Die bayerische Herdbuchzucht hat die genomische Selektion bei Piétrain eingeführt. Jungeber werden nun viel treffsicherer als bisher für den KB-Einsatz ausgewählt.
Malena Erbe, Anne Haberland, Jörg Dodenhoff und Kay-Uwe Götz, LfL/ITZ Grub
Über viele Jahre haben Rinder- und Schweinezüchter dieselben Methoden angewendet. Die Weiterentwicklungen im Bereich der Zuchtwertschätzung waren sehr ähnlich. Die jüngste Neuerung jedoch, die genomische Selektion (GS), hat die Rinderzucht schneller und konsequenter als die Schweinezucht eingeführt. Bei den Schweinen haben viele zunächst die enormen Kosten gescheut.
Bayern: 2400 Piétrains typisiert
Mit der neuen Technologie der Chip-Genotypisierung können rund 60000 genetische Marker pro Tier bestimmt werden. In Bayern übernimmt die GeneControl GmbH Grub die Genotypisierung. Bei der genomischen Zuchtwertschätzung wird die Wirkung der 60000 Marker auf die einzelnen Merkmale berechnet. Das ist von Futterverwertung und Zunahme über den Fleischanteil bis hin zum Tropfsaftverlust für alle Merkmale möglich, die im Rahmen der umfangreichen bayerischen Leistungsprüfungen erfasst werden.
Um der Umsetzung der genomischen Selektion in Bayern einen Anschub zu geben, wurde das dreijährige Projekt „InGeniS“ ins Leben gerufen. Finanziert wurde es vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Tierzuchtforschung e.V. und den bayerischen Schweinezucht- und -besamungsorganisationen. Zusammen mit der Wissenschaft sollte am Tierzuchtinstitut Grub die genomische Zuchtwertschätzung bis zur Praxisreife entwickelt werden.
Aufgrund der starken Nachfrage aus der Praxis wurde intensiv am Aufbau einer Routine für die genomische Selektion bei Piétrain gearbeitet. Für die Entwicklungsarbeiten standen genomische Daten von 2400 sicher nachkommengeprüften Ebern zur Verfügung. Die genomische Zuchtwertschätzung ist umso genauer, je mehr Tiere genotypisiert und gleichzeitig leistungsgeprüft sind. Dieser Pool an Tieren wird auch Lern- oder Kalibrierungsstichprobe genannt.
Vererbungssicherheit verbessert
Die Entwicklungsarbeit konnte in-zwischen abgeschlossen werden. Ab Mai dieses Jahres liefert die wöchentliche Routine-Zuchtwertschätzung genomisch optimierte Zuchtwerte (goZW) nach dem sog. Singel-Step-Verfahren. Diese Methode macht es möglich, für alle Tiere in der Population genomisch optimierte Zuchtwerte zu erhalten. Das heißt, die Zuchtwerte sind untereinander voll vergleichbar, unabhängig davon, ob das Zuchttier genotypisiert ist oder nicht.
Das Projekt hat gezeigt, dass durch die genomische Zuchtwertschätzung die Sicherheiten der Zuchtwerte für Jungeber deutlich gesteigert werden können (siehe Übersicht 1). Es handelt sich hierbei um „theoretische“ Sicherheiten, die sich aus dem Modell und der Datenstruktur ergeben und die in der konventionellen Zuchtwertschätzung seit langem veröffentlicht werden.
Mit einer für die Schweinezucht sehr großen Kalibrierungsstichprobe sind im vorliegenden Datensatz für die meisten im Zuchtziel relevanten Merkmale mittlere theoretische Sicherheiten für die Kandidaten von etwa 50% erzielt worden. Solche Zuchtwerte haben etwa dieselbe Aussagekraft wie Zuchtwerte von Tieren, die mit sechs Nachkommen stationsgeprüft sind.
Weibliche Remonten typisieren?
Die Verbesserung der Aussagekraft ist nicht bei allen Merkmalen gleich. Für Merkmale wie Zunahme (TZU) und Fleischanteil nach Bonner Formel (FLAN), bei denen langjährige Datenreihen aus der stationären Nachkommenprüfung die Grundlage bilden, ist die Steigerung der Zuchtwertsicherheit deutlicher zu sehen als für das Merkmal Intramuskulärer Fettgehalt (IMF). Der Grund hierfür ist, dass zum Merkmal IMF erst seit wenigen Jahren Daten erhoben werden. Dadurch ist die Anzahl der Tiere für die Kalibrierungsstichprobe begrenzt, was sich in niedrigeren Sicherheiten für den goZW der Kandidaten widerspiegelt.
