Die Deutschen haben seit 2011 spürbar weniger Hunger auf Schweinefleisch.Was sind die Ursachen? Wie kann die Branche gegenhalten?
Beim Thema Fleischkonsum scheiden sich die Geister. In den Schwellenländern, vor allem in Asien, wächst der Hunger auf Fleisch rasant. Wenn die Prognose der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) zutrifft, wird sich die globale Fleischnachfrage bis 2050 auf mehr als 465 Millionen Tonnen nahezu verdoppeln.
In Deutschland hingegen stagniert der Fleischkonsum. Nach einer steilen Anstiegsphase in der Zeit des Wirtschaftswunders erreichte der Absatz Ende der 80er-Jahre seinen Höhepunkt. Seit Mitte der 90er-Jahre pendelt der durchschnittliche Fleischverzehr je Verbraucher um die 60 kg-Marke.
Schwein ist dabei mit einem Anteil von rund 65 % mit Abstand das beliebteste Fleisch der Deutschen (siehe Übersicht 1). Auf den Plätzen zwei und drei folgen Geflügel- und Rindfleisch etwa gleichauf.
Abwärtstrend seit 2011
Der hohe Marktanteil darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der absolute Verzehr von Schweinefleisch spürbar rückläufig ist. Dies gilt insbesondere für die vergangenen drei Jahre. So hat der Durchschnittsdeutsche 2013 nur noch 38,1 kg Schweinefleisch verzehrt. Das sind rund 2 kg bzw. etwa 5 % weniger als im Jahr 2011 (siehe Übersicht 2). Auch 2012 lag der Schweinefleischverzehr bereits unter dem Vorjahreswert.
In den ersten sechs Monaten des letzten Jahres setzte sich der Trend fort. So zeigen Auswertungen, dass der Verzehr beim Schweinefleisch nochmals um 2,3 % unterhalb des Vorjahreswerts rutschte. Auch die Tatsache, dass die Konsumenten die Produkte vom Schwein im ersten Halbjahr 2014 rund 1,5 % günstiger einkauften als im Vorjahr, konnte die negative Entwicklung nicht stoppen.
Auf den ersten Blick erscheinen Rückgänge im kleinen einstelligen Prozentbereich nicht dramatisch. Doch in den letzten Jahren scheint sich der Abwärtstrend zu festigen. Und allein ein Rückgang des Fleischkonsums um 2,5 % bzw. 1 kg pro Kopf bedeutet bundesweit einen Minderbedarf von 80 Mio. kg Schweinefleisch. Das entspricht der Produktionskapazität von etwa 300 000 Mastplätzen!
Wichtiger Inlandsmarkt
Auch Fachleute der niederländischen Rabobank werten den Rückgang des Inlandskonsums als Alarmsignal. Denn insbesondere für Deutschland bilden die heimischen Märkte das Rückgrat beim Fleischabsatz. Vor der Haustür finden sich die kaufkräftigen Kunden, die regelmäßig Fleisch vom Schwein nachfragen.
Bezogen auf die Menge landen rund 87 % des in Deutschland erzeugten Schweinefleisches auf heimischen Tellern. Dabei fragen die hiesigen Verbraucher zunehmend hochwertige Teilstücke nach. Bezogen auf die monetären Umsätze kommt dem Inlandskonsum somit eine noch größere Bedeutung zu.
Zwar hat der Fleischexport insbesondere bei den großen Schlachtkonzernen in den letzten Jahren kräftig zugelegt. Doch der Importstopp Russlands zeigt, wie instabil und unsicher die Exportmärkte sein können.
