversorgung erzielt (siehe Übersicht 3).
Allerdings ist die Verbesserung der Versorgungslage nicht allein dem Ausbau der Fleischerzeugung zuzuschreiben. Denn aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise hat sich die Kaufkraft der Bevölkerung nachhaltig verschlechtert. Hierdurch ging der Fleischkonsum wieder spürbar zurück. So fiel der Pro-Kopf-Verzehr von Schweinefleisch in den letzten zwei Jahren um rund 10% auf 23,5 kg zurück. Das ist nur gut die Hälfte wie in Deutschland.
Fachleute erwarten, dass die Fleischnachfrage auch im nächsten Jahr weiter leicht rückläufig ist. Denn aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise sind mehr als 70% der Russen gezwungen, ihre Konsumausgaben für Lebensmittel zu drosseln.
Es zeichnet sich daher ab, dass die Phase des rasanten Wachstums in der russischen Schweinehaltung bald vorüber ist. So hat die Branche mit mehreren großen Problemen zu kämpfen:
- Die Afrikanische Schweinepest greift weiter um sich. Mit mehr als 150 Ausbrüchen bei Wild- sowie über 50 Fällen bei Hausschweinen ist 2016 das schlimmste Jahr seit Erstausbruch im Jahr 2007. Dieses Jahr wurden bereits über 1 Mio. Schweine gekeult.
- Durch den Ausbau der Tierbestände und die Konsumschwäche ist der Fleischmarkt gesättigt. Hierdurch sanken die Erzeugerpreise in den letzten anderthalb Jahren um rund 40% auf aktuell 1,50 € pro kg SG.
- Durch den Verfall des Rubels hat sich der Import wichtiger Produktionsmittel erheblich verteuert. Insbesondere bei Medikamenten, Vitaminen, Aminosäuren sowie beim Soja ist Russland von Importen abhängig.
- Trotz der großen Einheiten kämpfen Russlands Schweinehalter mit hohen Produktionskosten jenseits der 2-Euro-Marke. Dies hat vor allem mit der Rationsgestaltung bzw. Futtereffizienz sowie der Genetik zu tun.
- Infolgedessen ist russisches Schweinefleisch derzeit fast 15% teurer als Importware aus Brasilien. Das hat die Fleischimporte in der ersten Hälfte dieses Jahres um 16% angekurbelt.
Verunsicherung wächst
Aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen wächst in der Branche seit Mitte 2015 die Verunsicherung. Namhafte Agrarbosse fordern den Kreml auf, die Subventionen zu stoppen, um den gesättigten Schweinemarkt nicht weiter zu schwächen.
Es ist daher zu erwarten, dass sich das Wachstum verlangsamt und noch stärker auf die großen Agrarkonzerne fokussiert. Allein die Top20 könnten schon 2020 etwa Dreiviertel des Schweinemarktes kontrollieren. Während die kleinen und mittleren Betriebe fast vollständig verschwinden. Mehr als 80% des russischen Schweinefleisches würde dann in Großanlagen produziert, die nach 2007 aufgebaut wurden.
Trotz der Expansion der Großbetriebe bleiben die Ziele zum Export russischer Fleischwaren wohl Utopie. Denn mit Produktionskosten von 30% über EU-Niveau können die Russen am Weltmarkt nicht konkurrieren.
Absehbar ist ebenfalls, dass Russland seine ASP-Probleme in den nächsten Jahren nicht voll in den Griff bekommt. Denn durch den hohen Bestand an Wildschweinen sind Neuausbrüche vorprogrammiert. Zudem ticken in den Wäldern zahlreiche ASP-Bomben. So haben etliche Kleinbetriebe infizierte Schweine vergraben, um staatliche Räumungen zu vermeiden.
Fazit
Dank hoher Subventionen und Marktabschottung hat Russlands Schweinehaltung ein enormes Wachstum realisiert:
- Seit 2011 stieg die Selbstversorgung mit Schweinefleisch von 65 auf 90%.
- Durch den Boom entstanden Megabetriebe, mit teils über 100000 Sauen. Die 20 größten Betriebe kontrollieren über 60% des russischen Markts.
- Jedoch liegen die Produktionskosten deutlich über EU-Niveau.
- Die Öffnung für EU-Fleisch ist tabu. Ohne Marktabschottung ist Russlands Schweinehaltung nicht lebensfähig.