Der Schweinepreis war lange am Boden. Jetzt steigen die Kosten schneller als die Erlöse. Zwölf Fragen an Dr. Albert Hortmann-Scholten, LWK Niedersachsen.
Fred Schnippe, SUS
Der VEZG-Preis schnellte ab Mitte Februar rasant nach oben. Wie geht es weiter?
Die Schlachtzahlen haben sich zuletzt auf rund 730000 Tiere pro Woche verringert. Im Vorjahr waren wir bei über 850000 Tieren. Der Preisanstieg ist eine folgerichtige Reaktion auf das verknappte Angebot. Allerdings ist der deutsche Preisanstieg dem EU-Niveau weit davongeeilt. Die hohen Einstandspreise können von den Schlachtunternehmen daher nur schrittweise an den LEH weitergegeben werden. Preiserhöhungen wirken sich mittelfristig negativ auf den Konsum aus.
Passt der Preis für Haltungsform 3 noch?
Der Markt für die vom Lebensmittelhandel präferierten Haltungsformen 3 und 4 gerät momentan in eine massive ökonomische Schieflage. Angesichts der hohen Futterkosten erleiden die Produzenten erhebliche Margenverluste, die langfristige Verträge für die beiden Haltungsformen abgeschlossen haben. Ich kann mir kaum vorstellen, dass im ausreichenden Maße bezahlbare Ökofuttermittel wie gentechnikfreies Sojaschrot beschafft werden können, um die Produktion weiter aufrecht zu erhalten.
Warum zieht der Ferkelpreis nicht mit?
Die VEZG schätzt, dass derzeit bundesweit 30 bis 35% der Mastplätze nicht mehr belegt sind. Bei anhaltend hohen oder weiter anziehenden Getreidepreisen dürfte der Leerstand noch größer werden. Darum steigt der Ferkelpreis im Vergleich zur Schlachtschweinenotierung nur deutlich langsamer an. Die Schlachtschweinenotierung legte binnen fünf Wochen um 65 Cent zu, während der Ferkelpreis nur um 35 € nachzog.
Gehen die Schlachtungen weiter zurück?
Die Schweinehaltung ist in einer schweren Struktur- und Anpassungskrise. Wir erwarten in diesem Jahr einen weiteren Rückgang des Schlachtvolumens um rund 7% auf gut 48 Mio. Schweine.
Darauf muss die Schlachtbranche reagieren. Vorrangig könnten kleinere, städtische Schlachthöfe schließen müssen. Doch auch die großen Schlachtunternehmen entwickeln Anpassungskonzepte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass durch die höheren Hygieneauflagen die Schlachtbänder teils langsamer laufen. Die volle Auslastung der Schlachthaken ist daher nicht mehr das vorrangige Ziel. Andere schlachten nur noch so viel, wie sie mit Gewinn vermarkten können.
Was heißt das für die Schlachtkosten?
Pandemiebedingte Auflagen und der Wegfall der Werkverträge haben den Schlachtprozess verteuert. Insider beziffern den Kostenanstieg auf rund 25%. Hinzu kommen Mehraufwendungen für Energie und Logistik. Aufgrund der schwierigen Absatzsituation konnte die Schlachtstufe das Gros der Mehrkosten auf die Landwirte abwälzen.
Wie entwickelt sich unser Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch?
Im Jahr 2020 lag der deutsche Selbstversorgungsgrad bei 120%. Das war kein Problem, da wir noch nach China exportieren durften. Im vergangenen Jahr stieg die Selbstversorgung trotz rückläufiger Schlachtzahlen auf 135%. Auslöser ist der stark sinkende Inlandskonsum aufgrund der Coronapandemie. Auch das zunehmende Angebot von Mischprodukten, wie Hackfleisch mit Gemüseanteil, vermindert den Fleischbedarf. So sinkt der Schweinefleischverzehr momentan Richtung 30 kg pro Kopf.
Es besteht zumindest die Hoffnung, dass sich der Konsum nach der Coronaphase wieder etwas erholt. Für das laufende Jahr wird ein Selbstversorgungsgrad von 132% erwartet, was aber vor allem auf das geringere Schweineangebot zurückzuführen ist.
Bleiben die Futterkosten hoch?
