Im Alleingang stellen Agravis und deuka ihre Futter auf Netto-Energie um. Was steckt dahinter? Was sind die Stärken und Schwächen?
Fred Schnippe, SUS
Die deutschen Schweinehalter versorgen ihre Tiere seit knapp 30 Jahren auf Basis der um-setzbaren Energie (ME). Dieser Maßstab hat sich bewährt. So setzen alle Rationsplanungen, Futterkurven sowie die Laboranalysen auf diesen Wert.
Trotz der bundesweit einheitlichen Energiebewertung stellen die Futtermittelhersteller Agravis und deuka Teile ihrer Produkte auf Netto-Energie (NE) um. Bis zum Jahresende will Marktführer Agravis alle Sauen- und Mastfutter sowie die Ergänzer anpassen. Die Netto-Energie baut auf die bekannte Herleitung für Schweinefutter auf. Ausgangspunkt ist die Brutto-Energie, welche die gesamte Futter-Energie kennzeichnet (siehe Übersicht). Zieht man hiervon die im Kot, Harn und Gas, z. B. Methan, enthaltene Energie ab, gelangt man in zwei Schritten zur umsetzbaren Energie (ME). Die Netto-Energie berücksichtigt zusätzlich die Wärme, die der Körper des Tieres abgibt. Frankreich und Holland arbeiten bereits mit dem System.
Netto-Energie genauer?
Die Hersteller begründen ihren Schritt zur Netto-Energie mit einer höheren Genauigkeit, vor allem bei Protein-reduzierten Rationen. „Hier neigen die Tiere mitunter zur Verfettung. Dies hat mit der effizienteren Energieverwertung zu tun. Die Rationen können wir auf Grundlage der Netto-Energie besser zuschneiden“, erklärt Alexandra Grimm von Agravis.
Doch bei Fütterungsberatern und Landwirten hat das Vorpreschen von Agravis und deuka für Unmut gesorgt. Denn sie wurden erst sehr spät informiert. Auch die Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE) wurde nicht eingebunden. Das Experten-Gremium ist für die Erstellung unabhängiger Fütterungsempfehlungen verantwortlich.
Neben der späten Kommunikation monieren Fachleute auch gravierende Schwächen bei der Netto-Energie:
- Es gibt kein standardisiertes Verfahren zur Berechnung der Netto-Energie. Entsprechend optimierte Rationen sind daher nicht vergleichbar.
- Es gibt keine unabhängige Fütterungsempfehlung bzw. Futterkurven auf Basis der Netto-Energie.
- Es gibt keine Möglichkeit zur Überprüfung der Netto-Energie im Labor. Hierzu fehlen einheitliche Formeln bzw. Verdauungskoeffizienten.
- Netto-Energie darf laut Futtermittelrecht nicht ausgewiesen werden, da eine standardisierte Berechnung fehlt.
Das heißt: Wer Futter kauft, das mithilfe der Netto-Energie optimiert ist, muss sich komplett auf den Hersteller verlassen. Denn nur er weiß, wie die Komponenten energetisch bewertet wurden und kann Empfehlungen für die Fütterung ableiten.
Freie Beratung außen vor
Hingegen sind unabhängige Fütterungsberater bei der Netto-Energie außen vor. Denn ihnen fehlen Versorgungsempfehlungen. Zudem gibt es unterschiedliche Formeln zur NE-Berechnung, sodass die Gehalte nicht vergleichbar sind. „Wir können die Landwirte derzeit nur bei Rationen mit umsetzbarer Energie beraten. Da rechtlich nur die ME-Deklaration erlaubt ist, fehlt bei NE-Futtern ein elementarer Wert“, betont Andrea Meyer, Fütterungsexpertin der LWK Niedersachsen.
Selbst wenn die Industrie der Beratung die Software zur Berechnung der Netto-Energie bereitstellen würde, wäre man nicht wesentlich weiter. Denn alle unabhängigen Versorgungsempfehlungen, z. B. zum Lysin, beziehen sich auf die Umsetzbare Energie (ME). Es fehlt also ein offizieller Bewertungsmaßstab.
Auch den Landwirten fehlt die Information zum Energiewert. Zwar teilen Agravis und deuka auf Anfrage die Werte mit. Doch kann der Praktiker die Netto-Werte nicht einordnen. Er muss den Hersteller fragen, in welcher Menge er das Futter vorlegen soll.
Wie NE-Wert nachprüfen?
Dass die Netto-Energie im Labor nicht überprüft werden kann, führt ebenfalls zu großen Einschränkungen. Denn wer wissen möchte, ob der Energiegehalt im Futter passt, kann nur per Mischfutterformel die umsetzbare Energie (ME) bestimmen. Diese lässt aber keinen direkten Rückschluss auf die Netto-Energie zu. Denn einen Umrechnungsschlüssel gibt es nicht.
