Die Schweinehalter stecken in einer der schwersten Krisen seit Jahrzehnten. Was sind die Ursachen? Welche Perspektiven gibt es?
Fred Schnippe, SUS
Marktexperten nehmen kein Blatt mehr vor den Mund: die Schweinehaltung steckt in einer der schwersten Krisen der Nachkriegszeit. Das Preistief könnte noch längere Zeit anhalten.
Schon jetzt hat die Kombination aus ruinösen Erlösen und stark gestiegenen Futterkosten viele Betriebe in Schieflage gebracht. Denn die Erholungsphase nach dem Schweinestau im Herbst und Winter 2020 war viel zu kurz.
Dass der Markt derart aus dem Lot geraten ist, hat mit der Vielzahl negativer Ereignisse zu tun (siehe Übersicht). So entstand ein Mix, der es in sich hat:
- Ein Problem ist der Wegfall der Fleischexporte nach China nach dem ASP-Ausbruch vor einem Jahr. Zwar hielt Deutschland seine monatlichen Drittlandexporte mit 206000 t Schweinefleisch fast konstant. Durch den Wegfall des lukrativen Chinageschäftes ging der Exportwert aber um 22% zurück!
- Der Fleischverzehr sinkt weiter. Vegetarismus, gesundheitliche und religiöse Gründe sowie die Klimadebatte drücken den Konsum. Hinzu kommt der Fleischverzicht in Großkantinen.
- Durch die verregnete Grillsaison und coronabedingt ausgefallene Großveranstaltungen fehlen Nachfrageimpulse.
- Seit August kämpfen die Schlachthöfe mit einem verstärkten Mitarbeitermangel. Hinzu kommen coronabedingte Standortschließungen.
Mehr Fleisch am EU-Markt
Auch am EU-Markt spitzt sich die Lage zu. Hauptproblem ist, dass die expandierenden Spanier seit Juli deutlich weniger Schweinefleisch nach China exportieren können. Auslöser ist der enorme Preisverfall in China. Zudem hat Peking zahlreichen spanischen Fleischbetrieben die Exportlizenz entzogen. Auch niederländische Schlachthöfe sind betroffen.
Spanien exportierte im ersten Halbjahr 2021 eine Rekordmenge von fast 870000 t Schweinefleisch nach China. Seit Juli drücken nun erhebliche Mengen davon zusätzlich auf den europäischen Markt.
Unter diesem Druck stürzte die deutsche Schweinenotierung vom diesjährigen Hoch von 1,57 € im Juni binnen zwölf Wochen um mehr als 0,30 € kg SG ab. Notierungen anderer EU-Länder brachen in ähnlicher Größenordnung ein.
Steigende kosten
Im September erreichte die VEZG-Notierung mit 1,25 € einen Tiefstand. Aktuell schreiben die Mäster bei Futterkosten jenseits der 80 €-Marke trotz extrem niedriger Ferkelpreise rote Zahlen. Hinzu kommt, dass viele der jetzt eingestellten Ferkel zur schwierigsten Phase zum Jahreswechsel an den Haken kommen. Etliche Mäster stellen daher verzögert oder teils gar keine Ferkel mehr auf. Fachleute schätzen, dass im Norden 8 bis 10% der Mastplätze leer stehen. Im Süden wird der Leerstand mit 15% beziffert.
Erschwerend kommt für die deutschen Erzeuger hinzu, dass sie aufgrund staatlicher Vorgaben deutlich teurer produzieren werden müssen als andere EU-Länder. Bereits in den letzten Jahren ist es zu einer Umverteilung der Produktion in Europa kommen. Während die deutschen Schweinebestände zurückgehen, hat insbesondere Spanien expandiert.
Auch auf der Schlachtstufe sind die Kosten gestiegen. Hier sind insbesondere der Wegfall der Werkverträge und die Corona-Auflagen zu nennen. Deutsche Fleischbetriebe haben dadurch ihre Position als EU-Kostenführer eingebüßt. Bei fehlenden Exportmöglichkeiten nach China sorgt das für eine verminderte Nachfrage nach Schlachtschweinen.
Zudem klagen die Schlachthöfe über hohe Lagerbestände. So erreichten die deutschen Vorräte an gekühltem und tiefgefrorenem Schweinefleisch im Juli mit 259000 t ein neues Rekordniveau, das rund 35% über dem Vorjahr lag.
