Bund und Länder streiten sich um die neue Haltungsverordnung. Die Sauenhalter fürchten praxisferne Regelungen. Was sind die Streitpunkte?
Michael Werning, SUS
Das Gezerre um die neue Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung geht weiter. Ursprünglich sollte der Bundesrat Mitte März über den Verordnungsentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) abstimmen. Bei einem vorherigen Treffen der Staatssekretäre von Bund und Ländern wurde aber klar, dass eine Einigung nicht zustande kommen würde. Zu groß sind noch die Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Punkten, heißt es aus dem Teilnehmerkreis. Insbesondere die grünen Agrarminister sollen sich quer stellen.
Als neuer Abstimmungstermin stand bis Redaktionsschluss der 15. Mai im Raum. Ob dieses Treffen angesichts der Corona-Pandemie stattfindet, ist fraglich. Ungeachtet dieser Umstände muss weiter an Lösungen gearbeitet werden, um nach der Rückkehr zum politischen Normalbetrieb schnellstmöglich Fakten schaffen zu können.
Die Bundesländer Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sollen dabei eine Führungsrolle einnehmen. Außerdem bringen sich zahlreiche Organisationen aus der Schweinebranche in den Diskurs um die neue Haltungs-VO ein.
Fixierung bei Rausche
Zu den größten Streitpunkten in Bezug auf die Sauenhaltung gehört die Fixierungszeit im Deckzentrum. Im BMEL-Verordnungsentwurf ist vorgesehen, dass die Sauen rund um den Zeitpunkt der Rausche maximal acht Tage im Kastenstand festgesetzt werden dürfen (siehe Übersicht). Mehreren Ländervertretungen geht diese Regelung nicht weit genug. Sie fordern eine Reduzierung der Fixierungsdauer auf längstens fünf Tage während des Deckens.
Aus Sicht der Sauenhalter trägt die Festlegung einer pauschalen Zeitspanne nicht den Umständen in der Praxis Rechnung. Sie argumentieren, dass es sowohl früh- als auch spätrauschende Sauen gibt. Insbesondere den Umgang mit Tieren, die später in die Rausche kommen und dann nicht festgesetzt werden dürften, sehen die Praktiker kritisch.
Einerseits sind steigende Umrauscherzahlen zu befürchten, da sich die Sauen unmittelbar nach der Belegung dem Stress ausgesetzt sehen, der mit Rangkämpfen und der gruppenweisen Fütterung verbunden ist. Andererseits geht von rauschenden, nicht fixierten Sauen ein Verletzungsrisiko für die anderen Tiere der Gruppe und das betreuende Personal aus.
Daher fordert beispielsweise das Netzwerk Sauenhaltung Schleswig-Holstein eine Einzelfall-Regelung. Derzufolge soll eine Sau mindestens bis zu zwei Tage nach der letzten Besamung festgesetzt werden dürfen. Dies würde im Vergleich zur aktuellen Regelung eine erhebliche Reduzierung der Fixierungszeit darstellen und den tierindividuellen Gegebenheiten beim Belegen entsprechen.
Umgang mit Magdeburger Urteil
Uneinig sind sich Bund und Länder auch darin, wie die Aussagen aus dem Magdeburger Urteil zum Hinlegen und Ausstrecken der Gliedmaßen und des Kopfes auszulegen sind. Im Referentenentwurf des BMEL sind konkrete Vorgaben zur Breite und Länge des Kastenstandes formuliert. So soll für kleinere Tiere bis zu einer Schulterhöhe von 80 cm ein Kastenstand mit einer Breite von 65 cm vorgehalten werden. Bei großen Sauen mit einer Schulterhöhe von über 90 cm ist von 85 cm die Rede. Bei der Kastenstandlänge sind, unabhängig davon ob der Trog ebenerdig oder hochgelegt installiert ist, 220 cm angedacht.
Mehreren Ländervertretungen und den Tierschutzverbänden geht dies nicht weit genug. Sie fordern eine stärkere Orientierung am Magdeburger Urteil. Demnach soll der Kastenstand so gestaltet sein, dass die Sau darin ihren Kopf und in Seitenlage die Gliedmaße uneingeschränkt ausstrecken kann. Das würde bedeuten, dass die Kastenstände deutlich breiter auszulegen sind als dies der BMEL-Entwurf vorsieht.
Die Sauenhalter halten dagegen, dass eine solche Rechtssprechung einem Verbot der Kastenstandhaltung gleichkommen würde. So betont die Bauförderung Landwirtschaft (BFL), dass die Benennung konkreter Zahlen für die Abmessungen der Kastenstände wichtig ist, um den Betrieben Rechtssicherheit zu verschaffen. Allerdings würden bereits die Vorgaben im BMEL-Entwurf zu einer massiven Benachteiligung der deutschen Sauenhalter gegenüber ihren Wettbewerbern in der EU führen.