Als weiterer Vergleichsparameter ist die durchschnittliche Sicherheit für ein im konventionellen Schema als geprüft eingestuftes weibliches Tier („kZW geprüfte Sau“) angegeben. In der Regel werden zwei Nachkommen auf Station geprüft. Übersicht 1 auf Seite 41 zeigt, dass bei den Merkmalen Tägl. Zunahme und Fleischanteil die goZW-Sicherheit noch höher ist als die des konventionellen Zuchtwerts (kZW). Das zeigt, dass durchaus auch die Typisierung von züchterisch interessanten weiblichen Tieren einen Nutzen hat.
Acht Vollgeschwister rangiert
Mithilfe der genomischen Zuchtwerte können genotypisierte Vollbrüder schon als junge Tiere voneinander unterschieden werden, da für jedes Tier ein individueller Zuchtwert zur Verfügung steht. Im bisherigen konventionellen Zuchtwert-Schätzverfahren werden junge Tiere mit dem Elternmittel bewertet, das für alle Vollgeschwister ohne Nachkommenprüfung gleich ist (s. Übersicht 2). Selbst bei entsprechenden Eigenleistungsprüfungen der Eber können viele für das Zuchtziel relevante Merkmale nicht erfasst werden. Erst die Nachkommenprüfung lieferte bisher ein differenziertes Bild. Die Ergebnisse liegen jedoch frühestens ein Jahr nach Ankauf und Übernahme durch die KB-Station vor.
Nebenstehende Übersicht 3 zeigt, dass mit der genomischen Zuchtwertschätzung deutliche Unterschiede zwischen Jungebern sichtbar werden. Das erleichtert das Erkennen von hochwertiger Genetik durch die Besamungs-organisationen, aber auch für alle anderen Kunden. Die Streuung der goZW ist zu diesem Zeitpunkt aber nicht so hoch wie nach Abschluss der Nachkommenprüfung. Auch können noch einzelne Rangverschiebungen vorkommen.
Zusatzkosten und Züchtungsgewinn
Züchterische Maßnahmen müssen wirtschaftlich sein. Um die Wirtschaftlichkeit der geplanten genomischen Strategie zu überprüfen, wurde die in den Testläufen ermittelte Sicherheit des genomischen Zuchtwerts für eine Modellrechnung zur Zuchtplanung verwendet.
Für das bayerische Zuchtprogramm mit insgesamt 700 Stammsauen und jährlich 200 neuen Kb-Ebern wird eine Typisierung von 1200 Jungebern veranschlagt. So summieren sich die jährlichen Untersuchungskosten auf rund 54000 € (1200x45 €). Sollen zusätzlich jährlich 430 Jungsauen typisiert werden, würden sich die Laborkosten, unter Berücksichtigung eingesparter Kosten für Abstammungsüberprüfungen auf insgesamt 69600 € belaufen (1200x45 € + 430x36 €).
Diesen höheren Kosten stehen im Vergleich zum konventionellen Schema deutlich höhere Züchtungsgewinne gegenüber. Mit der Variante „GS_Jungeber“ und einem Anteil von 40 % Jungeberbedeckungen kann der Ertrag um 23 % gesteigert werden. Werden zusätzlich die Jungsauen genomisch selektiert (Variante GS_Jungeber und -sau), wird der Ertrag gegenüber der Basisvariante um 26 % verbessert (Übersicht 4).
Dass der Ertrag die zusätzlichen Kosten in jedem Fall deckt, sieht man daran, dass für die genomischen Szenarien der Gesamtgewinn um 28 % bzw. 31 % höher ist als der Gewinn des konventionellen Schemas. Auch wenn der Anteil Bedeckungen durch Jungeber in der konservativen Variante auf 40 % anheben würde, entstünde in den genomischen Szenarien ein jährlicher Mehrgewinn von 125000 (GS_Jung-eber) bzw. von 151000 € bei der zweiten Variante (GS_Jungeber + Jungsau).
Während dieser Gewinn in den Züchter- und Sauenbetrieben erwirtschaftet wird, fallen die Genotypisierungskosten zunächst bei den KB-Stationen und der Zuchtorganisation an. Daher ist es gerechtfertigt, die Spermadosen geringfügig teurer abzugeben, um auf diesem Wege die Zusatzkosten auszugleichen.
Schlussfolgerungen
Durch die genomischen Zusatzinformationen lässt sich die Sicherheit der Zuchtwerte bei Jungebern von 36 auf gut 50 % steigern. Somit kann die Auswahl der KB-Eber mit größerer Sicherheit erfolgen. Auch führt die Genotypisierung von Jungsauen in der Zuchtstufe trotz zusätzlicher Kosten zu einem gesteigerten Züchtungsgewinn.
Die genomische Selektion profitiert von umfangreichen Leistungsprüfungen. Schließlich werden in bayerischen LPAs jährlich mehr als 200 Eber der Rasse Piétrain nachkommengeprüft. So wird die Kalibrierungsstichprobe kontinuierlich erweitert und aktualisiert.