Etliche Ferkelerzeuger wollen aus der Kastration aussteigen. Doch die Vermarkter stehen auf der Bremse. Welche Rolle spielt der LEH?
Fred Schnippe, SUS
Weniger als fünf Monate verbleiben den deutschen Schweinehaltern bis zum Verbot der betäubungslosen Kastration. Viele Betriebe werden ihre Ferkel auch künftig kastrieren müssen, um marktkonforme Schweine bzw. Fleisch anbieten zu können. Eine zentrale Rolle dürfte dabei die Kastration unter Narkose mit Isofluran einnehmen.
Ein Teil der Betriebe möchte auch auf die Kastration verzichten und die Tiere als Jungeber vermarkten. Tierschützer begrüßen diesen Weg, da die Tiere unversehrt bleiben. Doch in den Schlacht- und Fleischbetrieben gibt es größere Vorbehalte gegen Jungeber, weil nicht alle Märkte das Fleisch akzeptieren. Das betrifft die klassische Ebermast sowie die Impfung gegen Ebergeruch.
Ebermast stagniert
Die Einschränkungen beim Absatz von Jungeberfleisch spiegeln sich im Marktanteil dieser Tiergruppe wider. So war die Ebermast bis vor einigen Jahren im Aufwind. Vor allem die drei großen Schlachtunternehmen bauten die Verarbeitung unkastrierter Tiere deutlich aus. Doch seit dem Jahr 2016 kann die Ebermast in Deutschland keine Zuwächse mehr erzielen (siehe Übersicht).
Auch für dieses Jahr erwarten Marktkenner, dass die Stagnation in der Ebermast bleibt. Bei einem bundesweiten Jahresvolumen von rund 4 Mio. Jungebern scheint die Marktsättigung erreicht. Die Ebermast dürfte dieses Jahr in Deutschland einen Marktanteil von rund 15% der männlichen Mastferkel erreichen.
Platzhirsch ist Tönnies mit 2,1 Mio. geschlachteten Jungebern. Auf Platz zwei folgt Westfleisch mit jährlich rund 1 Mio. Jungebern. Beide Unternehmen haben bis vor wenigen Jahren noch bis zu 40% ihrer Eber aus Holland zugekauft.
Seit 2018 geht der Anteil an Importebern aber kontinuierlich zurück. Laut Prognosen dürfte Westfleisch dieses Jahr nur noch rund 10% und Tönnies etwa 20% seiner Jungeber aus den Niederlanden beziehen. „Wir können so zumindest einem Teil unserer deutschen Vertragsbetriebe anbieten, neu in die Ebermast einzusteigen“, schildert Heribert Qualbrink, Einkaufsleiter von Westfleisch.
Der drittgrößte Abnehmer von Jungebern in Deutschland ist Vion mit jährlich 750000 Tieren. Wobei Vion nur deutsche Eber kauft. Danish Crown ist erst seit vier Jahren im Jungebergeschäft und nimmt mit rund 150000 Tieren im Jahr eine untergeordnete Rolle ein.
deftiger Eber-Malus im Süden
In Süddeutschland ist Müller Fleisch das einzige Unternehmen, das junge Eber in nennenswerten Stückzahlen abnimmt.Gegen den Trend hat Müller sein Eber-Segment in den letzten Jahren sogar ausgebaut. In diesem Jahr könnte der süddeutsche Betrieb rund 200000 Jungeber schlachten. Die Unternehmensspitze hatte in Richtung seiner Lieferanten kommuniziert, dass man auf die Ebermast setzt und diese ausbauen will.
Umso größer war der Schock, als Müller im Frühsommer deftige Abzüge für Jungeber und Improvac-Tiere ankündigte. Beide sollen ab 2021 mit 6 ct/kg Abschlag zur Normalmaske erhalten. Das Unternehmen begründet dies mit Risiken durch geruchsbelastete Tiere, Detektionsaufwand und eingeschränkter Vermarktung. Zudem argumentierte Müller, dass die Mäster unkastrierte Ferkel künftig 4 € je Tier günstiger einkaufen könnten. Insbesondere diese Argumentation sorgte in der Branche für großen Unmut.