Großer Wettbewerbsnachteil
Im Vergleich zu den Vorgaben, die in anderen wichtigen schweinehaltenden EU-Ländern gelten, müssten die Sauenhalter den Tieren circa 30% mehr Platz einräumen. Das ist auch aus Sicht des Tierschutzes kritisch zu sehen, da in zu breiten Kastenständen das Verletzungsrisiko für die Tiere massiv steigt.
Zudem dürfte allein schon die Umsetzung der Längenvorgabe von 220 cm zu einem spürbaren Abbau der Bestände führen. In Altställen mit vorgegebenen Gebäudeachsen und tragenden Wänden wird diese nur in seltenen Fällen umsetzbar sein.
Um dieser Vorgabe etwas die Schärfe zu nehmen, schlägt u.a. der Bundesverband Rind und Schwein (BRS) vor, bei einem hochgelegten Trog die Längenvorgabe auf 200 cm zu reduzieren. Hintergrund ist der, dass die Sau bei dieser Bauweise den Raum unter dem Trog zum Ausstrecken nutzen kann.
Kürzere Übergangsfristen
Ein besonders umstrittener Punkt sind die Übergangsfristen. Das BMEL plädiert für eine 12+3(+2) Jahre-Regelung sowohl für den Kastenstand im Deckzentrum als auch den Umbau des Abferkelbereiches auf Bewegungsbuchten. Das bedeutet, nach zwölf Jahren sollen die Sauenbetriebe ein verbindliches Umstellungskonzept vorlegen und, falls erforderlich, einen Bauantrag gestellt haben. Für die Umsetzung sind weitere drei Jahre vorgesehen. Zudem sollen die zuständigen Behörden im Einzelfall zur Vermeidung unbilliger Härten eine Verlängerung um längstens zwei Jahre genehmigen können.
Die meisten Branchenorganisationen würden diese Regelung mittragen. Das Sauenhalter-Netzwerk Schleswig-Holstein schlägt dazu vor, dass für Neubauten und genehmigungspflichtige Umbauten die neuen Haltungsvorgaben sofort verbindlich sind.
Dazu kommt aus den Ländern mit Regierungsbeteiligung von Bündnis 90/Die Grünen aber viel Gegenwind. Hier wurden Änderungsanträge mit deutlich kürzeren Fristen und einer getrennten Regelung für das Deckzentrum und den Abferkelbereich eingereicht.
So wird vorgeschlagen die Übergangsfristen für den Umbau der Abferkelställe auf 10+3(+2) Jahre zu setzen. Für den Kastenstand im Deckzentrum soll eine Fristregelung von 5+3(+2) Jahre gelten. Außerdem wird gefordert, dass in Anbetracht des Magdeburger Urteils, das Ausstrecken der Gliedmaßen im Kastenstand bereits während der Übergangsfrist umgesetzt werden soll.
Die ISN (Interessengemeinschaft der Schweinehalter) betont an dieser Stelle, dass die Schweinehalter nicht nur dringend Planungssicherheit brauchen, um wieder in ihre Betriebe investieren zu können. Benötigt werden auch ausreichend lange Übergangszeiten, damit sich die Ferkelerzeuger auf die gravierenden Systemveränderungen einstellen können.
Kommt es zum Kuhhandel?
Das schließt den Abferkelbereich mit ein, wo ein Umbau vom geschlossenen Ferkelschutzkorb zur Bewegungsbucht vollzogen werden soll. Selbst wenn sich die Vorstellungen des BMEL und der Branchenverbände durchsetzen sollten und die Buchten zukünftig eine Bodenfläche von mind. 6 m² vorweisen müssen. In der Praxis werden viele Betriebe nicht um einen Neubau der Abferkelställe herumkommen.
Daher wird diese Zeit auch vom Gesetzgeber dringend benötigt, um die notwendigen Begleitmaßnahmen einleiten zu können. Dazu zählt die Organisation einer Investitionsförderung und die Beseitigung genehmigungsrechtlicher Hürden.
Die Vorstellung der verschiedenen Interessensfraktionen liegen damit noch weit auseinander. Zusätzlich konterkariert wird der Lösungsprozess davon, dass einige Verhandlungspartner wohl auf einen Kuhhandel aus sind. So heißt es, dass z.B. Hessen angekündigt haben soll, beim Thema Übergangsfristen nur kompromissbereit zu sein, wenn im Gegenzug die ganzjährige Anbindehaltung von Kühen verboten wird.
Fazit
Der BMEL-Entwurf zur Haltungs-VO findet bei mehreren Bundesländern mit grünen Agrarministern keine Zustimmung. Zu den großen Streitpunkten zählen die Fixierungsdauer, die Abmessungen der Kastenstände sowie die Übergangsfristen.
Zahlreiche Organisationen bringen sich in den Diskurs ein. Bund und Länder müssen sich bis zur nächsten Versammlung am 15.5.2020 auf eine gemeinsame Linie einigen.