Die Risikofaktoren für Schwanzbeißen sind in jedem Betrieb anders. Um sie aufzuspüren, hat das FLI ein neues PC-Programm und Checklisten mitentwickelt. SUS war bei einem Schulungstermin dabei.Die Einflussfaktoren für Schwanzbeißen sind vielfältig. Um sie beim Auftreten von Problemen in einem Betrieb systematisch zu erfassen und abzuarbeiten, hat das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Celle eine Excel-basierte Management-Software erarbeitet. Sie beruht auf einer ursprünglich in Großbritannien entwickelten Schwachstellen-Analyse. Das so genannte SchwIP – Schwanzbeiß-Interventions-Programm – spürt betriebsspezifische Risikofaktoren für Schwanzbeißen auf und generiert Lösungsvorschläge. Langfristig soll es den Betrieben Möglichkeiten eröffnen, auf das Kupieren von Schwänzen zu verzichten. Bevor das FLI das Werkzeug Anfang 2014 für alle Schweinehalter kostenlos im Internet zur Verfügung stellt, prüfen Fachleute derzeit seine Wirksamkeit in einer Anwendungsstudie. Diese gliedert sich in zwei Teilbereiche: Die Dauer einer SchwIP-Erhebung beträgt etwa vier Stunden pro Betrieb. Führt der Tierarzt oder Berater diese durch, muss der Betriebsleiter nicht durchgehend anwesend sein. Das SchwIP läuft folgendermaßen ab: Zunächst wird der Schweinehalter interviewt. Dabei werden die Antworten direkt in die Datei auf dem Rechner eingegeben. Nach und nach werden unter anderem Fragen zum Gesundheitsstatus, zum Beschäftigungsmaterial und zur Fütterung abgearbeitet. Benötigt werden der Rohfaser-, Natrium- und Lysingehalt sowie das Lysin-Tryptophan-Verhältnis in den Mastrationen. Im Vorfeld sollte der Landwirt zudem bereits die durchschnittliche Leberverwurfrate und das Speckmaß bzw. die Rückenspeckdicke der letzten zwölf Monate berechnen. Diese sind auf der Schlachtabrechnung notiert. Im Laufe des Interviews wird der Schweinehalter auch gebeten, eine Skizze der vorhandenen Schweineställe zu zeichnen. Anhand dieser Stallskizze werden dann die zu bonitierenden Buchten ausgewählt. Die Auswahl der zu bonitierenden Tiere und Buchten erfolgt nach genauen Vorgaben. Ziel ist es, Daten von etwa 10 % der Tiere oder 10 % der Buchten zu erheben. Dies kann aber nicht auf jedem Betrieb umgesetzt werden. Besteht aktuell ein Problem mit Schwanzbeißen im Betrieb oder tritt es immer wieder in den gleichen Buchten auf, werden diese bevorzugt bonitiert. Ist es aktuell ruhig im Bestand, werden die zu bonitierenden Buchten zufällig ausgewählt. Im nächsten Schritt erfolgt die eigentliche Stallbegehung. Dafür druckt sich der Anwender den entsprechenden Fragebogen auf Papier aus. Zunächst sind eine Reihe von Fragen von außerhalb der Bucht zu beantworten. Dabei geht es um allgemeine Haltungsaspekte, die Größe, Aufteilung und Einrichtung der Bucht und Beschäftigungsobjekte. In einer Momentaufnahme wird auch das Verhalten der Schweine festgehalten. Dann betritt der Anwender die Bucht. Jetzt werden konkret die Schwänze und Ohren einzelner Schweine bonitiert. Anhand von Strichlisten kann der Anwender zählen, wie viele Schweine einen blutigen, geschwollenen oder sogar abgebissenen Schwanz haben. Auch die Anzahl Schweine mit verletzten Ohren wird ermittelt. Die Schwanzlänge und ob diese bei allen Tieren in etwa gleich ist, wird ebenfalls erhoben. Daraufhin folgen Fragen zum Zustand der Tiere: Sind Anzeichen für Durchfall, blasse Tiere oder Atemwegserkrankungen erkennbar? Anschließend kommen Thermometer, Zollstock und Stoppuhr zum Einsatz. Denn es werden Klimadaten, Informationen zur Futterqualität und Trogzugänglichkeit sowie die Durchflussraten der Tränken gemessen. Praktischerweise liefert das Management-Programm auch immer die empfohlenen Werte gleich mit (nach DLG etc.). Nachdem der Anwender alle Daten aus dem Vorgespräch und dem Stallbesuch ins System eingepflegt hat, erstellt das Programm auf Knopfdruck einen Ergebnisbericht. Im ersten Teil des Berichtes wird der aktuelle Status von Schwanzbeißen und Gesundheit im Betrieb wiedergegeben. Die Parameter, die in den Interview- und Stallfragebogen eingegeben wurden, erscheinen als Grafiken. Aus den farbigen Tortendiagrammen ist schnell ersichtlich, in welchen Bereichen dem Risiko für Schwanzbeißen bereits gut vorgebeugt wird (grün) und in welchen Bereichen noch hohe Risiken bestehen(rot). Die zehn größten Risiken des entsprechenden Betriebes sind in einem Balkendiagramm anschaulich dargestellt. Die hinterlegte Gewichtung der einzelnen Risikofaktoren haben zuvor 70 Experten (Tierärzte, Amtsveterinäre, Landwirte, Agrarberater