Eine neue Studie bestätigt, was viele Landwirte schon länger befürchten: Die Lebensmittelriesen bereichern sich auf Kosten ihrer Lieferanten und der Verbraucher.
Die stark gestiegenen Preise für Lebensmittel sind ein Dauerbrenner in den Medien. Nach neuen Daten des Kreditversicherers Allianz-Trade könnten die Lebensmittelpreise in diesem Jahr nochmals um mehr als 12% zulegen. Nahrungsmittel gelten inzwischen als starker Inflationstreiber.
Trotz der hohen Preise haben viele Lebensmittelerzeuger große Probleme. Explodierende Energie- und Rohstoffkosten trieben besonders die deutsche Fleischindustrie und die Schweinehalter in eine lange Verlustphase.
Rekordpreise für Lebensmittel und Existenznot auf der Erzeugerstufe – wie passt das zusammen? Um Licht ins Dunkel zu bringen, hat die Hamburger Unternehmensberatung Lademann&Associates eine Studie zu den Strukturen im Lebensmittelhandel erstellt. Sie fußt auf Daten und Umfragen bei mehr als 1800 Unternehmen der deutschen Lebensmittelindustrie. Die Auswertung blickt bis zum vierten Quartal 2021 zurück. Die Einflüsse des Ukrainekriegs sind somit noch nicht enthalten.
Starke Konzentration im LEH
In ihrer Studie ziehen die Ökonomen Prof. Rainer Lademann und Dr. Mitja Kleczka einen erschreckenden Schluss: Etwa ein Drittel der Inflation bei Nahrungsmitteln ist auf die zunehmende Konzentration im LEH zurückzuführen!
Wie sehr sich der Lebensmittelhandel inzwischen auf wenige, große Anbieter konzentriert, zeigt Übersicht 1. So kon-trollierten die vier größten Supermarktketten 2021 zusammen bereits mehr als 85% des deutschen Marktes. Auffallend ist insbesondere das starke Wachstum der Edeka-Gruppe. Sie konnte ihren Marktanteil seit 1995 auf mehr als 30% verdoppeln. Sehr schnell gewachsen ist zudem die Schwarz-Gruppe mit ihren mehr als 13000 Lidl- und Kaufland-Filialen. Ihr Marktanteil hat sich seit 1995 auf mehr als 20% praktisch verdreifacht.
Das Wachstum der großen Vier beruht vor allem auf der Übernahme von Mitbewerbern. Für Aufsehen sorgte zuletzt Edekas Kauf der 330 Filialen von Kaiser’s Tengelmann. Das Kartellamt hatte die Übernahme aufgrund der marktbeherrschenden Position von Edeka untersagt. Eine sogenannte Ministererlaubnis des damals zuständigen Sigmar Gabriel ermöglichte die Fusion dann aber.
Im Jahr 2022 setzte sich der Konzentrationsprozess fort. So war die Metro-Gruppe als ehemalige Top-5 bereits weitgehend zerschlagen. Der Marktanteil der übrigen Lebensmittelhändler hat sich auf rund 10% verkleinert.
Handel diktiert den Einkauf
Nach Einschätzung der Autoren wird der LEH spätestens seit 2010 von einem Vierer-Oligopol dominiert, wobei der Restwettbewerb nahezu bedeutungslos ist. Die Ökonomen bezweifeln, ob dies noch einen wirksamen Binnen- und Außenwettbewerb zulässt.
Ein Zeichen für die Macht der LEH-Ketten ist ihr dominantes Einkaufsgebaren. Bereits als Vorbedingung für Vertragsgespräche stellen die Händler immer härtere Forderungen an die Lieferanten:
- verlängerte Zahlungsziele,
- logistische Zusatzleistungen,
- Vorabrabatte,
- kurzfristige Stornierung,
- Erstattung unverkaufter Produkte,
- Einsicht in Kalkulationsunterlagen,
- Lieferverzicht an Hard-Discounter.
Zwei Drittel der befragten Lebensmittelhersteller geben an, regelmäßig mit derartigen Vorbedingungen unter Druck gesetzt zu werden. Wobei die großen Lebensmittelketten mit der Häufigkeit und Härte hervorstechen.
In den Verkaufsverhandlungen setzt der LEH den ruppigen Umgang mit seinen Lieferanten fort. Fast 80% der Hersteller waren zuletzt starken Drohungen seitens der Top-Konzerne des LEH ausgesetzt, knapp 60% wurden sanktioniert.
Dabei scheint die Forderungsliste der Supermärkte endlos. Es geht um Rechnungsrabatte, Eintrittsgelder, Listungsgebühren, Werbekostenzuschüsse, Jubiläumsrabatte bis hin zu Mindestmargen für den Handel. Laut Umfrage konnten sich die Supermärkte mit ihren Forderungen in bis zu zwei Dritteln der Fälle überwiegend oder vollständig durchsetzen.
Im Gegensatz dazu haben die Lebensmittelerzeuger wenig Möglichkeiten, steigende Kosten weiterzugeben. So geben nur 13% der Befragten an, höhere variable Kosten z.B. für Energie oder Rohstoffe überwiegend bei den Top-4 im Lebensmittelhandel durchsetzen zu können. Die kleineren Lebensmittelketten sind laut Umfrage deutlich offener für begründete Nachverhandlungen.
Fleischhersteller unter Druck
Die Hersteller von Frischeprodukten wie Fleisch- und Wurstwaren sind besonders anfällig für unlautere Handelspraktiken. Denn ihre Produkte sind zumeist kühlbedürftig und nur kurz lagerfähig. Die Fleischbetriebe sind daher auf einen kontinuierlichen Warenfluss angewiesen. Ein Lieferstopp als Gegenmaßnahme ist praktisch nicht möglich.
