Binnen weniger Jahre hat Russland mehr als 12 Mrd. € in die Schweinehaltung gepumpt. Das Land ist jetzt zum globalen Exporteur für Schweinefleisch aufgestiegen.
Fred Schnippe, SUS
Noch vor zehn Jahren war Russland der zweitgrößte Importeur für Schweinefleisch weltweit. In der Spitze kaufte das Land jährlich mehr als 1,25 Mio. t Fleisch und Nebenprodukte vom Schwein zu. Ein Hauptlieferant war Deutschland. Mit dem 2014 von Putin verhängten Importverbot für Schweinefleisch aus der EU brach der Absatzweg abrupt weg.
Milliardenhilfen aus Moskau
Parallel dazu startete Moskau ein gigantisches Aufbauprogramm für die Schweinehaltung. Neben nahezu zinslosen Darlehen flossen allein im Jahr 2017 umgerechnet 450 Mio. € Fördermittel in den Ausbau der Schweineproduktion.
Weiteren Rückenwind bekam der Sektor durch die radikale Marktabschottung. Denn hierdurch erzielten die Erzeuger über Jahre hinweg sehr hohe Erlöse. Die Preise lagen phasenweise bei umgerechnet bis zu 2,50 € pro kg Schlachtgewicht. In der Folge kam es zu einer rasanten Steigerung der russischen Schweineproduktion.
Seit 2007 hat sich die erzeugte Fleischmenge mehr als verdoppelt, wie Daten des Nationalen Verbandes der Schweinezüchter (NSS) zeigen. Im vergangenen Jahr dürfte mit einer landesweiten Produktion von 4,2 Mio. t Schweinefleisch ein neuer Rekordwert erzielt worden sein (Übersicht 1). Gleichzeitig ist 2020 mit einem Plus von fast 300000 t Schweinefleisch das Jahr mit dem stärksten Produktionsausbau.
Aus für Kleinstbetriebe
Mit der Expansion hat sich die Struktur der russischen Schweinehaltung stark verändert. Verlierer sind die Hinterhofhaltungen und Kleinstbetriebe. Sie standen noch vor zehn Jahren für fast 50% der landesweiten Fleischerzeugung. In ländlichen Regionen hatten viele Familien bis zu fünf Schweine. Ihr Fleisch diente für den Eigenbedarf oder wurde auf Dorfmärkten angeboten.
Doch bis zum vergangenen Jahr schrumpfte der Marktanteil der Hinterhofhaltungen auf rund 10%. So verbot Moskau im Zuge der ASP-Krise vielen Kleinstbetrieben aufgrund hygienischer Mängel die Tierhaltung. Auch Mitarbeitern landwirtschaftlicher Betriebe wurde untersagt, Schweine zu halten. Zudem hat die junge Generation Russlands kaum Interesse an eigenen Nutztieren.
Großanlagen boomen
Im Gegensatz dazu erleben Russlands großen Agrarkonzerne einen Boom, der bis heute anhält. Allein die 20 größten Schweinehalter kontrollieren mehr als zwei Drittel der Fleischerzeugung.
Platzhirsch ist die Miratorg. Die Agrarholding hat im letzten Jahr mit 134000 Sauen rund 3,4 Mio. Schlachtschweine erzeugt. Miratorg ist mit 26000 Mitarbeitern auch im Geflügel- und Rindfleischsektor aktiv. Der Megabetrieb unterhält Futtermühlen, Schlachtbetriebe und Verkaufsläden.
Und die Expansion geht mit hohem Tempo weiter. So erwartet der Verband russischer Schweinehalter, dass der Sektor bis Ende 2023 umgerechnet weitere 3 Mrd. € in die Schweinehaltung investieren wird. Gleichzeitig wird der Schweinesektor professioneller. Durch die Optimierung der Infrastruktur und durch den Zukauf von Know-how aus dem Ausland, z.B. in der Zucht oder in der Fütterung, sind erhebliche Leistungssteigerungen möglich.
Die landesweite Produktion könnte so innerhalb der nächsten 36 Monate um rund 300000 t auf jährlich 4,5 Mio. t Schweinefleisch steigen. Das Wachstumstempo dürfte im Vergleich zum Rekordjahr 2020 aber etwas abnehmen.
