Ab 2022 endet für größere Betriebe die Möglichkeit, die Umsatzsteuer zu pauschalieren. Im Interview erklärt Steuerberater Bernhard Billermann, wie Sie die Regelbesteuerung abwenden.
Fred Schnippe, SUS
Die Umsatzsteuer für landwirtschaftliche Betriebe ist seit Jahren ein Zankapfel in der Politik. Ende letzten Jahres schaffte der Gesetzgeber Fakten: Ab dem 1.1.2022 dürfen Unternehmer, die im Kalenderjahr 2021 mehr als 600000 € Gesamtumsatz erzielt haben, in 2022 nicht mehr die Pauschalierung anwenden. Sie fallen zwangsweise unter die Regelbesteuerung.
Hauptauslöser ist Brüssel. So kritisiert die EU seit Längerem, dass in Deutschland zu viele Landwirte in den Genuss der Pauschalierung kommen. Dies sollte eigentlich kleineren Betrieben zur Vereinfachung der Verwaltungsarbeit vorbehalten sein. Derzeit pauschalieren rund zwei Drittel der deutschen Landwirte.
Vorteile mit Pauschalierung
Schließlich bietet die Pauschalierung für die Landwirte zwei Pluspunkte:
- Bei der Pauschalierung wird angenommen, dass die Umsatzsteuer von 10,7% der gezahlten Vorsteuer entspricht und keine Zahllast entsteht. Der Aufwand für die Umsatzsteuervoranmeldung entfällt.
- Erfolgreiche Betriebe nehmen in der Regel mehr Umsatzsteuer ein als sie bezahlen. Die Pauschalierung kann für sie erhebliche Steuervorteile bringen.
Vor allem umsatzstarke Betriebe bzw. solche mit einer hohen Wertschöpfung profitieren. In der Schweinehaltung sind dies insbesondere die Mäster. Für sie kann der Wegfall der Pauschalierung schnell einen fünfstelligen finanziellen Nachteil im Jahr bedeuten.
Daher gibt es ein großes Interesse, die Pauschalierung auch zukünftig zu retten. Im Fokus steht die Splittung des Betriebes, damit die neue Grenze eingehalten wird. Jedoch kann die Teilung mit Nachteilen und Kosten verbunden sein.
In welchen Fällen sich die Pauschalierung retten lässt, zeigt unser Interview.
Wie wird die neue 600000 €-Grenze für die Pauschalierung berechnet?
Maßgeblich ist der Gesamtumsatz des Unternehmers, der in §19 UStG geregelt ist. Hierzu zählen alle Umsätze des Unternehmers. Bei Schweinehaltern geht es in erster Linie um den Verkauf von Tieren, Getreide sowie um Tierwohlboni. Wird eine Biogas- oder PV-Anlage als Einzelunternehmen geführt, umsatzsteuerpflichtige Mieten vereinnahmt oder liegt eine umsatzsteuerliche Organschaft vor, werden diese Umsätze hinzugerechnet. Prämien bleiben außen vor. Grundlage ist der Nettoumsatz des Kalenderjahres. Es ist immer der Vorjahresgesamtumsatz entscheidend. Wird in 2021 die Grenze überschritten, muss in 2022 die Umsatzsteuer abgeführt werden.
Wie viele Betriebe sind betroffen?
Laut Finanzministerium erreichen rund 20000 Landwirte die Umsatzgrenze von 600000 €. Rund die Hälfte von ihnen ist bereits in der Regelbesteuerung. Damit dürfte der Wegfall der Pauschalierung rund 10000 Betriebe betreffen. Vor allem in den viehstarken Regionen im Nordwesten sehen wir einen großen Beratungsbedarf. Im Osten ist das Thema weniger präsent, da viele Betriebe bereits in der Regelbesteuerung sind.
Um welche Betriebsgröße geht es?
Die 600000 €-Grenze wird selbst von Schweinebetrieben mittlerer Größe oft schnell erreicht. So werden in einem typischen Stall knapp unter der BlmSch-Grenze mit 1490 Plätzen im Jahr rund 4200 Mastschweine produziert. Erreicht der Nettoerlös im Schnitt 143 € je Schwein, unterliegt der Betrieb künftig der Regelbesteuerung.
Was ist mit dem Pauschalierungssatz von 10,7% Umsatzsteuer?
Für alle landwirtschaftlichen Unternehmer, die 2021 unterhalb von 600000 € Umsatz liegen, bleibt es beim Durchschnittssteuersatz von 10,7% bzw. 5,5% bei Holzverkäufen. Der Gesetzgeber will die pauschalen Steuersätze jedoch jährlich überprüfen.
Welchen Schaden verursacht der Verlust der Pauschalierung?
