Viele Ferkelerzeuger halten an der Kastration fest und setzen auf die Injektionsnarkose. Zwei Tierärztinnen schildern ihre bisherigen Erfahrungen.
Michael Werning, SUS
Die Praktikabilität der Injektionsnarkose wurde mit Blick auf das Ende der betäubungslosen Kastration immer sehr kontrovers diskutiert. Viele Landwirte favorisierten eher die Lokalanästhesie, die aber bis heute keine entsprechende Zulassung erhalten hat.
So mussten die Betriebe, die ab dem 1.1.2021 ihre Ferkel weiter chirurgisch kastrieren wollten, zwischen der Betäubung mit dem Narkosegas Isofluran und der Injektionsnarkose wählen. Nun sind einige Monate vergangen und den Schätzungen von Tierärzten und Beratern zufolge haben sich rund ein Drittel der noch kastrierenden Ferkelerzeuger für den letztgenannten Weg entschieden.
Tierarztvorbehalt
Derzeit ist für die Injektionsnarkose beim Schwein nur eine Kombination aus den Wirkstoffen Ketamin und Azaperon zugelassen. Ketamin als Anästhetikum führt beim Ferkel zu einer vorübergehenden Bewusstseinsausschaltung und besitzt eine schmerzhemmende Wirkung. In Kombination mit Azaperon wird diese schmerzlindernde und hypnotische Wirkung verstärkt.
Anders als bei der Betäubung mit Isofluran, die der Landwirt nach entsprechender Schulung selbst durchführen darf, gilt bei der Injektionsnarkose weiterhin der Tierarztvorbehalt. Das bedeutet, die Narkose muss ein Tierarzt setzen, der auch die Nachschlafphase überwacht. Die Kastration darf der Schweinehalter bei bis zu sieben Tagen alten Tieren selbst durchführen.
Durch diese Gesetzgebung sind die Hoftierärzte bei der Betreuung zumindest eines Teils ihrer sauenhaltenden Kundenbetriebe neu gefordert. So auch Dr. Laura Strauch-Sürken von der Tierarztpraxis Bischoff aus dem niedersächsischen Melle, die bereits mehrere Monate vor dem Fristende das Gespräch mit den Kundenbetrieben suchte. „Einerseits wollten wir frühzeitig abklären, wie viele sich für dieses Verfahren entscheiden, um den Arbeitsaufwand für uns abzuschätzen. Andererseits konnten wir mit den Landwirten besprechen, was organisatorisch und auch kostenseitig auf sie zukommt“, schildert Strauch-Sürken.
Gute Vorbereitung wichtig
Hier spielt die Bestandsgröße natürlich eine Rolle. Bei kleineren Betrieben mit überschaubaren Abferkelgruppen entstehen verhältnismäßig hohe Anfahrtskosten pro Wurf bzw. Ferkel. Das Gleiche gilt für die Kosten der tierärztlichen Betreuung der Nachschlafphase.
Den Aufwand für die Narkotisierung und Kastration kann der Betrieb aber durch eine gute Vorbereitung maßgeblich beeinflussen. Und das fängt nach den Erfahrungen der Tierärztin schon bei so einfachen Dingen wie den Kisten zum Absortieren der männlichen Ferkel an. „Zu wenige bzw. zu kleine Kisten stören nicht nur den Arbeitsablauf, sondern erhöhen auch die Gefahr, dass langschlafende Tiere erdrückt werden“, so die Veterinärin.
Außerdem sollten die Kisten so beschaffen sein, dass sie gut zu transportieren und zu lagern sind. Bei der Höhe der Aufkantung ist wichtig, dass auch größere Ferkel sicher drin bleiben. Kommen Speisfässer oder dergleichen zum Einsatz, müssen in die Wandungen Löcher gestochen werden, um den Tieren frische Luft zuzuführen und die Bildung eines „CO2-Sees“ zu verhindern. „Und wenn Tiere aus mehreren Würfen gleichzeitig separiert werden, sollte man durch eine entsprechende Kennzeichnung die Buchtenzugehörigkeit klar machen“, empfiehlt die Schweineexpertin.
Kastration nicht kombinieren
Auch wenn jede zusätzliche Aufnahme mit Stress für die Tiere verbunden ist, rät Jutta Schwarz von der Tierärztlichen Gemeinschaftspraxis in Kropp aus Schleswig keine weiteren zootechnischen Maßnahmen mit der Kastration unter Narkose zu verbinden. „Ausgenommen ist die vorgeschriebene Gabe eines Mittels zur Linderung der postoperativen Schmerzen“, erläutert Schwarz.
Berufskollegin Dr. Strauch-Sürken sieht das genauso und hat dazu einen Tipp. „Werden die männlichen Ferkel z.B. bei der vorgelagerten Eisengabe mit intensiv farbigen Ohrmarken gekennzeichnet, spart das nicht nur Arbeitszeit ein, sondern das schnelle Absortieren reduziert auch den Stress für die Tiere“, so die Tiermedizinerin.