Der künftige Preisabzug von Müller dürfte für das Gros der betroffenen Mäster ein K.-o.-Kriterium sein. Dazu Matthias Frieß, Kombibetrieb aus Hohenlohe und Vorsitzender der VEZG: „Bei 6 Cent Malus ist die Ebermast unrentabel. Bei der Immunkastration kommen 4 € Impfkosten hinzu, was auch diesen Weg für die Müller-Lieferanten unwirtschaftlich macht.“
Dass süddeutsche Ebermäster in den Norden vermarkten, ist aufgrund der begrenzten Aufnahmekapazitäten und langen Transporte unrealistisch. Im Süden bleibt im Wesentlichen Edeka, die Jungeber und Immuno-Kastraten aufnimmt. Lieferberechtigt sind aber nur Mäster mit Gutfleisch-Vertrag. Hier wird bestenfalls ein Bruchteil der bisherigen Ebermäster von Müller Fleisch unterschlüpfen können.
zieht der norden nach?
Jetzt wächst die Sorge, dass auch die norddeutschen Schlachthöfe ihre Bezahlung für Eber weiter senken. In den letzten Jahren haben sie die Preismasken für Jungeber bereits bis zu dreimal verschlechtert. Viel hängt davon ab, ob und wie stark das Angebot an Jungebern ab 2021 steigt. Dazu Dr. Albert Hortmann-Scholten, Marktexperte der Landwirtschaftskammer Niedersachsen: „Im Jungeber-Markt ist aktuell eine Schallmauer erreicht. Steigt das Angebot spürbar, müssen wir mit einer Anpassungsreaktion der Schlachthöfe rechnen.“
Auch Vion sieht wenig Spielraum, deutlich mehr Jungeber abzunehmen. Hauptargument ist die unterschiedliche Verarbeitungseigenschaft. Zudem ist die Akzeptanz in Südeuropa eingeschränkt. „Wir sind weiter für alle Wege offen und warten gespannt auf die Ergebnisse der Versuche zur lokalen Betäubung, um eine weitere Alternative für die Landwirte im Jahr 2021 zu haben,“ erklärt Dr. Stephan Kruse, Direktor Landwirtschaft bei Vion.
Sollten die Erzeugererlöse für Jungeber im nächsten Jahr unter Druck geraten, müssen die Mäster genau prüfen, ob sich der Weg noch lohnt. Zwar können Eber im Mittel bis zu 40 g mehr Tageszunahme und eine bis zu 0,2 Punkte bessere Futterverwertung als Kastraten erzielen. Doch die unkastrierten Tiere haben hohe Ansprüche an das Futter und das Management. „Die Ebermasken stellen zudem sehr hohe Ansprüche an die Gewichtssortierung. Ist die Vermarktung nicht optimal, kommen Ebermäster schnell an die Grenze der Wirtschaftlichkeit“, stellt Christa Niemann, Vermarktungsexpertin vom Deutschen Bauernverband, heraus.
Eberimpfung im test
Im Gegensatz zur Ebermast gibt es mit der Impfung gegen Ebergeruch wenig Praxiserfahrungen. Ihr Marktanteil liegt in Deutschland deutlich unter 1%. Bislang nehmen nur wenige Schlachthöfe in Projekten geimpfte Eber ohne Preisabzüge ab. Hier sind insbesondere die nordrhein-westfälischen Familienunternehmen Tummel und Manten zu nennen. Westfleisch sowie Tönnies nehmen zwar geimpfte Eber ab, ziehen jedoch 3 Cent je kg SG ab.
Die Vorbehalte gegen die Eberimpfung sind ähnlich wie bei der klassischen Ebermast. So lehnen Kunden auf den europäischen Fleischmärkten Immunokastrate für die Schinken- und Bauchspeckproduktion ab. Das gilt ebenso für das Metzgerhandwerk, vor allem im Süden.
Ein Hemmschuh ist auch, dass sich der deutsche Lebensmittelhandel nach wie vor nicht klar zur Abnahme von Fleisch aus der Eberimpfung bekennt. Hinzu kommt, dass in den meisten Schlachthöfen aufgrund des Restrisikos von Ebergeruch auch bei den Immunokastraten eine Geruchsprüfung erfolgt.
