Die Flächen mit hoher Nitratbelastung fallen je nach Bundesland sehr unterschiedlich aus. Das erzeugt Unverständnis bei Betroffenen. Wie geht es in den Regionen weiter?
Fred Schnippe, SUS
Das Thema rote Gebiete ist in aller Munde. Denn zum Jahreswechsel haben die Bundesländer neue Karten mit den Nitrat-belasteten Zonen veröffentlicht. Bundesweit sind über 2 Mio. ha Fläche betroffen.
Bereits jetzt gelten für Tausende Betriebe drastische Einschnitte bei der Düngung. Das größte Problem ist die Kappung der Stickstoffdüngung um 20% unter den pflanzlichen Bedarf. Zudem ist die Grenze von 170 kg/ha N aus Wirtschaftsdünger für jeden Schlag einzuhalten. Hinzu kommen längere Sperrfristen, im Herbst ist Stickstoff nur noch in Ausnahmen zulässig und vor Sommerungen sind Zwischenfrüchte Pflicht.
Veredlungsbetriebe werden versuchen, den Stickstoff zuerst beim Mineraldünger einzusparen. Doch je nach Witterung und pflanzlichem Bedarf ist dieser Weg begrenzt. Das heißt: In Betrieben mit knappen Gülleflächen spitzt sich die Nährstoffsituation weiter zu.
Niedersachsen: 24% rot
Besonders groß ist die Betroffenheit in Niedersachsen. Hier weisen die Behörden seit der nochmaligen Überarbeitung im März knapp 650000 ha bzw. 24,5% der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) als Nitrat-belastet aus. Im Fokus stehen Weser-Ems sowie der Nordosten des Landes. Niedersachsen ist damit bundesweit am stärksten betroffen (s. Karte Seite 18).
In Nordrhein-Westfalen umfassen die roten Gebiete mit der im Februar erneut angepassten Kulisse rund 11% der LN bzw. 165000 ha. Betroffen sind vor allem das Münsterland und das rheinische Tiefland.
Ähnlich groß ist der Anteil roter Gebiete in Schleswig-Holstein. Das Land weist 10% der Flächen als Nitrat-belastet aus. Auch im Süden ist die Betroffenheit vergleichbar. Bayern und Hessen haben je rund 12% der Flächen auf rot gestellt. In Baden-Württemberg trifft das Thema nur 1,5% der Flächen.
In den neuen Bundesländern sind die belasteten Bereiche im Vergleich mit Niedersachsen ebenfalls kleiner. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sind je 13% der LN als rot eingestuft. In Sachsen-Anhalt und Thüringen trifft es jeweils rund 6%, in Brandenburg knapp 2% der landwirtschaftlichen Nutzflächen.
Kulissen teils angepasst
Interessant ist neben der Größe der roten Gebiete auch, wie sich diese zum Jahreswechsel verändert haben. So hat Berlin eine Verwaltungsvorschrift (AVV) erlassen, mit der alle Bundesländer die Kulisse einheitlich abstecken sollen. Dennoch zeigen sich in den Ländern sehr unterschiedliche Entwicklungen:
- In Schleswig-Holstein verkleinerten sich die roten Gebiete um 80%.
- In Bayern halbierte sich der Anteil der roten Flächen in etwa.
- In NRW vergrößerten sich die Restriktionszonen zunächst um 50000 ha, dann kam es zur Halbierung der Kulisse.
- In Niedersachsen wurde die Gebietskulisse zum Jahreswechsel nur um rund acht Prozentpunkte verkleinert.
Die sehr unterschiedliche Entwicklung sorgt für Frust bei den Landwirten. Im Fokus steht die Frage, ob die Länder die Verwaltungsvorschrift tatsächlich gleich angewendet haben.
Komplexe Rechenmodelle
Fakt ist: Die Ausweisung der roten Gebiete ist kompliziert und für Außenstehende kaum nachvollziehbar. So erfolgt die Differenzierung in drei Schritten, die auf sowohl Messdaten als auch Modellrechnungen fußen.
Ausgangspunkt sind die Nitratgehalte der relevanten Grundwassermessstellen. Liegt der Nitratgehalt einer Messstelle über 50 mg/ml bzw. weist ab 37,5 mg/ml eine steigende Tendenz auf, steht der Grundwasserkörper im Fokus. Anhand vorgegebener Kriterien wird ein Teilgebiet des Grundwasserkörpers als gefährdet abgesteckt.
Dann erfolgt die weitere Binnendifferenzierung u.a. mit Boden- und Wetterdaten. Sie zeigt, wie viel Stickstoff die Böden aufnehmen können, ohne dass im Bodensickerwasser mehr als 50 mg Nitrat je Liter entstehen. Es geht insbesondere um Bodeneigenschaften, die den Nitratabbau beeinflussen. Das Ergebnis ist der maximal tolerierbare N-Überschuss.
Im dritten Schritt ermitteln die Behörden den tatsächlichen N-Saldo des Areals. Dies erfolgt in der Regel auf Ebene der Gemeinde oder des Feldblocks. Liegt der tatsächliche N-Saldo über dem tolerierbaren Wert, wird das Gebiet rot.
