Hendrik Haase und Jörg Förstera haben eine Metzgerei der besonderen Art aufgemacht. Sie zerlegen hinter Glas und verwerten das Schwein von Kopf bis Schwanz.
Michael Werning, SUS
Ramsch-Preise beim Discounter, Vegan-Hype und fragwürdige Studien zu den Gefahren des Fleischkonsums. Heute eine Metzgerei neu aufzumachen erscheint da nicht als glorreiche Geschäftsidee. Den widrigen Umständen zum Trotz haben Jörg Förstera und Hendrik Haase aber genau das getan. Im November vergangenen Jahres eröffneten sie in der historischen Markthalle 9 in Berlin-Kreuzberg die Fleischerei „Kumpel & Keule“.
Gegen das Metzgersterben
Mit der Neueröffnung stemmen sich die beiden Gründer gegen einen langjährigen Negativtrend in ihrer Branche. So haben in den vergangenen zehn Jahren mehr als die Hälfte der Metzgerläden ihre Türen schließen müssen. Allein in Berlin sind von den ehemals über tausend Betrieben nur noch rund 60 aktiv. In vielen Kleinstädten ist den Fleischessern nur der Supermarkt als Einkaufsmöglichkeit geblieben.
„Die Erzeugung auf den Höfen und die Hand, die die Wurst herstellt, ist dadurch für den Verbraucher unsichtbar geworden“, konstatiert Haase. Der 32-Jährige ist Künstler, Autor und engagierter Food-Aktivist. Mit der eigenen Metzgerei will er auch ein Stück weit für die deutsche Fleischkultur eintreten: „Das Fleisch auf dem Teller muss wieder eine Herkunft und Geschichte haben.“
In Jörg Förstera hat Haase einen Gleichgesinnten gefunden. Der gebürtige Spreewalder war bereits mit 18 Jahren Meister der Fleischerinnung und leitete bis letztes Jahr die Fleischabteilung des Berliner Luxus-Kaufhauses KaDeWe. Darüber hinaus hat er als Dozent und Ausbilder mehr als 250 Gesellen und Meister an der 1. Berliner Fleischerfachschule unterrichtet. Dem heute 27-Jährigen ist dabei eines besonders deutlich geworden – der Metzgerinnung fehlt der Nachwuchs. „Unser Handwerk hat in der Gesellschaft kein Image mehr, welches die jungen Leute für diesen Beruf begeistert. Mit Kumpel & Keule wollen wir das ändern.“
Zerlegen hinter Glas
Vor allem mit viel Transparenz sollen diese Ziele erfüllt werden, und dafür stellen sie sich und ihr Team im wahrsten Sinne des Wortes selbst ins Schaufenster. Denn die rund 38m2 große Metzgerei ist voll verglast und damit jede Ecke für den Kunden einsehbar. Ca. 100000 € haben die Berliner in das innovative Ladenkonzept investiert.
„Die Leute haben jeden Tag die Chance live mitzuerleben, wie wir die Schlachthälften zerlegen und unsere Fleisch- und Wurstspezialitäten produzieren“, erläutern die Junggründer. Fragen sind dabei immer willkommen. „Der Kunde muss nur an die Scheibe klopfen. Wir haben zur Verständigung extra eine kleine Luke in die Glaswand eingebaut“, erzählt Hendrik Haase.
Unter den Argusaugen der Kundschaft zu arbeiten, setzt ein hochmotiviertes Team voraus. Neben den beiden Gründern gehören dazu mittlerweile zehn Festangestellte. „Sie haben zum Teil ihre eintönigen Jobs an Supemarkt-Fleischtheken gekündigt, um bei uns wieder mit Leidenschaft dem richtigen Fleischerhandwerk nachzugehen“, schildert Jörg Förstera.
Dass bei „Kumpel & Keule“ eine Fleischkultur gelebt wird, merken auch die unzähligen Leute, die neugierig durch die Scheibe schauen oder für die stadtbekannten Mittagsgerichte dort einkehren. Egal ob junger Student, Familien oder das Rentner-Ehepaar, alles ist vertreten. Eine bestimmte Zielgruppe haben und wollen die Fleischfreunde nicht.