Die Lieferverträge führender LEH-Konzerne sehen daher oft vor, dass sich die Fleischerzeuger zur unbeschränkten Lieferung vorab nicht definierter Mengen auf Abruf verpflichten. Aufgrund der fehlenden Transparenz der Lagerbestände des LEH erzeugt dies eine maximale Abhängigkeit der Lieferanten.
Supermärkte als Preistreiber
Neben dem Druck auf die Lieferanten stellt sich die Frage, ob die LEH-Riesen ihre Marktmacht auch bei den Verkaufspreisen nutzen. Ein wichtiger Indikator ist hier die Entwicklung der Verbraucherpreise im EU-Vergleich. Übersicht 2 zeigt, dass die Lebensmittelpreise zwischen 2015 und 2022 in Deutschland mit 35% am stärksten gestiegen sind. In wichtigen Nachbarländern zogen die Verbraucherpreise mit 20 bis 25% langsamer an. Auch bei einer Rückbetrachtung bis 2005 weist Deutschland mit 69% den höchsten Preisanstieg in der EU auf.
Die frühere Tendenz, dass sich Lebensmittel in Deutschland langsamer verteuern als in vergleichbaren Nachbarmärkten, hat sich damit ins Gegenteil gekehrt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im absoluten Preisniveau wider. So waren Nahrungsmittel im Jahr 2021 in Deutschland 5,4% teurer als im EU-Mittel. Die frühere Einschätzung, dass Nahrungsmittel in Deutschland besonders günstig sind, gilt damit ebenso nicht mehr.
Laut Studie ist allein die Konzentration im LEH für ein Drittel des Preisanstiegs bei Nahrungsmitteln veranwortlich. Das heißt: Die Lebensmittelhändler steigern ihre Gewinne auf dem Rücken der Verbraucher, die überhöhte Preise zahlen.
Wie gut das läuft, zeigen die satten Eigenkapitalrenditen des Lebensmittelhandels. Hierzu haben die Ökonomen die im Bundesanzeiger verfügbaren Jahresabschlüsse von mehr als 100 LEH-Unternehmen sowie Daten der Bundesbank ausgewertet. Weil diese teils erst mit drei Jahren Verzug verfügbar sind, stammen die jüngsten Erhebungen aus 2019.
Sie zeigen, dass Aldi Süd mit 19,7% aber auch Aldi Nord und die Rewe-Händler mit mehr als 18% sehr hohe Eigenkapitalrenditen erzielt haben (siehe Übersicht 3). Die EK-Rendite der Nahrungsmittelindustrie fällt mit 11,8% deutlich geringer aus.
Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass der LEH seine Gewinne in der Coronapandemie nochmal steigern konnte. Denn der langfristige Wegfall des Außer-Haus-Verzehrs bescherte den Supermärkten ein kräftiges Umsatzplus.
Greift der Erzeugerschutz?
Auch aufgrund der lauter werdenden Kritik an der Übermacht der Supermärkte erließ die Bundesregierung 2021 das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz (AgrarOLkG). Es soll die Lieferketten im Agrarbereich stärken und zumindest einen groben Rahmen gegen unlautere Handelspraktiken bieten.
Erste Erfahrungen zeigen jedoch große Probleme bei der praktischen Umsetzung. So sind in dem Gesetz zahlreiche kritische Verhaltensweisen vor allem der Spitzengruppe des LEH derzeit nicht oder nicht eindeutig erfasst.
Zudem trauen sich nur sehr wenige Lebensmittelhersteller juristisch gegen ihre übermächtigen Abnehmer vorzugehen. Die Furcht vor finanziellen Sanktionen oder Auslistung ist zu groß. So kann es sich kaum ein Lieferant leisten, die enormen Umsätze mit einer der großen LEH-Ketten zu verlieren.
Wohin das führen kann, zeigen die sogenannten Aldi-Soja-Credits. Der Discounter doktruierte seinen Lieferanten Mitte 2021 für die Eigenmarken beim Schweine-, Rind- und Geflügelfleisch auf, nur noch Sojaschrot von zertifiziert entwaldungsfreien Flächen einzusetzen. Die Nichterfüllung sollten die Lieferanten durch den Kauf von „Credits“ auf eigene Kosten ausgleichen.
Politik muss handeln
Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) rügte den Fall, woraufhin Aldi seine Forderung aufgab. Das Verfahren wurde Ende 2022 eingestellt. Dennoch zeigt der Fall, dass die LEH-Riesen auch nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes nicht vor kritischen Handelspraktiken zurückschrecken.
Die Ökonomen warnen, dass der LEH seine Lieferanten zunehmend zu seinem verlängerten Arm degradiert. Denn vielen Herstellern fehlt der finanzielle Spielraum, um innovative Produkte zu entwickeln. Gleichzeitig bauen die LEH-Riesen eigene Fertigungskapazitäten auf. Typisch ist die Übernahme der Erfurter Teigwaren, Deutschlands größtem Nudelhersteller, durch die Schwarz-Gruppe Ende 2022. Und Edeka verfügt über 14 Fleischwerke, 14 Backbetriebe, zwei Mineralbrunnen und zwei Weinkellereien.
Die Autoren schlagen daher vor, das Vierer-Oligopol aus Edeka, Schwarz, Rewe und Aldi der Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt zu unterstellen. Zudem sollte das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen um Vorschriften zu verbotenen Handelspraktiken aus dem AgrarOLkG ergänzt werden. Weitere Fusionen bei den großen LEH-Konzernen sind zu unterbinden.
Die SUS-Redaktion hat den Handelsverband Deutschland (HDE) als Interessenvertreter der Lebensmittelkonzerne um Stellungnahme zur Studie gebeten. Der HDE wollte sich aber nicht äußern.
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