Kannibalismus beim Schwein (Caudophagie) ist eine Verhaltensstörung, deren Ursache bislang nicht vollständig geklärt ist. Zum Schutz der Tiere werden bei Ferkeln die Schwänze eingekürzt. Diese bewährte Praxis könnte demnächst seitens der Politik eingeschränkt werden. Um hierauf vorbereitet zu sein, sind in den letzten zwei Jahren zahlreiche Forschungsprojekte initiiert worden (siehe Übersicht 1). Vor Kurzem trafen sich die Wissenschaftler und Versuchsbetreuer in Kassel, um sich auszutauschen und erste Ergebnisse zu diskutieren. Die Erkenntnisse aus den Versuchen sind überwiegend gleichgerichtet und konzentrieren sich auf einige wesentliche Aspekte. Im Fokus stehen Faktoren wie Stressabbau und -vermeidung, Tiergesundheit, Fütterung sowie Stallklima. Zwar sind die Versuche noch nicht abgeschlossen und es liegen erst Zwischenergebnisse vor. Doch es lassen sich bereits folgende Punkte ableiten: Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es nicht eine einzige Ursache für das Schwanzbeißen gibt. Vielmehr ist im Zusammenspiel eines latenten Defizits in verschiedenen Faktoren ein Stress-Ereignis der Auslöser, der das Fass zum Überlaufen bringt. Bei der Festlegung betriebsindividueller Vermeidungsstrategien sollten folgende Punkte beachtet werden: Zeitlicher Verzug: Die Phasen direkt nach dem Absetzen bzw. mit Beginn der Mast sind üblicherweise mit Stress verbunden. Doch Caudophagie tritt häufig nicht unmittelbar zu Beginn der Aufzucht oder Mast auf. Vielmehr wird ein solches Geschehen oft erst nach zwei bis drei Wochen bzw. in der Mittelmast beobachtet. Beschäftigung: Attraktives Beschäftigungsmaterial kann ein aufkommendes Kannibalismus-Problem zwar abschwächen bzw. den Ausbruch verzögern, jedoch nicht verhindern. Um die Attraktivität zu bewahren, sollte organisches Material wie Stroh oder Silage frei von Tier- oder Stallgeruch sein und folglich nur in Tagesdosierungen angeboten werden. Zur Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen ist auf eine hohe hygienische Qualität des Materials zu achten. Stallklima: Plötzliche Klimaveränderungen können zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Schweine führen. Während Wetterumschwünge naturgegeben sind, müssen Temperatur, Luftfeuchte und Luftrate im Stall so gesteuert werden, dass keine unnötigen Stressbelastungen durch Schadgase, Zugluft, Hitze- oder Kältestress sowie zu hoher Luftfeuchte entstehen. Das gilt für alle Jahreszeiten und erfordert eine sorgfältige Überwachung aller Klimazonen in den verschiedenen Stallbereichen. Futter/Wasser: Durch eine nicht bedarfsgerechte Fütterung kann eine Mangelsituation oder Überversorgung mit entsprechenden Belastungen für den Stoffwechsel (Stress) entstehen. Ebenso resultiert Stress aus einer plötzlichen Umstellung des Futters, auch wenn es nur einzelne Komponenten betrifft. Wasser muss jederzeit in ausreichender Menge und Qualität verfügbar sein. Entsprechende regelmäßige Kontrollen und ggfs. Korrekturen sind unerlässlich zur Verringerung von Caudophagie-Risiken. Tiergesundheit: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen – auch bei fehlenden klinischen Anzeichen – Stress verursachen und damit ein Risikofaktor für Caudophagie sind. Das gilt für Infektionen, Verletzungen und Entzündungsprozesse genauso wie für Vergiftungen, z. B. über Mykotoxine, sowie Stoffwechsel-Erkrankungen. Auch wird ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Nekrosen und dem Schwanzbeißen gesehen, ohne eine ursächliche Wirkung nachweisen zu können. Als Ursache für Ohr- und Schwanznekrosen werden – abgesehen von Bissverletzungen – sowohl Stoß-/Schlagverletzungen als auch Stoffwechselstörungen und Magen-Darm-Erkrankungen diskutiert. Das Problem Schwanzbeißen wird durch Mangel- oder Stress-Situationen hervorgerufen, die zeitlich zurückliegen können. Durch eine intensive Tierbeobachtung sowie regelmäßige Checks und Untersuchungen kann dies rechtzeitig erkannt und mit geeigneten Maßnahmen gegengesteuert werden. Pauschale Empfehlungen zur Vermeidung des Problems gibt es nicht. Keine Pauschal-Empfehlung Das weiß man… Bleibt festzuhalten Trotz intensiver Bemühungen werden viele Fragen z. B. in puncto Haltung, Management und Genetik offen bleiben. Es wird kaum gelingen, generelle Problemlösungen abzuleiten. Vielmehr sind auf Betriebsebene Vermeidungsstrategien zu entwickeln, zu testen und auszuwerten. Dabei ist unbedingt eine qualifizierte fachliche Begleitung hinzuzuziehen, um kritische Entwicklungen frühzeitig erkennen und bewältigen zu können. Ein Zusammenhang zwischen dem Schwanzbeißen und dem Leistungsniveau wird nicht gesehen. Als „Beißer“ wurden oftmals kleinere und weibliche Tiere beobachtet. -Dr. Jens Ingwersen, ZDS Bonn- Die Liste der Forschungsprojekte zum Thema Kannibalismus und Schwänze kupieren ist lang. In Kassel wurden erste Ergebnisse vorgestellt.