Was sie wollen, ist mit der eigenen Vision von mehr Fleischgenuss möglichst viele Menschen zu erreichen. Die sozialen Medien bieten dafür die ideale Plattform. Mit tollen Bildern und Videos zeigen die Berliner, wie sie Würste fertigen oder welch ungewöhnliche Fleischgerichte auf der Mittagskarte stehen. Auch über ihre landwirtschaftlichen Partnerbetriebe können Interessierte dort Einiges erfahren.
Heißer Draht zum Erzeuger
Die enge Beziehung zu den Erzeugerhöfen ist dabei keine verkaufsfördernde Show-Einlage, sondern dem Gründerduo ein wirkliches Anliegen. Sie besuchen deshalb regelmäßig die Landwirte und Schlachtbetriebe. „Wir wollen uns nicht blind auf ein Siegel verlassen und setzen stattdessen auf einen direkten Kontakt“, erklärt Metzger Förstera.
Wenn es um die Auswahl der Lieferbetriebe geht, steht neben dem Tierwohl eine herausragende Qualität im Fokus. Vor allem die Fleischbeschaffenheit alter Rassen hat es den beiden Unternehmern angetan. Ein Grund, warum in der Fleischtheke der Berliner Metzgerei das Fleisch des Schwäbisch Hällischen Landschweins zu finden ist.
Die Tiere entstammen der Freilandhaltung, was einerseits ein hohes Maß an Tierwohl vermittelt, andererseits sich natürlich auch sehr gut vermarkten lässt. Zudem verfügt die dahinterstehende Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall über einen eigenen Schlachthof und kann „Kumpel & Keule“ zweimal wöchentlich direkt mit frischen Schweinehälften beliefern.
„Nose-To-Tail“-Philosophie
Ein weiterer Grundsatz der beiden Jungunternehmer ist die ganzheitliche Verwertung des Tieres, im Fachjargon auch „Nose to tail“ – von Kopf bis Schwanz – genannt. Das heißt, der Metzgerladen bekommt immer den ganzen Schlachtkörper angeliefert. Weggeworfen wird nichts. „Unedle Fleischteile gibt es für uns nicht. Neben Filet, Steaks und Würsten umfasst unser Angebot auch Innereien und Knochen“, führt Haase aus.
Ein weiteres Highlight des Sortiments ist das sogenannte „dry aged“-Fleisch. Bei kontrollierter Luftfeuchtigkeit und Temperatur werden ausgewählte Fleischstücke über Wochen hinweg in einem verglasten Reifeschrank gelagert. Das lange Abhängen führt zwar dazu, dass sich das Gewicht des Teilstücks um bis zu 50 % verringert. Durch den Wasserverlust und verschiedene Enzym-reaktionen wird das Fleisch aber gleichzeitig zarter, aromatischer und bekömmlicher als schlachtfrisches oder nur kurz gelagertes Fleisch. „Solch trocken gereiftes Schweinefleisch ist eine Delikatesse, die heute fast nirgendwo mehr zu finden ist“, stellt Hendrik Haase die besondere Qualität heraus.
Einige ihrer Kunden sind sehr an der Zerlegung und Herstellung solch feiner Fleischspezialitäten interessiert. Daher sollen künftig nach Ladenschluss sogar kleine Fleischlehrgänge veranstaltet werden. Man merkt also, die umtriebigen Fleischliebhaber aus Berlin haben noch so einige Ideen in petto.
Fazit
In der Metzgerei „Kumpel & Keule“ findet die Zerlegung hinter Glas statt. Die Kunden erhalten so einen tiefen Einblick in das Metzgerhandwerk.
Die Fleischer pflegen einen engen Kontakt zu den Landwirten. Tierwohl und Fleischqualität spielt bei der Lieferantenauswahl eine große Rolle.
Das Angebot umfasst nicht nur Filet oder Würste. Mit dem „Nose-To-Tail“-Ansatz und dem „dry aged“-Fleisch ist die „K & K“-Fleischtheke dabei, in Berlin Kultstatus zu erreichen.