und Wissenschaftler) vorgenommen. Im zweiten Teil des Berichtes sind anhand der bekannten Fragestellungen die betriebsindividuellen Vorbeugemaßnahmen aufgelistet. Das sind die Aspekte, die im Betrieb bereits so ausgeführt werden bzw. vorhanden sind, dass sie dem Schwanzbeißen vorbeugen. In dem Betrieb, der bei der Schulung untersucht wurde, bei der SUS anwesend war, war das unter anderem im Bereich der Fütterung die Einhaltung des empfohlenen Lysin-Tryptophan-Verhältnisses und das Einhalten der gewohnten Fütterungszeiten auch bei technischen Störungen. Zu jedem Punkt erfolgt eine Erklärung, warum er zur Vorbeuge wichtig ist. Dieser Teil dient als Motivation für den Landwirt. Im dritten Teil des Berichts werden alle für den Betrieb relevanten Risiken aufgelistet. Für jedes Risiko des Betriebs werden gleichzeitig konkrete Lösungsvorschläge gemacht. In unserem Beispielbetrieb sind die Durchflussraten der Tränken zu groß für die vorhandene Gewichtsklasse, so dass die Ferkel aufgrund des Drucks nur schlecht trinken können. Der Bericht liefert folgenden Vorschlag: „Senken Sie die Durchflussrate auf die empfohlene Menge, z.B. durch Austausch von Düsen.“ Anschließend wird der Bericht mit dem Landwirt durchgesprochen. Auf Basis der Ergebnisse und Empfehlungen im Bericht wird dann ein individueller Aktionsplan erstellt. Der Landwirt entscheidet selbst, welche Maßnahmen (mindestens eine, höchstens drei) er auf seinem Betrieb umsetzen möchte und hält dies schriftlich fest. Wenn es zum Beispiel an Beschäftigungsmaterial (Stroh, Heu, Späne o. Ä.) mangelte, kann sich der Landwirt bereiterklären, ab sofort täglich eine Hand voll Stroh in jede Bucht zu geben. Wichtig: Es wird von den Betrieben nicht verlangt oder erwartet, im Verlauf der Untersuchung Mastschweine mit unkupierten Schwänzen zu halten! Der Betrieb erklärt sich jedoch bereit, im kommenden Jahr bis zum zweiten SchwIP-Besuch eine Stallkarte zu führen. In diese soll er kurz und knapp Vorkommnisse von Schwanzbeißen eintragen. Festzuhalten ist lediglich, wann und in welcher Bucht Schwanzbeißen neu auftauchte und welche Maßnahmen ggf. ergriffen wurden. Bei den teilnehmenden Betrieben, die ihre Schweine bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück schlachten lassen, werden auch die Schlachtdaten in die Analysen einbezogen. Die Schwänze der entsprechenden Schweine werden am Schlachthof nach dem Brühen mit speziellen Tiefseekameras von beiden Seiten in Farbe fotografiert. Die Aufnahmen schickt Tönnies direkt an das FLI weiter, das ausschließlich für diese Studie eine genaue Bonitur der Schwanzveränderungen vornimmt. Nach einem Jahr wird die SchwIP-Erhebung in allen Betrieben durch dieselbe Person wiederholt. Nach der zweiten Runde der Betriebsbesuche wollen die Wissenschaftler vom FLI abschließend beantworten können, wie wirksam das SchwIP ist. Beim SchwIP, dem Schwanzbeiß-Interventions-Programm, handelt es sich um eine Management-Hilfe auf Excel-Basis. Die einzelbetrieblich und systematisch durchgeführte Schwachstellen-Analyse soll den Schweinehalter dabei unterstützen, betriebsindividuelle Risikofaktoren für Schwanzbeißen zu identifizieren. Sie enthält einen Management-Fragebogen, Beobachtungsprotokolle und einen Stallfragebogen. Nach einer Risikoanalyse werden Verbesserungsvorschläge für den Tierhalter generiert. Derzeit befindet sich das SchwIP in der Prüfungsphase. Nach einer Überarbeitung soll es allen Schweinehaltern in knapp zwei Jahren kostenlos zur Verfügung stehen. Fachleute sammeln erste Erfahrungen Erst Interview, dann Stallbegehung Bericht stellt Risiken heraus Landwirt und Tierarzt schmieden Aktionsplan Schwanzbonitur am Schlachthof Fazit In der Interventionsstudie wendet eine dafür ausgebildete Veterinärin des FLI das SchwIP auf 70 nordwestdeutschen Mastschweinebetrieben zweimal im Abstand eines Jahres an. Nach dem ersten Besuch wird jeweils mit dem Betriebsleiter gemeinsam ein Maßnahmenplan erstellt, dessen Erfolg beim zweiten Besuch überprüft wird. In Schulungen haben rund 150 Berater und Tierärzte die Management-Hilfe kennengelernt. Sie verpflichten sich, das SchwIP auf mindestens einem von ihnen betreuten Schweinebetrieb anzuwenden. Voraussetzung ist, dass die teilnehmenden Betriebe konventionell wirtschaften und über mindestens 400 Mastplätze verfügen. Anschließend übermitteln die Tierärzte und Berater die Ergebnisse an das FLI Celle. Ihre Erfahrungen bei der Anwendung bestimmen darüber, ob noch Überarbeitungsbedarf an der Software besteht. -Mareike Schulte, SUS-