Fleisch ist im Laden deutlich teurer geworden. Doch davon profitiert praktisch nur der Lebensmittelhandel. Eine Analyse von Prof. Thomas Roeb, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Beim Fleischeinkauf agieren die deutschen Verbraucher äußerst preissensibel. Wird Fleisch teurer, sinkt der Konsum bzw. die Kunden greifen zu günstigeren Artikeln wie Wurstwaren. Der starke Preisanstieg bei Lebensmitteln seit Beginn der Coronakrise schwächt den Fleischabsatz damit zusätzlich. In der Folge fiel der Pro-Kopf-Verbrauch beim Schweinefleisch im vergangenen Jahr erstmals unter 30 kg.
Dies wirft die Frage auf, wer eigentlich von hohen Fleischpreisen profitiert? Lebensmittelerzeuger und Einzelhändler geben sich gegenseitig die Schuld für die sprunghafte Verteuerung in diesem Segment. Und die Preisverhandlungen beider Parteien im vergangenen Herbst gelten als die härtesten jemals. Doch zumindest im Fleischsektor scheint die Lage klar. So blicken die Fleischbetriebe und Schweinehalter auf zwei wirtschaftlich extrem schlechte Jahre zurück.
Auswertung zum Hackfleisch
Es liegt daher nahe, die Margen der Produktions- bzw. Vermarktungsstufen beim Fleisch näher unter die Lupe zu nehmen. Dies hat der Handelsexperte Professor Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg exemplarisch für das gemischte Hackfleisch gemacht. Denn dieser Eckartikel ist mit bis zu 20% Verkaufsanteil am gesamten Frischfleisch besonders wichtig. Die Auswertung zeigt, dass der deutsche Lebensmitteleinzelhandel den Preis für gemischtes Hackfleisch in den Jahren von 2017 bis 2022 von 4,78 auf 7,98 €/kg stark angezogen hat. Das entspricht einer Steigerung von 67%.
Bemerkenswert ist auch, wie sich die Verteilung des Verkaufserlöses verändert hat. Im Jahr 2017 erhielten die Landwirte mit 2,49 €/kg noch gut die Hälfte des Ladenpreises (siehe Übersicht 1). Der zweitgrößte Erlösanteil ging mit 1,40 € je kg bzw. 26% an die Fleischbetriebe. Der auf den LEH entfallende Betrag war mit gut 40 ct/kg bzw. 9% vergleichsweise bescheiden. Für die Umsatzsteuer und Sonstiges wie die Verpackung und nicht verwertbare Fleischteile war im Jahr 2017 jeweils ein Anteil von gut 6 % zu veranschlagen.
Im Jahr 2022 änderte sich das Bild fundamental. Auffallend ist insbesondere, dass der LEH seinen Erlösanteil auf 2,17 € hochgeschraubt hat. Das ist mehr als das Fünffache gegenüber 2017! Die Supermärkte steigerten ihren Anteil am Verkaufspreis in den letzten fünf Jahren auf rund 27% und stiegen zum zweitgrößten Erlösempfänger beim gemischten Hackfleisch auf.
Ein großer Verlierer dieser Entwicklung sind die Landwirte. Nominal konnten sie ihren Erlösanteil im Laufe der vergangenen fünf Jahre zwar von 2,49 € auf 3,48 €/kg Hackfleisch halb und halb steigern. Im Jahr 2022 flossen aber nur noch rund 42% vom Verkaufswert des Hackfleisches in Richtung der Landwirte. Das sind mehr als zehn Prozentpunkte weniger als noch vor fünf Jahren.
Bei den Fleischbetrieben ist die Entwicklung ähnlich negativ. So flossen 2022 nur noch 17% des Verkaufserlöses beim Hackfleisch in die Kassen der Schlacht- und Zerlegebetriebe, ein Minus von elf Prozentpunkten gegenüber 2017. Im selben Zeitraum konnten die Fleischbetriebe ihren Erlösanteil nominal nur geringfügig von 1,25 € auf 1,40 €/kg gemischtes Hackfleisch steigern.