China mit Fragezeichen
Angesichts der fatalen Lage blicken viele Schweinehalter besorgt in die Zukunft. Oft geht der Blick zuerst nach China. Sollte das bevölkerungsreichste Land der Erde neue Nachfrageimpulse senden, könnten sich auch die hiesigen Märkte wieder freilaufen. Fachleute warnen aber vor zu großen Erwartungen. Zwar hat China in der seit Anfang 2021 laufenden zweiten ASP-Welle 20 bis 30% der Zuchtsauen verloren. Doch in den Großanlagen steigen die Ferkelzahlen.
Auch sehen Experten der niederländischen Rabobank einen sinkenden Schweinefleischverzehr in China. Neben einer generellen Abkehr vom Schwein sind in der Volksrepublik eine große Angst vor Corona und fehlende Großveranstaltungen zu nennen. Vermutlich erreicht die Nachfrage nicht mehr das Niveau wie vor der Pandemie.
Im vierten Quartal könnte sich der Markt in China laut Rabobank wieder entspannen. Doch sind steigende Fleischimporte nur zu erwarten, wenn sich der dortige Erzeugerpreis nachhaltig erholt. Fraglich ist auch, welche Länder dann profitieren. Fachleute messen den USA und Brasilien bessere Chancen zu als Europa. Die Rabobank empfiehlt hiesigen Exporteuren, auch andere Märkte in Asien zu erschließen. Klar ist aber, dass diese China weder in der Menge noch in der Wertschöpfung ersetzen können.
Der Druck auf die Schweinehaltung in Europa bleibt hoch. So ließen die wachsende Produktion und der rückläufige Verzehr den Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch im vergangenen Jahr in der EU auf 130% und in Deutschland auf 125% steigen.
Ausweg Abstockung?
Die anhaltend schlechten Erlöse dürften die Aufstockung in Europa vorerst stoppen und ins Gegenteil kehren. Wobei eine weitere Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigen Kosten zu erwarten ist. Auch Tönnies Investitionspläne in Spanien sind in diesem Kontext zu sehen.
Für Deutschland wird aufgrund der ungünstigen Gesamtlage ein anhaltender Produktionrückgang erwartet. Experten halten sogar eine weitere Verminderung der wöchentlichen Schlachtungen um 100000 auf etwa 750000 Tiere für notwendig, um unseren Markt wieder ins Lot zu bringen. Damit einher ginge auch ein geringerer Bedarf an Mastferkeln.
Allerdings geht die Rechnung nur auf, wenn in Deutschland freigesetzte Kapazitäten nicht durch andere EU-Länder ersetzt werden. Das heißt: Der deutsche Lebensmittelhandel muss sich viel stärker auf Fleisch aus Deutschland konzentrieren. Das jetzt vereinzelt gemachte Be-kenntnis zu 5xD ist ein erster Schritt.
Tierwohl als Chance?
Abschließend bleibt die Frage, ob die Produktion in einem Tierwohllabel zumindest für einen Teil der Betriebe ein Ausweg aus der Krise sein kann. Ein Vorteil ist, dass etliche Programme mit einem Mindestpreis arbeiten, auf den ein entsprechender Tierwohlbonus ausgezahlt wird. Dies schützt die Erzeuger in Krisen zumindest vor einem totalen Preisabsturz.
Praktiker berichten auch, dass Tierwohlprogramme die Absatzsicherheit erhöhen können. Das gilt auch, wenn nur ein Teil des Betriebes im Label arbeitet. Insbesondere in Zeiten einer schwachen Nachfrage nach Schlachtschweinen ist die pünktliche Abholung der verkaufsreifen Tiere nicht zu unterschätzen.
Doch auch in den Labeln wachsen die Bäume nicht in den Himmel. So bleibt die Zahl der teilnehmenden Betriebe begrenzt. Und insbesondere in den LEH-Programmen spielt die Ferkelerzeugung praktisch keine Rolle.
Außerdem sind Tierwohlprogramme mit deutlich höheren Produktionskosten und Mehrarbeit verbunden. Interessierte Betriebe müssen daher kritisch abwägen, ob die zugesagten Boni die Mehrkosten vollständig abdecken. Das gilt insbesondere wenn ein teurer Umbau der Ställe oder gar ein Neubau für mehr Tierwohl ansteht. Das heißt: Ein genereller Rettungsanker in der Krise ist die Tierwohlschiene nicht.