Ausbau der Fleischexporte
Die Expansion hat dazu geführt, dass Russland beim Schweinefleisch nach 30 Jahren Abhängigkeit vom Import bereits im vergangenen Jahr die Schwelle zum Selbstversorger überschritten hat (Übersicht 2). So wurden in den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 nur noch knapp 8300 t Schweinefleisch einschließlich Speck und Nebenerzeugnissen zugekauft. Das sind 90% weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres.
Importe stark gesenkt
Hauptlieferant Brasilien hat seine Ausfuhren gen Russland fast vollständig eingestellt und verkauft offenbar bevorzugt nach China. Auch die Einfuhr aus Argentinien, Paraguay und Kasachstan ist auf einen Bruchteil der früheren Umsätze zurückgegangen.
Gleichzeitig konnte Russland vermehrt Schweinefleisch exportieren. Von Januar bis September 2020 beliefen sich die Ausfuhren auf 138000 t. Das ist fast eine Verdopplung zur Vorjahresperiode. Wichtige Abnehmer sind Vietnam, Hongkong und die benachbarten GUS-Staaten. Auch im Hochpreisland Japan konnte Moskau geringe Mengen platzieren. Russland konkurriert damit in wichtigen Ländern direkt mit den EU-Exporteuren. Doch der Kreml will noch mehr. So hat Präsident Putin zum Ziel gesetzt, die Agrarexporte bis 2024 auf 40 Mrd. € zu steigern. Das wäre nahezu eine Verdopplung gegenüber 2019.
Dies soll neben der Steigerung der Mengen auch dadurch erreicht werden, dass statt Rohwaren wie Getreide höherwertige Produkte wie Fleisch exportiert werden. Im Fokus hat Moskau vor allem das benachbarte China, wo Schweinefleisch über weite Strecken mehr als doppelt so teuer ist wie im eigenen Land.
Ob Russland wirklich auf lukrativen Drittlandmärkten pumpen kann, hängt auch von der ASP-Situation im Land ab. Die Seuche grassiert seit mehr als zehn Jahren und hatte sich zuletzt auch nach Sibirien ausgeweitet. Positiv ist, dass in letzter Zeit kaum noch Großbetriebe von einem ASP-Ausbruch betroffen waren.
Die professionell geführten Anlagen werden gut gegen eine Erregereintragung abgeschottet. Die Behörden haben zudem die Betriebe und die Produktionsregionen in ASP-Sicherheitsstufen eingeteilt. Bei einem Pestausbruch sollen mithilfe der Regionalisierung große Teile der Betriebe weiter ins Ausland liefern.
Erzeugerpreis unter Druck
Neben der ASP kämpfen die Betriebe mit dem Preisverfall. Die Erlöse gaben seit der Marktsättigung im Jahr 2019 um rund 10% nach (Übersicht 3). Im Jahr 2020 setzte sich der Marktdruck fort. Ende letzten Jahres lagen die Erzeugererlöse umgerechnet bei knapp 1 €/kg Lebendgewicht. Hierbei ist zu beachten, dass der Rubelkurs zum Euro binnen fünf Jahren mehr als 50 % verloren hat.
Viele Betriebe schreiben damit rote Zahlen. So sind die Preise für Futtergetreide und importierte Produktionsmittel stark angezogen. Selbst Großanlagen kalkulieren mit Kosten von 1,40 €/kg SG. Das sind rund 15% mehr als 2019.
Strukturwandel nimmt zu
Es ist daher zu erwarten, dass sich der Strukturwandel in der russischen Schweinehaltung weiter verstärkt. Vor allem kleine und mittelgroße Betriebe mit hohen Bankschulden sind aufgrund des Kostendrucks gefährdet.
Zumal auch in Russland der Tier- und Umweltschutz stärker in den Fokus kommt. Bei der Planung neuer Großanlagen regt sich zunehmend Widerstand von Anwohnern. Der Druck ist so stark, dass Moskau reagiert und die Gesetze verschärft. Selbst Marktführer Miratorg musste Pläne für sieben Großanlagen im Südwesten Russlands wegen Protesten streichen. Das 100 Mio. €-Projekt soll nun nach Sibirien verlegt werden.