Zehn Bremsfaktoren
Es macht daher Sinn, die Gründe für den sinkenden Inlandskonsum näher unter die Lupe zu nehmen. Dabei wird schnell klar, dass momentan mehrere Faktoren zusammenkommen:
- Geflügel boomt: Hähnchen, Pute & Co. gelten beim Verbraucher als fettarm und gesund. Dies ist vor allem weiblichen und jüngeren Menschen wichtig. Zudem lässt sich Geflügel relativ leicht zubereiten und passt gut zu vielen Gerichten. So stieg der Konsum insbesondere in den letzten zehn Jahren stark an. 2013 verzehrte jeder Deutsche gut 11 kg Geflügelfleisch, das mit 22 % des gesamten Fleischverbrauchs einen neuen Spitzenwert erzielte. Beim stagnierenden Gesamtkonsum führt das zwangsläufig zu Einbußen bei der Hauptfleischart Schwein.
Um keine weiteren Marktanteile zu verlieren, müssen die Fleischbranche die Produktentwicklung weiter vorantreiben. Auch das Schwein bietet fettarme Produkte, die sich leicht zubereiten lassen. Neue Konsumzahlen machen Mut. So scheint beim Geflügel eine Marktsättigung erreicht.
- Religiöse Gründe: Im Islam, im Judentum und bei einigen christlichen Konfessionen ist der Verzehr von Schweinefleisch verboten. Große Bedeutung hat dabei insbesondere der Islam. Zu ihm bekennen sich inzwischen etwa 5 % der deutschen Bevölkerung, was immerhin gut 4 Mio. Menschen entspricht. Aufgrund der verstärkten Migration dürfte der Anteil der Menschen, die aus religiösen Gründen Schweinefleisch meiden, in Deutschland künftig in der Tendenz steigen.
- Antibiotika-Diskussion: Reißerische Medienberichte um Antibiotika oder mikrobielle Belastungen haben viele Verbraucher verunsichert. Zwar zeigen Erhebungen, dass sich der Konsum nach kritischen Medienberichten recht schnell wieder erholt. Doch insgesamt bleibt Fleisch für einige Verbraucher mit einem Makel behaftet, was zur Kaufzurückhaltung beiträgt.
Hilfreich ist hier eine transparente Öffentlichkeitsarbeit der Fleischbranche. Mit der Antibiotika-Datenbank zeigen wir, dass uns das Thema ernst ist. Jüngste Studien deuten darauf hin, dass auch die Humanmedizin den Umgang mit Antibiotika kritisch hinterfragen muss.
- Vegetarismus: Vegetarische Ernährung gilt in Diskussionen oft als Hauptgrund für eine sinkende Fleischnachfrage. Doch die Gruppe der Vegetarier ist in Deutschland mit rund 2 % relativ klein. Etwa 1 % der Bevölkerung lebt vegan. Das heißt: Alle tierischen Erzeugnisse sind tabu, auch Milch- und Eier-Produkte.
Weitaus größer dürfte die Gruppe sogenannter Flexitarier sein. Diese „Teilzeit-Vegetarier“ wollen bewusst weniger Fleisch essen und greifen oft zu Biofleisch. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage wollen 52 % der Deutschen bewusst weniger Fleisch essen.
Ethisch argumentierende Vegetarier möchten nicht, dass ihretwegen Tiere getötet werden. Doch der Wissenschaftsjournalist Dr. Alexander Grau hält moralische Gründe eher für untergeordnet. Nach seiner Meinung dient vegetarische Ernährung vielmehr als Abgrenzung für eine Bevölkerungsgruppe, die meist gut ausgebildet und einkommensstark ist.
Dr. Grau sieht Vegetarismus vor diesem Hintergrund als Trend ähnlich wie in der Mode. Der Trend zum vegetarischen Leben verstärkt sich derzeit, kann allerdings auch in absehbarer Zeit wieder vorübergehen.
Wissen ums Kochen geht verloren
- Gesundheits-Beratung: Viele Ärzte raten, übermäßigen Fleischkonsum zu vermeiden. Denn er wird mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Der verstärkte Konsum von Rotfleisch, hierzu gehört auch Schweinefleisch, soll auch das Risiko verschiedener Krebsarten erhöhen. So entsteht bei einigen Verbrauchern der Eindruck, Fleisch sei ungesund.
