Einige Mäster möchten in Tierwohlställe investieren. Über die Chancen und Risiken haben wir mit Experten aus der Vermarktungs- und Fleischbranche diskutiert.
Fred Schnippe, SUS
Die deutschen Lebensmittelketten haben vollmundig angekündigt, dass sie mehr Fleisch aus den höheren Haltungsformen mit mehr Tierwohl anbieten wollen. So will z.B. Aldi in fünf Jahren ein Drittel seiner Umsätze beim Fleisch in Haltungsform 3 und 4 machen.
Fraglich ist, wie weit die Verbraucher zum teureren Tierwohlfleisch greifen. So zeigt sich schon jetzt, dass die Deutschen mit der Überwindung der ersten Coronawellen und steigenden Kosten für Energie und Treibstoff etc. wieder stärker auf die Lebensmittelpreise achten.
Hoffnungsträger Tierwohl
Dennoch ist Tierwohl für etliche Schweinehalter auch zum Hoffnungsträger geworden. Dies gilt vor allem in der Preismisere, wo sich mit der konventionellen Haltung kein Geld verdienen lässt. Tierwohlboni und Abnahmegarantie hingegen helfen, die Liquidität zu stützen.
Doch auf dem Weg zum Tierwohlstall sind dicke Bretter zu bohren:
- Genehmigung: Vor allem diffuse Emissionen der Ausläufe machen Probleme.
- Kosten: Die Baukosten und GVO-freies Futter verteuern die Produktion.
- Absatz: Es gibt mehrjährige Abnahmegarantien. Doch was passiert danach?
Trotz der Herausforderungen haben sich in Deutschland rund 25 Programme in den beiden höchsten Haltungsformen etabliert. In den meisten Fällen vertreiben große Lebensmittelketten das Fleisch. Eine markante Position hat auch der niedersächsische Fleischbetrieb Brandt aufgebaut, der über zahlreiche kleine Kanäle vermarktet.
Zu den größten Anbietern in Haltungsform 3 gehört „BauernLiebe“, ein Markenfleischprogramm der Fleischhof Rasting GmbH. Die Tochter von Edeka Rhein-Ruhr verarbeitet momentan wö- chentlich rund 1500 Schweine im Label (siehe Übersicht). Die Belieferung erfolgt über die Partner Westfleisch und die Raiffeisen Viehvermarktung (RVG) in Enniger, die rund 80% der Schweine bereitstellt.
Im BauernLiebe-Programm erhalten die Landwirte eine umfassende Betreuung vom Stallkonzept bis zum Markenfleischprogramm. Das Programm sucht weitere Mäster, die auf höhere Haltungsformen umsteigen wollen.
Über die Chancen der Tierwohlprogramme haben wir mit RVG-Berater Christian Bode und Dr. Detert Brinkmann von Rasting diskutiert.
Wie groß ist der Markt für Haltungsform 3?
Brinkmann: Wir gehen davon aus, dass derzeit bundesweit unter 1% des Schweinefleisches aus Haltungsform 3 stammt. Doch das jungfräuliche Segment wächst. Denn wir und viele andere Lebensmittelketten haben sich ehrgeizige Ausbauziele gesetzt. Bei Edeka Rhein-Ruhr möchten wir bis 2023 auf rund 3500 Schweine pro Woche expandieren. Über alle Programme gesehen, könnten die Haltungsformen 3 und 4 in Deutschland in fünf Jahren zusammen einen Marktanteil von 10 bis 15% erreichen.
Wie reagieren die Verbraucher auf das höherpreisige Fleisch?
Brinkmann: Das Interesse unserer Edeka-Kaufleute ist da. Und das Fleisch der reiferen und fetteren BauernLiebe-Tiere schmeckt besser. Die Kaufbereitschaft der Endverbraucher ist jedoch regional unterschiedlich. Auf dem Land oder in Regionen mit geringer Kaufkraft vermarkten sich die Produkte aus Haltungsform 3 schwerer. Hingegen sehen wir in größeren Städten und bei hoher Kaufkraft wie in der Rheinschiene eine steigende Nachfrage. Diese kommt vor allem von jüngeren Käufern und Familien, für die Bio zu teuer ist. Gefragt sind hochwertige Teilstücke, wie Filets und Rückensteaks, aber auch Hackfleisch. Es ist anspruchsvoll, das Schwein insgesamt ins Geld zu bringen.