Im Mastbetrieb selbst lässt sich die Eberimpfung dagegen erfolgreich integrieren, wie ein Versuch des Netzwerks Sauenhaltung Schleswig-Holstein zeigt. Die Untersuchung mit gut 1200 Schlachtschweinen erfolgte Ende 2019 in einem Praxisbetrieb.
Im Versuch erzielten die Improvac-Eber knapp 30 g höhere Tageszunahmen sowie eine um 0,22 Punkte bessere Futterverwertung als die Kastraten, was ein Plus von gut 5 € je Tier ausmacht. Der bessere Schlachtkörper brachte gut 5 € Mehrerlös je Tier. Nachteil der geimpften Eber war die um 1,7% schlechtere Ausschlachtung, die knapp 4 € je Tier kostet.
Für die Eberimpfung wurden inklusive Arbeit 4 € je Tier veranschlagt. In dieser Vermarktungsvariante erfolgte ein Abzug von 3 ct/kg SG für die geimpften Eber. Unter dem Strich schnitt die Eberimpfung im Versuch 0,36 € je Tier schlechter ab als die Kastraten. „Wir können mit der Eberimpfung hohe Mast- und Schlachtleistungen erzielen. Doch für die Rentabilität darf es für geimpfte Eber keinen Abzug geben“, betont Dr. Andreas Klingelhöller vom Netzwerk Sauenhaltung.
schlachthöfe öffnen sich
Zumindest ist die Fleischqualität bei Improvac-Ebern kein klares Argument für Preisabzüge. So zeigen Versuche der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, dass Fleisch von geimpften Ebern ohne Einschränkungen für Brüh- und Rohwurst sowie für Koch- und Rohschinken verwendbar ist. In der Verarbeitung traten kaum Unterschiede zum Fleisch von weiblichen Tieren oder Kastraten auf.
Rückenwind bekommt die Eberimpfung jetzt durch das Programm 100000 Improvac-Eber, das norddeutsche Sauenhalter gestartet haben. Denn hier können rund 150 Mäster Erfahrungen sammeln. „Durch das Projekt befassen sich auch die Schlachthöfe und die nachgelagerte Stufe intensiver mit dem Thema. Das steigert die Akzeptanz für geimpfte Eber“, schildert DBV-Beraterin Niemann.
Diskussion um preisabzüge
Insgesamt ist vor allem bei den großen Schlachthöfen in Deutschland, aber auch manchen Mittelständlern, eine Öffnung für die Eberimpfung zu erkennen. „Bei einigen Mästern geht die Impfung aus der Projektphase fließend in den Routinebetrieb über. Manchen Betrieben ist es gelungen, geringere oder keine Abzüge für geimpfte Eber auszuhandeln“, schildert Dr. Martin Kreutzmann vom Impfstoff-Hersteller Zoetis.
Ein weiteres positives Signal kommt von Vion. So will sich das Unternehmen an den Standorten in Emstek und Crailsheim weiter für geimpfte Eber öffnen. Für den zusätzlichen Sortier- und Detektionsaufwand der Tiere werden 3 ct/kg SG von der Normalmaske abgezogen.
Mittelfristig könnte die Immunokastration durch auslaufende Patente und sinkende Impfstoffkosten wettbewerbsfähiger werden. Zu beachten ist auch, dass einige Schlachthöfe in den Verträgen mit den Ebermästern Anpassungsklauseln verankert haben. Demnach müssten die Mäster binnen weniger Monate zusätzlich die Eberimpfung einsetzen, wenn der Schlachthof dies fordert. Das könnte zu einer Verschiebung von der Ebermast Richtung Immunkastration führen.
Die Eberimpfung bietet Mästern damit die Chance, im nächsten Jahr möglicherweise ein marktfähigeres Produkt anzudienen als bei der reinen Ebermast. Jedoch benötigt der Betrieb die vertragliche Sicherheit, dass sein Schlachthof geimpfte Eber über einen festen Zeitraum abnimmt und im Idealfall nach Normalmaske ohne Malus bezahlt.