Fakt ist: Wissenschaftlich nachgewiesen ist nur, dass hohe Mengen verarbeiteter, stark fetthaltiger Fleischprodukte gesundheitliche Nachteile verursachen können. Es gibt aber auch Studien, die Fleisch eine Stärkung der Lebergesundheit bescheinigen. Zudem hilft Fleisch, den Eisenbedarf abzudecken.
- Schnelle Küche: Fast 40 % der Haushalte sind Ein-Personen-Haushalte – Tendenz steigend. In Mehr-Personen-Haushalten sind oft beide Partner berufstätig. Dieses führt dazu, dass weniger oft bzw. zeitintensiv gekocht wird. Gefragt ist die schnelle Küche.
So erfreuen sich stark vorbereitete Lebensmittel sowie Tiefkühl- und Fertiggerichte großer Beliebtheit. Der Markt für sogenannte Convenience-Produkte boomt, ständig kommen neue Produkte auf den Markt. Der Renner bei Single-Männern sind Tiefkühlpizzen. Der klassische Sonntagsbraten steht bei jüngeren Verbrauchern praktisch gar nicht auf dem Speiseplan.
- Koch-Analphabeten: Mit dem Trend zur schnellen Küche geht zunehmend auch das Wissen um die Herstellung aufwendiger Speisen mit Fleisch verloren. Doch gerade für die Zubereitung von Schweinefleisch benötigt man Zeit und Kenntnisse. Viele jüngere Menschen gelten inzwischen als sogenannte Koch-Analphabeten. Sie meiden den Kauf von Fleisch, weil sie es nicht zubereiten können.
Die Branche sollte deshalb Infos über das Kochen mit Fleisch gezielt an junge Zielgruppen vermitteln. Die Vielzahl der TV-Kochsendungen zeigt, dass es durchaus Interesse an aufwendigen Speisen mit Fleisch gibt.
- Geschmack: Die Zucht und die Fütterung sind beim Schwein verstärkt auf geringe Fettgehalte im Fleisch ausgelegt. Leider geht damit auch das intramuskuläre Fett zurück. So hat Schweinefleisch an Geschmack und Saftigkeit verloren. Hinzu kommt: Bei der Ebermast ist nicht vollständig auszuschließen, dass Verbraucher einen unangenehmen Fleischgeruch wahrnehmen. Genau quantifizieren lässt sich das Phänomen nicht. Es kann aber den Konsum hemmen.
Jüngere Menschen essen weniger Fleisch
- Demografischer Wandel: Studien zeigen, dass junge Leute bis 35 Jahre deutlich weniger Rotfleisch z. B. vom Schwein konsumieren als ältere Menschen. So war 2011 der höchste Rotfleisch-Verzehr in der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen zu finden. Das heißt: Im Laufe der Zeit wird die Gruppe der starken Schweinefleisch-Esser immer kleiner, weil sie langsam wegsterben.
Menschen unter 35 Jahre essen immer häufiger außer Haus bzw. unterwegs. Nicht selten gibt es Fastfood, das meist wenig Schweinefleisch enthält.
- Höhere Fleischpreise: Verbraucher sind bei Lebensmitteln sehr preissensibel. So zeigt eine neue Studie: Bei finanziellen Engpässen wollen die Deutschen zuerst bei Lebensmitteln sparen. Das heißt, steigende Preise können den Fleischkonsum spürbar schmälern.
Dieser Effekt dürfte beim Schweinefleisch aber nur eine untergeordnete Rolle spielen. So hat sich der Verbraucherpreis für wichtige Teilstücke vom Schwein seit 2004 nur von etwa 4,20 € auf 4,70 €/kg erhöht. Das entspricht einer jährlichen Teuerung von 1 %.
Dennoch muss die Branche Augenmaß bewahren. Höhere Haltungs- und Tierwohlauflagen verteuern die Produktion und münden zwangsläufig in höheren Fleischpreisen.