Als Fachmann der Fleischbranche sieht Paul Brand die Initiative Tierwohl als große Chance.Er fordert eine breitere finanzielle Verantwortung beim Fleischverkauf an den Verbraucher.
Aus meiner Sicht steht die Schweinehaltung vor dem wichtigsten Einschnitt seit Jahrzehnten. In den letzten zwei Generationen haben wir die Veredlung vor allem auf Effizienz und Kostensenkung ausgerichtet. Das war richtig, weil der Markt es gefordert hat.
Verschreckter Verbraucher
In Gesellschaft und Politik schwindet nun die Akzeptanz für unsere moderne Tierhaltung. Negative Medienberichte und Tierschutz-Aktivisten verschärfen die Lage. So steht die Veredlung in der Öffentlichkeit schlechter da, als sie es in Wahrheit ist.
Offensichtlich haben wir die Verbraucher in den letzten 20 Jahren nicht mitgenommen. Sie erschrecken, wenn sie mit der Realität im Stall konfrontiert werden. Ein Teil der Bevölkerung isst weniger oder kein Fleisch mehr, weil sie die Haltung unserer Nutztiere ablehnen. Leider verlieren wir damit auch Kunden, die an sich gern Fleisch essen. Das halte ich nicht nur für eine vorübergehende Erscheinung!
Die Tierhalter sind gefordert, die Verbraucher zurückzuholen – mit Offenheit und Charme. Die „Betreten verboten-Schilder“ sollten gegen „Besucher willkommen“ ausgetauscht werden. Vom Engagement der Landwirte ist die gesamte Fleischbranche abhängig!
Stalltüren öffnen
Jetzt haben über 4 000 Schweinehalter ihr Tierwohl-Konzept verbessert. Jeder sollte dies kommunizieren. Wissen wir doch, wie wichtig dem Verbraucher mehr Platz, Einstreu, Liegeflächen und Auslauf bzw. Außenklima sind.
Diese Kriterien sind deckungsgleich mit Forderungen von Tierschutzorganisationen. Zwar halte ich nicht alle Forderungen dieser Organisationen für sinnvoll und umsetzbar. Die Parallelen zeigen jedoch, dass die Initiative Tierwohl auf dem richtigen Weg ist.
Ich weiß: Einigen geht die Initiative Tierwohl bereits zu weit. Doch ich bin überzeugt, dass wir das Konzept weiterentwickeln müssen. Auch wenn die Schweinehaltung bei schwierigen Punkten wie dem Schwanzkupieren und dem Kastrieren mehr Zeit braucht.
Wir als Fleischbranche müssen ebenfalls immer wieder am Image arbeiten. Hierzu gehört die ständige Verbesserung des Tierwohls im Schlachtprozess. Wichtig war auch die Einführung des Branchenmindestlohns und eines Verhaltenskodex für unsere Unternehmen. Mein Betrieb setzt auf feste Anstellungsverhältnisse und Bezahlung über dem Mindestlohn.
Mehr denn je muss unsere Branche innovative Produkte entwickeln, die das Lebensgefühl junger Kunden ansprechen. Ob es gleich eine Veggie- Wurst sein muss, weiß ich nicht. Doch wer diese Nische besetzt, signalisiert Innovationskraft und stärkt auch den Absatz im klassischen Segment.
Tierwohl-Budget aufstocken
Zur nachhaltigen Stärkung von Tierwohl muss die Brancheninitiative aber auf soliden finanziellen Füßen stehen. Die zahlreichen Anmeldungen belegen das große Interesse der Landwirte.
Ziel ist, alle interessierten Landwirte aufzunehmen. Etliche Betriebe haben viel Zeit und Geld investiert. Ihnen darf man nicht vor den Kopf stoßen.
Der Lebensmittelhandel hat zur Finanzierung der Initiative Tierwohl 4 ct/kg Fleisch freigegeben. Ich sehe durchaus Potenzial, den Betrag zu erhöhen, ohne den Fleischkonsum zu gefährden. Das gilt vor allem bei den aktuell so niedrigen Schweinepreisen.
LEH muss nachlegen
Erster Ansprechpartner für das Einsammeln des Tierwohl-Budgets bleibt der Lebensmittelhandel. Denn die Kosten für mehr Tierwohl können nur direkt beim Verbraucher zurückgeholt werden. Das heißt: Das letzte Glied der Produktions- und Handelskette trägt die Verantwortung für die Finanzierung. Jeder, der Fleisch an den Endkunden verkauft, ob roh, verarbeitet oder verzehrfertig, ist aufgefordert, den Tierwohlbonus in den Fonds einzuzahlen.
Mittelfristig kommen wir nicht umhin, den Fleischpreis im Laden anzuheben. Denn wir brauchen eine höhere Wertschätzung für Lebensmittel. Wer Fleisch für Lockangebote nutzt, bewirkt das Gegenteil.
Die Schlacht- und Fleischbranche sehe ich auch künftig nicht im Kreis der Tierwohl-Zahler. Denn unsere Branche hat keine Möglichkeit, das Geld beim Verbraucher direkt zurückzuholen.
Wir müssen uns auch fragen, wie kann der Staat helfen? Noch mehr Auflagen sollten tabu sein. Denn damit wälzt man die Mehrkosten allein auf die Urproduktion ab. Für sinnvoll halte ich hingegen z. B. eine einmalige Investitionsförderung für tierfreundliche Ställe und eine Umschichtung der EU-Agrarsubventionen, wie Prof. Isermeyer sie angeregt hat. Das heißt: Weg von den Ackerflächen, hin zur Förderung einer tiergerechteren Nutztierhaltung.
Ich bin überzeugt, dass wir mit einer ehrlichen Tierwohl-Initiative so manchen Zweifler wieder für das Fleisch-essen begeistern können. Denn Fleisch ist ein schmackhaftes, gesundes und wertvolles Nahrungsmittel.