Zukunftsforscher erwarten drastische Veränderungen beim Fleischverzehr.Welche Rolle spielen Nutztiere? Welche Chancen haben Pflanzenproteine und Laborfleisch?
Die Statistik zum Fleischverzehr spricht eine klare Sprache: Im vergangenen Jahr fiel der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch in Deutschland erstmals unter die 30 kg-Marke. Das sind rund 10 kg bzw. 25% weniger als zehn Jahre zuvor.
Die EU-Kommission erwartet in ihrer Langzeitprognose bis 2032 ein weiteres schwieriges Jahrzehnt für die Fleischerzeuger in der Union. Demnach könnte der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch in den EU 27-Staaten in der nächsten Dekade von aktuell 32,4 auf rund 31 kg sinken. Das wäre ein Rückgang von mehr als 4%.
Ausschlaggebend für die Einbrüche vom Schweinefleischkonsum sind nach Einschätzung der Experten vor allem gesundheitliche Gründe, aber auch Tier- und Umweltschutzaspekte. Allein beim Geflügelfleisch gelten in den nächsten Jahren leichte Zuwächse als machbar.
Die Schweinehalter müssen sich der sinkenden Kauflaune der Konsumenten stellen. So könnte die EU-Schweineproduktion im Mittel der nächsten Dekade laut Prognose um 1% jährlich schrumpfen. Das entspricht einem EU-weiten Produktionsrückgang um rund 2,2 Mio. t Schweinefleisch bis 2032.
Boom bei Laborfleisch?
Neben dem Trend zu weniger Fleisch sehen Experten eine wachsende Bedeutung von Fleisch aus alternativen Proteinen. Hierunter fallen Fleischersatzprodukte aus pflanzlichen Proteinen aber auch sogenanntes In-vitro-Fleisch. Letzteres wird im Labor auf Basis von Zellkulturen angezüchtet. Beide Herstellungswege bieten den Vorteil, dass für die Fleischprodukte kein Tier sterben muss.
Der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky erwartet, dass bereits im Jahr 2040 rund 60 bis 75% des Fleisches auf Basis alternativer Proteine erzeugt werden. Wobei der Forscher dem Fleisch aus Zellkulturen insgesamt größere Potenziale zuspricht als Produkten aus pflanzlichen Proteinen. Jánszky ist auch Geschäftsführer der Denkfabrik 2b Ahead in Leipzig sowie Dozent an einer privaten Hochschule in Karlsruhe.
Trotz des radikalen Umbruchs erwartet der Zukunftsforscher nicht, dass klassisches Fleisch vollständig vom Speiseplan unserer Gesellschaft verschwindet. Allerdings könnte Fleisch aus der Nutztierhaltung wesentlich teurer werden und sich sogar zum Premiumprodukt entwickeln. Dies liegt nach Einschätzung von Sven Gábor Jánszky im Wesentlichen daran, dass weite Teile der Bevölkerung die aktuell vorherrschenden Formen der Nutztierhaltung mit ihrem starken Fokus auf die Kostenoptimierung künftig nicht mehr akzeptieren.
Eine wirtschaftliche Zukunft sieht der Forscher daher nur für Veredelungsbetriebe, die deutlich höhere Tierwohlstandards umsetzen. Hingegen wird sich günstiges Fleisch nach Einschätzung von Jánszky künftig nur noch auf Basis alternativer Proteine erzeugen lassen.
Hierin sieht der Forscher ein riesiges Potenzial für die Lebensmittelindustrie. Denn der Bedarf an neuen Herstellungsmethoden und innovativen Produkten ist riesig, so Jánszky. Seiner Einschätzung nach kommt es für die konventionellen Fleischbetriebe darauf an, diesen Trend nicht zu verpassen und das Know How zur Herstellung alternativer Fleischprodukte früh zu erschließen.
Nutztiere sind nachhaltig
Den grundsätzlichen Trend zu einem verminderten Verzehr der klassischen Fleischprodukte sieht auch der Publizist und Berater Hendrik Haase. Allerdings sieht der Lebensmittelkenner den Wandel beim Fleischverzehr weniger schnell und radikal als andere Fachleute. Eines der Hauptargumente von Haase ist, dass die Gesellschaft auch künftig die Nutztierhaltung braucht. Denn sie ist in der Lage, Nebenprodukte aus der Lebensmittelindustrie sowie die Erträge vom Grünland nachhaltig zu verwerten.
Zudem verweist der Autor auf die USA, wo die Erzeuger alternativer Fleischprodukte gehäuft durch einbrechende Umsätze und abstürzende Börsenkurse in die Schlagzeilen geraten sind. Laut Haase mussten bereits mehrere US-Fastfoodketten ihre anfangs gefeierten Kooperationen mit den Herstellern von Fleischersatzprodukten schon nach kurzer Zeit wieder einstellen.
In der Europäischen Union bzw. Deutschland stehen die alternativen Fleischprodukte zudem vor erheblichen genehmigungsrechtlichen Hürden. So hat Brüssel vor Jahren besondere Vorschriften für sogenanntes Novel Food eingeführt, unter die auch Zellkulturen fallen. Damit kultiviertes Fleisch auf den deutschen Markt kommen kann, hat der Gesetzgeber noch einiges zu tun. Insbesondere gilt es, die Voraussetzungen für die notwendigen lebensmittelrechtlichen Zulassungen festzulegen.
Hingegen bilden Fleischersatzprodukte auf pflanzlicher Basis bereits ein festes Marktsegment. Dies gilt neben namhaften Lebensmittelherstellern wie der Rügenwalder Mühle seit Kurzem auch für den Außer-Haus-Verzehr. So betreibt die Restaurantkette The Ash seit dem vergangenen Jahr bundesweit elf Standorte in deutschen Großstädten. Das Besondere: Neben hochwertigen Fleischerzeugnissen aus der Nutztierhaltung bieten die Restaurants auch Fleischersatzprodukte aus dem 3D-Drucker an. Die faserige Fleischstruktur der Steaks entsteht durch die Nachbildung von Blut, Muskeln und Fett. Das Blut besteht z.B. aus Rote Bete- und Cranberry-Saft, die Muskelfasern aus Proteinen. Die in Israel gebauten Drucker erzeugen daraus Schicht für Schicht die richtige Kombination, die wie Fleisch aufgebaut ist. In den Niederlanden sind inzwischen acht dieser 3D-Drucker für pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte im Einsatz.
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