Kranke Ferkel außen vor
Die Kastration unter Injektionsnarkose stellt eine körperliche Belastung für die jungen Ferkel dar. Deswegen dürfen keine kranken oder untergewichtigen Tiere unter 1 kg Körpergewicht narkotisiert bzw. kastriert werden. Hier kommen unter Umständen zusätzliche Kosten auf den Sauenhalter zu, wenn der Tierarzt die wieder gesundeten Ferkel zu einem späteren Zeitpunkt betäuben muss. Ein Zusammenlegen der ausgelassenen Würfe mit der nachfolgenden Abferkelgruppe ist i.d.R. nicht möglich, weil eine Kastration nach dem achten Lebenstag gegen das Tierschutzgesetz verstößt.
Dr. Strauch-Sürken hat schon beobachtet, dass ein Wurf am Kastrationstag gesund erscheint und am nächsten Tag unter Durchfall leidet. Dann ist vom Stallbetreuer besondere Aufmerksamkeit gefordert. „Der Krankheitsverlauf kann gravierender ausfallen, weil die Ferkel durch die Narkose vom Vortag weniger Milch aufgenommen haben und geschwächt sind“, so die Tierärztin.
Hygiene wichtig
Ein weiterer Punkt ist die Wundheilung. Das Narkosemittel kann zu einer erhöhten Blutungsneigung und länger anhaltenden Blutungen führen. Daraus entwickelt sich ein schleppender bzw. schlechter Heilungsprozess und im schlimmsten Fall eine Blutvergiftung, die teilweise erst zwei bis drei Tage nach der Kastration deutlich wird. Eine Antibiotikagabe ist in diesen Fällen unumgänglich.
Um die Infektionsgefahr zu senken, sollte darauf geachtet werden, dass die Kisten nach jedem Durchgang gereinigt bzw. desinfiziert werden und die Liegeflächen in der Bucht nicht stark verunreinigt sind. Förderlich für die Wundheilung ist zudem das Versorgen der Kastrationswunde mit Blauspray oder mikrofeinem Puder-Spray.
Die Ferkel sind sehr temperaturempfindlich. Die Umgebungstemperatur darf während der Narkose weder zu warm bzw. zu kalt sein, weshalb eine Temperatur von circa 24°C empfohlen wird. In der Nachschlafphase sollte mit Wärmelampen usw. eine Umgebungstemperatur von 30 bis 33°C geboten werden. „Stellt man die Kisten mit den narkotisierten Ferkeln auf die Wärmeplatte in der Bucht, ist darauf zu achten, dass dort noch genug Platz für die weiblichen Tiere bleibt“, merkt Jutta Schwarz an.
Mehrstündiger Nachschlaf
Teilweise schlafen die Tiere nach der Kastration noch zwei bis drei Stunden. „In den größeren Beständen überbrücken wir diese Zeit mit den ohnehin notwendigen Betriebsrundgängen. So kann der finanzielle Mehraufwand an dieser Stelle etwas reduziert werden“, so die Tierärztin aus Schleswig weiter.
Weil die erwachten Ferkel zunächst noch desorientiert sind und schnell Gefahr laufen, von der Sau erdrückt zu werden, sollten sie unter keinen Umständen zu früh wieder in die Bucht kommen. In Würfen mit unausgeglichenen Geschlechterverhältnis kann es allerdings dazu kommen, dass sich über mehrere Stunden ein großer Teil der Ferkel in der Nachschlafphase befindet und bei der Sau kaum Milch abgerufen wird. Dr. Strauch-Sürken hat von dem ein oder anderen Betriebsleiter schon die Rückmeldung bekommen, dass deswegen bei einzelnen Tieren die saugreizinduzierte Laktationsanöstrie (Brunstlosigkeit) wegfiel und die Rausche einsetzte.
Narkosetiefe unterschiedlich
Dazu kommt es für beide Tierärztinnen an einer etwas überraschenden Stelle zu Problemen und Mehraufwand. „Wir stellen aktuell fest, dass es Differenzen bei der Verträglichkeit der Narkose bzw. Wirksamkeit des Narkosemittels gibt“, so Dr. Laura Strauch-Sürken.
Beide Veterinärinnen wiegen jedes Ferkel, um die Dosierungsempfehlung von 20 bis 25 mg Ketamin pro kg Körpergewicht (KG) und 2 mg Azaperon je kg KG genau abzustimmen. Damit ist die Dosierung bzw. das Mischverhältnis der Wirkstoffe immer dasselbe. Und dennoch: „Während die Ferkel in Betrieb A mit einem Gewicht von 2,5 kg und entsprechend berechneter Dosis von Ketamin bzw. Azaperon nach 10 bis 15 Minuten sicher schlafen, zeigen gleichschwere Tiere in Betrieb B bei identischer Dosierung Zwischenklauenreflexe. Sie sind offenkundig unzureichend narkotisiert“, berichtet Schwarz.
Angesichts dieser Wirkungsschwankungen besteht die Gefahr, dass es bei einer Überdosierung zu Atemaussetzern kommen kann oder die Tiere auskühlen. Beide Tierärztinnen sind deshalb dazu übergegangen, betriebsindividuell zu dokumentieren, welche Dosierungen in den verschiedenen Gewichtsspannen die beste Verträglichkeit zeigen. „Berücksichtigt man diese Feinheiten bei der Injektionsnarkose, funktioniert das Verfahren in vielen Betrieben ohne größere Probleme“, so die beiden Tierärztinnen.