Bis zur Erntezeit im Juni bzw. Juli wird sich bei den Futterkosten aufgrund der knappen Versorgungslage vermutlich wenig ändern. Danach werden die Karten neu gemischt.
Allerdings birgt Putins Krieg in der Ukraine neue Risiken, weil die Länder wichtige Rohstofflieferanten für Westeuropa sind. Zudem werden die hohen Düngemittelpreise zu verminderten Erträgen führen. So wird der Eckpreis für Getreide in der zweiten Jahreshälfte vermutlich nicht unter 30 €/dt sinken. Auch die Soja- und Rapspreise haben sich auf sehr hohem Niveau gefestigt.
Wie hoch sind die Vollkosten?
In der Produktionskette vom Ferkel bis zum Mastschwein müssen wir inzwischen mit Vollkosten von deutlich über 2 € je kg Schlachtgewicht rechnen. International gerät die deutsche Schweinehaltung durch Tier- und Umweltauflagen zunehmend ins Hintertreffen.
Daten aus 2019 zeigen, dass Niederländer ein 30 kg-Ferkel rund 4 € und Spanier sogar rund 10 € günstiger erzeugen können. Die Mast war bei uns rund 15 Cent/kg teurer als in Frankreich oder Spanien. Dieser Abstand hat in den vergangenen zwei Jahren zugenommen, u.a., weil in Deutschland die betäubungslose Ferkelkastration verboten ist.
Wie entwickelt sich die Initiative Tierwohl?
Das Wachstum der Initiative Tierwohl (ITW) geht schneller voran als anfangs erwartet. In der aktuellen dritten Programmphase sind rund 22 Mio. Mastschweine und 13 Mio. Ferkel angemeldet. Die Schlacht- bzw. Vermarktungsstufe macht Druck, dass weitere Betriebe zum ITW-Standard aufschließen.
Offenbar macht der deutsche Lebensmittelhandel bisher seine Ankündigung wahr und legt mehr Fleisch der Haltungsform 2 in die Regale. Allerdings sind beispielsweise in Weser-Ems rund 30% der Mastställe aufgrund technischer Gegebenheiten nicht mit vertretbarem Aufwand für ITW umzurüsten.
Die Schlachtbranche wollte die Zweiteilung der VEZG-Empfehlung.
Einige Vertreter der „roten Seite“, u.a. der Verband der Fleischwirtschaft, sehen Vorteile in einer Zweiteilung des Marktes in eine Preisangabe für QS-Standard- und für ITW-Tiere. Die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften hat sich mit der Frage auseinandergesetzt und bilateral zahlreiche Gespräche mit führenden Unternehmen geführt.
Dabei hat sich herausgestellt, dass im Detail die Definition der Qualitätsbasis eines ITW-Preises unterschiedlich ist. Beispielsweise war nicht klar, ob weitere Kriterien wie 5xD und ITW zu einem Standard zusammengefasst werden können. Des Weiteren haben die Schlachthöfe die erforderlichen Preiszuschläge von derzeit 5,38 € Tier unterschiedlich beurteilt. Einige Unternehmen wollten den Zuschlag einpreisen, andere nicht.
Was bringt die Herkunftskennzeichnung?
Während Frankreich eine Herkunftskennzeichnung bekommt, will Bundesagrarminister Özdemir das Thema nicht selbst anpacken, sondern mit Brüssel abstimmen. Hierdurch rückt eine deutsche Herkunftskennzeichnung in weite Ferne. Dabei galt 5xD lange als Hoffnungsträger für die hiesige Schweinehaltung. Denn bei uns ist die Produktion teurer als in wichtigen Nachbarländern. Das macht es essenziell, dass deutsche Konsumenten hiesiges Fleisch leicht erkennen und gezielt auswählen können.
Was ist dem LEH deutsches Fleisch wert?
Der Handel hat sich auf breiter Linie zu 5xD bekannt. Die Frage ist, was die deutsche Herkunft dem Lebensmittelhandel wirklich wert ist. Der von größeren Fleischbetrieben verkündete Aufschlag von 1 Cent/kg SG bleibt weit hinter den Erwartungen vieler Landwirte zurück. Tatsache ist auch, dass sich der Platzhirsch Edeka und die zugehörigen Nettomärkte weiterhin nicht zu deutschem Fleisch bekennen. Die Gastronomie muss sich ebenfalls beteiligen.