Welche Landwirte steigen in Haltungsform 3 ein?
Bode: Es handelt sich meist um größere Mäster, die mit einem Teilbereich ihres Betriebes bzw. einer VVVO-Nummer starten. In unserem BauernLiebe-Label sind derzeit gut 50 Mäster registriert, die im Schnitt knapp 1000 Mastplätze im Programm haben. Wobei die Spannbreite unserer Lieferanten von 200 bis 3200 Mastplätzen reicht. Das Gros der Betriebe hat einen Stall für die neuen Haltungsvorgaben umgebaut. Neue Ställe für Haltungsform 3 sind aufgrund der hohen Baukosten eher Einzelfälle.
Gibt es auch Angebote für Sauenhalter?
Bode: Unser Programm fokussiert in dieser Phase zunächst einmal auf die Mast. Seit Oktober bieten wir unseren Mästern mehrjährige Verträge an. In diesen Betrieben bauen wir derzeit eine feste Kopplung an einen ITW-Sauenhalter und Aufzüchter auf. Den angeschlossenen Sauenbetrieben bieten wir eine Abnahmegarantie und eine Preisuntergrenze für ihre Ferkel.
Wie sind die Verträge gestaltet?
Bode: Um die Planungssicherheit unserer Landwirte zu erhöhen, bieten wir seit Kurzem fünfjährige Abnahmeverträge an. Die Eckdaten sind für alle unsere Erzeuger gleich. Ausgangspunkt ist ein Mindestpreis, der sich am gleitenden fünfjährigen Mittel der VEZG-Notierung orientiert. Bis Ende dieses Jahres liegt die Preisuntergrenze bei 1,55 €/kg SG. Hierauf zahlen wir einen festen Bonus von 20 € je Programmschwein als Ausgleich für die höheren Tierwohlauflagen. Zudem erhalten die Erzeuger den ITW-Bonus sowie einen gestaffelten Mengenzuschlag.
Um welche Tierwohlkriterien geht es?
Bode: Das BauernLiebe-Programm entspricht der Haltungsform 3 des Lebensmittelhandels. Die Kernforderungen sind 40% mehr Platz, Außenklimareize, organisches Beschäftigungsmaterial und die GVO-freie Fütterung. Zusätzlich fordert unser Programm einen kleinen Teilbereich der Bucht mit planbefestigter Fläche und Stroh.
Gibt es spezielle Vorgaben bei der Vermarktung?
Bode: Ja, wir streben hohe Schlachtgewichte von knapp über 100 kg an. Ziel ist ein höherer Fettgehalt bzw. eine stärkere Marmorierung des Fleisches. Neben dem Mehr an Tierwohl soll dies den Geschmack der Fleischerzeugnisse spürbar verbessern. Damit die Landwirte mit den hohen Verkaufsgewichten klarkommen, arbeiten wir mit einer offenen Preismaske mit einem Gewichtskorridor von 90 bis 115 kg SG und einem Muskelfleischanteil von 50 bis 65%.
Wie trennen Sie die Ware im Fleischwerk?
Brinkmann: Wir zerlegen Schweine aus Haltungsform 3 nur im Werk Meckenheim. Vor der Lieferung erhalten wir digital die VVVO-Nummern und Schlachtdaten der Vertragslandwirte. Westfleisch kennzeichnet die Hälften mit einem Zusatzzeichen für die Haltungsform 3. Im weiteren Verlauf ist die Produktionskette komplett getrennt, sodass wir eine Rückverfolgbarkeit bis zur fertigen Fleischpackung mit dem BauernLiebe-Logo sicherstellen können. Die Produktion des Standardsortiments haben wir seit Juli auf ITW-Ware umgestellt. Eine Rückverfolgbarkeit bis zum Landwirt können wir anhand der Tagescharge darstellen. Die Verbraucher können sich Hofportraits unserer Landwirte auf der BauernLiebe-Webseite ansehen.