Wir sollten nicht von Schaden sprechen, sondern vom Wegfall der Vorteile. Der Umfang schwankt je nach Betrieb. Wichtig sind u.a. das Alter der Ställe und der Anteil des Eigenfutters. Im Mittel beträgt der Pauschalierungsvorteil 5 € je Mastschwein. Die Spannbreite reicht von 2 bis 8 €. Bei den derzeit niedrigen Erlösen ist von geringeren Werten auszugehen. Zu bedenken ist außerdem, dass der Vorteil der Pauschalierung der Einkommensteuer unterliegt. Der absolute Vorteil ist daher um die Einkommensteuerlast zu reduzieren. In der Sauenhaltung lassen niedrige Erlöse und die anstehenden Investitionen den Vorteil der Pauschalierung abschmilzen.
Wie lässt sich die Pauschalierung retten?
Es gilt die Umsätze des Unternehmers so aufzusplitten, dass die Grenze von 600000 € unterschritten wird. Grundsätzlich sind bei Teilungen eigenständige landwirtschaftliche Betriebe mit Tierhaltung oder Gesellschaften nach §51a Bewertungsgesetz (GbR oder KG) notwendig. Diese sind umsatzsteuerlich eigenständige Unternehmen. Wichtig ist aber, dass die Betriebe physisch und wirtschaftlich penibel getrennt werden.
Was heißt das im Detail?
Die Betriebsteilung muss einem Fremdvergleich standhalten. Das heißt: Die Verträge müssen dem entsprechen, was zwischen fremden Dritten üblich ist. Es geht um eindeutige und nachprüfbare Vereinbarungen. Wichtig ist dabei eine strikte Trennung der Vermögens- und Ertragsverhältnisse sowie des Unternehmerrisikos. Zudem bedarf es einer räumlichen Trennung der selbstständig nutzbaren Wirtschaftsgüter. Im Schweinebereich geht es vor allem um die Futterversorgung. Auch Strom, Wasser und Gülle müssen klar abgegrenzt sein.
Das ist in der Praxis schwer umsetzbar.
Ja, im Kern geht es um die Frage: Liegt eine teilbare Einheit vor? Manche Schweineställe lassen sich technisch nicht bzw. nur mit hohem Aufwand steuerkonform teilen. Eine Ausnahme können Ställe sein, die in zwei Abschnitten mit eigener Futterzuteilung gebaut wurden. Von Futtergesellschaften, die mehrere Betriebe versorgen, müssen wir nach den Erfahrungen der letzten Jahre abraten.
Gibt es einfachere Wege?
Liegt der Betrieb nur wenig über der 600000 €-Grenze, kann eine Trennung von Ackerbau und Tierhaltung ein guter Weg sein. Die Schweinehaltung erfolgt dann in einer §51a-Gesellschaft. Hierzu überträgt der Hauptbetrieb den Großteil der Vieheinheiten auf den Tierhaltungsbetrieb. Ein 1200er-Mastbetrieb könnte bei 2,8 Durchgängen bis zu einem Nettoerlös von 178 € je Schwein pauschalieren.
In wie vielen Betrieben lässt sich die Pauschalierung retten?
Das ist je nach Region und Betriebsstruktur unterschiedlich. Überschlägig können wir ein Viertel bis zur Hälfte der Betroffenen mit geschickten Betriebsteilungen in der Pauschalierung halten. Es ist aber in jedem Fall zu prüfen, welchen baulichen und finanziellen Aufwand eine Betriebsteilung mit sich bringt.
Welchen Mehraufwand verursacht die Regelbesteuerung?
Das Finanzamt verlangt grundsätzlich vierteljährlich eine Umsatzsteuervoranmeldung. Liegt die Umsatzsteuer-Zahllast über 7500 € jährlich, ist eine monatliche Meldung Pflicht. Übernimmt der Steuerberater die Meldung, ist mit zusätzlichen Kosten von 500 bis 1000 € jährlich zu rechnen. Grundlage für die Umsatzsteuer-Voranmeldung ist eine monatliche bzw. vierteljährliche Buchführung mit der Erfassung der offenen Posten. Dabei ist aus unserer Sicht die digitale Buchführung heute ein Muss.
Sollte man in der Preiskrise vorzeitig zur Regelbesteuerung wechseln?
Das kann sinnvoll sein, ist aber individuell zu prüfen. Am ehesten stellt sich die Frage für größere Ferkelerzeuger. Denn auf sie können wegen neuer Haltungsvorgaben hohe Investitionen zukommen. Der Schritt zur Regelbesteuerung kann auch rückwirkend erfolgen. Letztmöglicher Meldetag für das laufende Jahr ist der 10. Januar 2022. Auch wer freiwillig zur Regelbesteuerung wechselt, ist dann aber für fünf Jahre gebunden.