Trotz der komplizierten Berechnungen ist klar: Die Größe der roten Gebiete hängt stark davon ab, wie viel Stickstoff mit Mineral- oder Wirtschaftsdünger auf die Flächen gelangt. Dies können die Landwirte mitgestalten.
Nicht steuern lässt sich dagegen die Fähigkeit des Bodens zum Nitratabbau. So ist z.B. der geringe Nitratabbau an etlichen Standorten im Rheinland auf die dortigen Böden und die geringen Niederschläge zurückzuführen.
Kritik an Messstellen
Ein wichtiger Aspekt ist zudem, wie kleinräumig die Behörde die roten Zonen absteckt. Denn trotz Verwaltungsvorschrift gibt es Auslegungsspielräume. Dabei gilt: Je gröber die Abgrenzung der Gefährdungszonen, desto mehr Landwirte werden zu Unrecht sanktioniert.
Das Problem beginnt bei den Messstellen. Denn seit diesem Jahr reicht anstelle von mindestens drei bereits eine rote Messstelle aus, um einen gesamten Grundwasserkörper mit teils mehreren Zehntausend Hektar als gefährdet zu betrachten.
Entscheidend ist zudem, wie die Behörden die gefährdeten Teilbereiche eines Grundwasserkörpers abstecken. Hier können die Länder zwischen zwei Verfahren wählen. Das Regionalierungsverfahren führt zu kleineren Teilgebieten. Die Abgrenzung nach hydrologischen Kriterien wirft größere Gebiete aus.
Vorbildlich ist hier u.a. Bayern vorgegangen. Im Zuge der Regionalisierung hat das Land neben den mehr als 500 staatlichen Messstellen der Wasserrahmenrichtlinie auch sogenannte Stützmessstellen herangezogen. Hierdurch konnten in erheblichem Maß unbelastete Teilbereiche herausgenommen werden.
Eine möglichst kleine räumliche Erfassung ist auch bei den N-Salden wichtig. Die meisten Länder nutzen hierfür statistische Daten z.B. aus dem Nährstoffbericht. Davon ausgehend lässt sich der N-Saldo bestenfalls auf Ebene der Gemeinde oder Gemarkung darstellen.
Genauer geht Mecklenburg-Vorpommern vor. Das Land nutzt bei der Ermittlung der N-Salden zusätzlich betriebsindividuelle Daten. Sie stammen aus Prämienanträgen, der Düngerdatenbank, BZA-Daten oder Abfragen im Betrieb.
Landvolk reicht Klagen ein
Trotzdem sind viele Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern nicht zufrieden. Die Kritik richtet sich vor allem auf die Messstellen. So zeigt ein Gutachten im Auftrag des Bauernverbandes, dass rund 50% der Messstellen nicht repräsentativ sind. Oft reicht die Tiefe nicht aus, um die Nitratgehalte exakt darzustellen. Das Agrarministerium in Schwerin erkennt die Kritik zumindest teils an und hat die Überprüfung und den Ausbau des Messnetzes zugesagt.
Deutlich rauer ist der Ton in Niedersachsen. So will das Landvolk mit Klagen gegen die Ausweisung der roten Gebiete vorgehen. Fünf Klagen sind bereits beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg anhängig. Der Widerstand stützt sich vor allem auf ein umfangreiches Gutachten. Hiernach weisen mehr als 50% der Messstellen gravierende bauliche Mängel auf, die einer realistischen Messung der Nitratwerte im Wege stehen.
Nach einer Mahnwache vor den Agrar- und Umweltministerien in Hannover sagte das Land u.a. die schrittweise Umstellung auf die Regionalisierung zu, um die roten Gebiete genauer abzugrenzen. Hierzu will das Land auch neue Messstellen schaffen. Die Umsetzung soll sich aber bis in den Herbst 2023 ziehen.
In NRW hat sich die Lage nach der Halbierung der roten Zonen etwas entspannt. Regional kommt es weiter zu Belastungen. Der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) fordert daher eine stärkere Berücksichtigung unbelasteter Messstellen. In Ausnahmen will der Verband auch Flächen von Betrieben herausnehmen lassen, die besonders niedrige N-Salden aufweisen.
Mindestens ein Betrieb aus NRW will gegen die Gebietsausweisung klagen. Die Aussichten hierfür stehen nicht schlecht. So zeigt ein Gutachten im Auftrag der Landesregierung, dass auch in NRW ein Großteil der Messstellen gravierende Mängel aufweist. Jedoch können sich die Gerichtsverfahren über Jahre hinziehen.
Jetzt Gülleeinsatz optimieren
Auch die Hoffnung auf bessere Nitratwerte und die Herausnahme aus den roten Gebieten verlangt viel Geduld. Zum einen dauert es oft viele Jahre, bis sich eine optimierte Düngung in geringeren Nitratwerten zeigt. Zum anderen sind die roten Gebiete jetzt für vier Jahre fix bis eine Überprüfung erfolgt. Das Gros der Betriebe in roten Gebieten wird daher in den nächsten Jahren verschärfte Düngeregeln hinnehmen müssen. Betroffene Schweinehalter sollten den Nährstoffanfall durch angepasste Rationen weiter drücken. Gleichzeitig gilt es, die Gülle so effizient wie möglich einzusetzen, um Mineraldünger einzusparen.
Mehr zum Futter- und Gülleeinsatz in roten Gebieten im folgenden Beitrag.