Wie groß ist das Fleischsortiment?
Brinkmann: Inzwischen bieten wir über 40 Artikel vom Schwein aus Haltungsform 3 an. Der Fokus liegt auf dem Frischfleisch für die Bedientheken unserer Märkte. Wir haben aber auch Wurstwaren und einige SB-Artikel in der zweithöchsten Haltungsform im Sortiment. In der Region Edeka Rhein-Ruhr vertreiben nahezu alle der 750 Märkte BauerLiebe-Produkte, davon 320 in für das Programm zertifizierten Bedientheken. Wobei klar sein muss: Fleisch aus Haltungsform 3 ist derzeit immer ein Zusatzsortiment mit Mehrwert.
Bietet Tierwohl mehr Absatzsicherheit für die Erzeuger?
Bode: Ja, denn durch die geschlossene Wertschöpfungskette bis zum LEH hat die Schlachtung von Stufe-3-Tieren eine höhere Priorität. Auch in Coronazeiten gab es keine Abnahmeverzögerungen. Und mit den Fünfjahresverträgen bieten wir nach unserer Kenntnis ein Alleinstellungsmerkmal.
Wie bewerten Sie die Wirtschaftlichkeit?
Bode: Durch die festgeschriebene Preisuntergrenze bieten wir den Landwirten Planungssicherheit. Wir kalkulieren in der Haltungsform 3 mit etwa 10 € höheren variablen Kosten je Mastschwein. Diese resultieren insbesondere aus dem GVO-freien Futter, Mehrarbeit, dem Stroheinsatz sowie dem höheren Futterverbrauch aufgrund des Außenklimas und der höheren Mastgewichte. Damit bleiben vom fixen Tierwohlbonus überschlägig 10 € je Schwein für die Anpassung der Mastplätze, inklusive des 40% höheren Platzangebotes. Soll der Umbau in den fünf Jahren Vertragszeit abbezahlt sein, darf der Betrieb maximal 130 € pro Mastplatz ausgeben.
Ist das machbar?
Bode: Die von uns betreuten Betriebe haben zwischen 120 und 300 € pro Mastplatz für den Umbau zur Haltungsform 3 investiert. Das heißt: Bei günstigen Ausgangsbedingungen und Eigenleistung kann das unternehmerische Risiko des Stallumbaus vollständig durch den Abnahmevertrag gedeckt werden. In anderen Fällen bleiben nach Ende des Fünfjahresvertrages noch Restbeträge in der Abschreibung. Bei 1000 Mastplätzen geht es aber in der Regel um Investitionen bis 300000 €. Die Risiken bleiben kalkulierbar.
Und wenn der Landwirt neu bauen möchte?
Brinkmann: Wer heute einen neuen Stall baut, ist extremen Kostensteigerungen im Baugewerbe und sperrigen Genehmigungsverfahren ausgesetzt. Um die Risiken schultern zu können, braucht der Betrieb Abnahmeverträge von fünf Jahren, eine Preisabsicherung und Bonuszahlungen. Kurzum: Wegen der hohen Kosten ist eine Neuinvestition in einen Tierwohlstall unter heutigen Bedingungen oft wirtschaftlich schwer darstellbar. Die AFP-Förderung und die Strohprämie sind aber gute und ausbaufähige Instrumente.
Was muss sich ändern?
Brinkmann: Wir brauchen faire bauliche Rahmenbedingungen für die umstellungsbereiten Landwirte. Die ITW und die Haltungsform-Kennzeichnung des LEH sind eine gute Basis für eine kundenorientierte Weiterentwicklung der Tierhaltung. Nur gemeinsam und partnerschaftlich ist die gewünschte breite Umstellung zu mehr Tierwohl machbar. Wir wollen die Haltungsformen 3 und 4 weiter ausbauen.