Das heißt: Wer NE-Futter kauft, kann den Wert nur anhand der Gesundheit und Leistung der Tiere messen. Doch eine objektive Bewertung ist im Praxisbetrieb oft schwer umsetzbar. „Das NE-System hat unbestritten einige Vorteile. Deshalb brauchen wir dringend Empfehlungen seitens der Wissenschaft, um auch Betriebe auf Basis der Netto-Energie beraten zu können“, betont Beraterin Andrea Meyer.
GfE ist skeptisch
Doch die Wissenschaft beurteilt die Netto-Energie skeptisch. Dazu Dr. Walter Staudacher, Geschäftsführer des DLG-Arbeitskreises Fütterung sowie der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE): „Das System der umsetzbaren Energie misst Protein einen relativ hohen energetischen Wirkungsgrad zu. Dabei gilt die Annahme, dass kein Luxuskonsum an Protein stattfindet. Daher ist nicht zu vermuten, dass Rationen mit stark reduziertem Proteingehalt mit bisher verfügbaren Netto-Energie-Gleichungen energetisch richtiger eingeschätzt werden.“ Dennoch will die GfE bis Ende 2015 eine Stellungnahme erarbeiten.
Selbst wenn sich das Gremium zeitnah für neue Fütterungsempfehlungen auf Basis der Netto-Energie entscheiden würde, bliebe ein langer Weg. Denn anders als beim ME-System ist bei der Netto-Energie eine separate Bewertung der Futter für Sauen, Ferkel und Mastschweine nötig. Daher schätzt Dr. Staudacher, dass die Erstellung neuer Fütterungsempfehlungen und Futterwerttabellen selbst bei Bündelung aller Kräfte mindestens ein bis zwei Jahre dauern würde. Voraussetzung ist natürlich, dass das Gremium eine Umstellung überhaupt für sinnvoll erachtet.
Fortan zwei Energie-Werte
Es zeichnet sich ab, dass künftig zwei Energie-Maßstäbe zum Einsatz kommen. So wollen etliche größere Hersteller beim ME-System bleiben. Dazu Björn Markus vom Dinklager Unternehmen Bröring: „Wir haben das holländische Modell zur Netto-Energie wiederholt geprüft und sehen derzeit keine substanziellen Vorteile. In unserer nordwestdeutschen Region mit ausreichend Getreide ist deshalb das bewährte ME-System erste Wahl.“
Auch der niedersächsische Hersteller GS agri will nicht umstellen. „Solange der rechtliche Rahmen fehlt und es keine bundeseinheitliche Lösung gibt, kommt das NE-System nicht infrage. Zudem haben wir uns in Kontrakten bis ins nächste Jahr hinein zur Lieferung von ME-Rationen verpflichtet“, erklärt Gottfried Zurhake von GS agri.
Die Raiffeisen Emsland-Süd bleibt vorerst ebenfalls beim bewährten ME-System. Dazu Berater Jan-Heinz Völker: „Wir wollen zuerst in den Praxisbetrieben sehen, welchen Effekt die Netto-Energie auf die biologischen Leistungen und die Schlachtkörper hat.“
Letztlich ist die Umstellung der Energiebewertung für die Hersteller auch eine Kostenfrage. So müssen die Formeln und EDV-Programme teuer im Ausland zugekauft werden. Hinzu kommt: Die Umstellung auf Netto-Energie ist komplex und braucht viel Zeit. Dabei können die Hersteller nicht auf hiesige Erfahrungen zurückgreifen. Denn bis auf wenige Betriebe in den neuen Bundesländern gibt es keine Erfahrung mit der Netto-Energie.
Trotz der Zurückhaltung in der Branche erwartet der Deutsche Verband Tiernahrung (DVT), dass die Netto- Energie an Bedeutung gewinnt. „Wir sehen die NE-Bewertung als Welle, der weitere Hersteller folgen“, schildert DVT-Geschäftsführer Peter Radewahn.
Wird das Futter günstiger?
Bereits bei der Anpassung der Versorgungsempfehlungen im Jahr 2006 hatten sich Hersteller für den bundesweiten Wechsel zum NE-System stark gemacht. „Leider gab es damals keinen Konsens mit der GfE“, so Radewahn.
Ob sich die Netto-Energie durchsetzt, ist am Ende auch eine Frage des Preises. Laut Agravis werden die Rationen auf keinen Fall teurer. Je nach Ausgangslage und Umfang der Nährstoff-Absenkung sollen Einsparungen von bis zu 1,50 € je dt möglich sein.
Fest steht: Mit der 2016 anstehenden Verschärfung der Dünge-Verordnung gewinnt die Nährstoff-reduzierte Fütterung an Bedeutung. Sollte sich die Netto-Energie diesbezüglich als Vorteil erweisen, ist das vor allem in den Veredlungsregionen ein Verkaufsargument.