Verbraucher zahlen drauf
Interessant ist auch die Frage aus welchen Quellen der Lebensmittelhandel seine Margensteigerung von 1,75 €/kg Hackfleisch speisen konnte.
Die größte Last tragen eindeutig die Verbraucher. Sie mussten im vergangenen Jahr allein aufgrund der höheren Margen im Lebensmitteleinzelhandel im Schnitt 99 ct/kg mehr für gemischtes Hackfleisch bezahlen als im Jahr 2017 (siehe Übersicht 2 auf Seite 18).
Der zweite große Verlierer sind die Landwirte. Damit der Lebensmittelhandel höhere Margen erzielen konnte, büßten sie 66 ct/kg ein, was sich in längeren Phasen mit Erzeugererlösen unter den Vollkosten niederschlug.
Ein ähnlicher Mechanismus zeigt sich bei den Fleischbetrieben. Sie zahlten im vergangenen Jahr rund 10 ct/kg beim gemischten Hack drauf, und zwar allein für den Ertragszuwachs im LEH.
Das heißt: Mindestens 80 Cent seines Ertragszuwachses von 1,75 €/kg Hackfleisch hätte der LEH seinen Vorlieferanten gewähren müssen, um ihnen eine kostendeckende Produktion zu ermöglichen. Dieser Wert fällt unter Berücksichtung zumindest mittelfristig notwendiger Gewinne in den vorgelagerten Stufen sogar noch höher aus.
Fleisch verliert Zugkraft
Bemerkenswert ist auch, wie schnell der Lebensmittelhandel seine Preise für Hackfleisch angezogen hat. Vor 2019 lag der Preis für Hackfleich halb und halb relativ stabil unter der Marke von 5 €/kg. Über viele Jahre akzeptierten die Supermärkte niedrige Margen beim Hackfleisch, um diesen Eckartikel möglichst günstig anbieten zu können. Hiermit konnten sie rückläufigen Umsätzen beim Frischfleisch zumindest teilweise entgegenwirken.
Die hohen Preissteigerungen beim Frischfleisch oberhalb der Inflation deuten jetzt auf einen langfristigen Strategiewechsel im Lebensmittelsektor hin. So könnten frische Fleischartikel ihre bisherige Rolle als Zugartikel in weiten Teilen verlieren. Ein Indiz sind die Verkaufsprospekte der Supermärkte. In früheren Jahren dominierten Sonderangebote für Frischfleisch spätestens zur Grillsaison die Titelseiten der Prospekte.
Ganz anders zeigt sich die Werbung z.B. bei Aldi Nord im Mai dieses Jahres. Auf den ersten drei Seiten eines Prospektes wirbt der Discounter mit frischem Obst und Gemüse sowie Markenartikeln. Erst danach findet der Kunde nur eine Seite mit einem begrenzten Angebot an Fleischartikeln.
Auch Vollsortimenter wie Edeka haben ihre Fleischwerbung in den Verkaufsprospekten merklich gestutzt und weiter hinten platziert. Die deutlich geringere Gewichtung von Frischfleisch im Warenmix der Lebensmittelketten ist kaum zu übersehen.
Fleischbranche unter Druck
Dies ist eine existenzielle Bedrohung für die Fleischbranche. Denn sie gerät von zwei Seiten zusätzlich unter Druck. Zum einen führen fehlende Sonderangebote in Verbindung mit der starken Preissteigerung beim Fleisch dazu, dass der Konsum nochmals gebremst wird.
Zum anderen verliert Fleisch im Lebensmittelsortiment weiter an Bedeutung. Die ohnehin schwache Position der Fleischbetriebe in Preisverhandlungen mit den Supermarktriesen verschlechtert sich dadurch nochmals.
Nach Einschätzung des Handelsexperten Prof. Roeb können vermutlich nicht alle Akteure im Fleischsektor die großen Herausforderungen meistern. Die ersten Standortschließungen in deutschen Schlacht- und Zerlegebetrieben sowie die vermehrten Betriebsaufgaben in der Schweinehaltung sprechen für sich.
Ihr Kontakt zur Redaktion:fred.schnippe@susonline.de