Die Landwirtschaftskammer NRW will mit dem „Stall der Zukunft“ auf Haus Düsse neue Konzepte für die tier- und umweltgerechte Schweinehaltung erproben. Tobias Scholz erklärt das Konzept.
Herr Scholz, woher stammt das Konzept für den „Stall der Zukunft“?
Das Landwirtschaftsministerium NRW hat die Planung des Stalls bereits Ende 2019 in Auftrag gegeben. Ziel ist es, die Anforderungen in puncto Tierwohl, Umweltschutz, Baurecht und Ökonomie möglichst optimal in Einklang zu bringen. Auch soziale und gesellschaftliche Aspekte sollen berücksichtigt werden.
Als Orientierung für die Stallplanung diente damals das geplante staatliche Tierwohllabel von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Letztendlich haben wir sie aber an die aktuelle Tierhaltungskennzeichnung angepasst. Entstanden sind so zwei besonders tier- und umweltgerechte Haltungskonzepte.
Wie hoch waren die Projektkosten?
Insgesamt hat das Land NRW 3,9 Mio. € in das Gesamtprojekt investiert. Aus dieser Summe die realistischen Kosten pro Mastplatz zu ermitteln, ist jedoch nicht sinnvoll. Denn in den Ställen sind viele, innovative und vergleichsweise teure Techniken zu Forschungszwecken verbaut, die es so noch nicht in der Schweinehaltung gibt.
Wie ist der sogenannte „evolutionäre Stall“ aufgebaut?
Dieser Stall orientiert sich an den Vorgaben der Haltungsform „Frischluftstall“ (HF3) und bietet Platz für etwa 350 Tiere. An den Außenseiten befinden sich die Liegebereiche (siehe Übersicht 1). Der Boden ist planbefestigt und wird minimal mit Stroh eingestreut. Durch die verstellbare Rückwand lässt sich der Liegebereich an den Platzbedarf der Tiere anpassen. In der Mitte des Stalls liegt der Aktivitäts- und Fressbereich mit perforiertem Boden und Unterflurschiebern. Über die offenen Giebel sowie Öffnungen im First des Dachs und unter den Traufen wird der Stall frei belüftet.
Wieso befindet sich der Außenklimabereich in der Mitte des Stalls?
Im Vergleich zu einem nach außen gerichteten Auslauf ist dieser besser gegen Wildschweine und Vögel abgeschirmt. Das erhöht die Biosicherheit. Außerdem tritt die Abluft nur an drei Bereichen aus dem Stall aus, wodurch sich die Emissionen an Geruch, Staub und Lärm besser regulieren lassen. Gleichzeitig ist die Deckenhöhe im Liegebereich aus Gründen der Energieeffizienz bewusst niedriger gehalten.
Wie unterscheidet sich dazu der „revolutionäre Stall“?
Das zweite Stallkonzept orientiert sich an der Haltungsform 4 bzw. „Auslauf/Weide“ und ist für etwa 250 Tiere vorgesehen. Außen befinden sich planbefestigte Liegekisten mit Fußbodenheizung, die mit einem klappbaren Deckel versehen und mit Stroh eingestreut sind (s. Übersicht 2). Daran schließen sich der ebenfalls planbefestigte Fressbereich und der Kotbereich als Schweinetoilette an. Zwischen den Buchten sind Kontaktgitter montiert. Das Revierverhalten soll die Schweine zum Koten anregen.
Welche Besonderheiten bietet der Aktivitätsbereich in diesem Stall?
Über Rüsseltüren gelangen die Schweine in den Aktivitätsbereich, den sogenannten „Wühlgarten“. Das mit Hackschnitzeln gefüllte Wühlbett ist auf der einen Seite ca. 20 cm und auf der anderen etwa 60 cm tief. Hier wollen wir erproben, wie gut die Tiere das Material zum Wühlen annehmen und es gleichzeitig zur Emissionsminderung nutzen.
In der Stallmitte sind zudem Beetflächen angelegt. Hier sollen demnächst Mais, Miscanthus, Sonnenblumen und andere Kulturpflanzen wachsen. Sie bringen die Natur in den Stall und könnten anschließend auch als Beschäftigungsmaterial dienen.
Wie haben die Schweine Kontakt zum Außenklima?
Das Gebäude ist als Kaltstall ausgelegt. Die Dachkonstruktion besteht über dem Aktivitätsbereich – wie bei einem Gewächshaus – aus Glas. Das Gewächshausdach lässt sich öffnen, sodass die Schweine Witterungseinflüsse wahrnehmen können. Bei Extremwetter, wie Starkregen oder Schnee, schließen wir das Dach. Außerdem schützt ein Sonnensegel die Tiere vor zu starker Sonneneinstrahlung. Auch die Außenseiten des Stalls sind geöffnet. Hierüber gelangt die Frischluft in den Innenbereich. Damit keine Zugluft entsteht, sind Windschutznetze und Folien montiert. Für die vollautomatische Steuerung der Dachöffnung, der Seitenwände mit Curtains und der Kistendeckel sind verschiedene Sensoren und eine Wetterstation installiert.
Ist der revolutionäre Stall schon bereit für die breite Praxis?
Uns ist bewusst, dass dieses Stallkonzept wohl kein Schweinehalter genauso nachbauen wird. Wir wollen vielmehr die einzelnen Elemente, wie das Hackschnitzelbett oder das zu öffnende Dach, erproben. Später sollen sich die Landwirte daraus ihr individuelles Haltungskonzept zusammenstellen können.
Beim Projekt steht neben dem Tierwohl auch der Umweltschutz im Fokus. Wie wollen Sie die Emissionen mindern?
Ein großer Hebel ist die Kot-Harn-Trennung. Im evolutionären Stall verlaufen unter den Spalten im Aktivitätsbereich Schieber, die den Kot in einen Container vor dem Stall befördern. Der Harn fließt getrennt davon in einer Rinne ab.
Im revolutionären Stall ist im Kotbereich eine Schweinetoilette angelegt. Ein perforiertes Förderband transportiert den Kot und andere Feststoffe wie die Einstreu in einen Kanal darunter. Von dort befördern ein Schieber und anschließend eine Schnecke sie nach draußen in einen Container. Durch die kleinen Schlitze im Band kann der Harn abfließen und wird so vom Kot getrennt. Darüber hinaus lassen sich Emissionen durch einen Kanal unter dem Wühlbett absaugen. Im Gegensatz zu einem Abluftfilter haben die eingebauten Systeme nicht nur einen Effekt für die Umwelt. Weil sie das Stallklima verbessern, wirken sie sich auch positiv auf Mensch und Tier aus.
Wie wollen Sie die Stallsysteme künftig der Öffentlichkeit zeigen?
Besucher können durch Glasscheiben direkt in die Ställe schauen – ohne sie betreten zu müssen. Dazu befindet sich auf dem Dach des angrenzenden Technikgebäudes eine Plattform, von der aus man eine gute Übersicht auf das Gesamtkonzept des revolutionären Stalls hat.
Darüber hinaus sind die Ställe Teil des Gesamtkonzepts Umbau der Tierhaltung auf Haus Düsse und werden intensiv in die Aus- und Weiterbildung integriert.
Sind auch wissenschaftliche Untersuchungen geplant?
Neben der Ausbildung werden wir auch eine Vielzahl von Untersuchungen zu den Themenkomplexen Tierwohl, Tierverhalten und Umweltwirkungen in den neuen Stallsystemen durchführen. Diese sollen auch als Grundlage für Handlungsempfehlungen an die Politik, Verwaltung und Genehmigungsbehörden dienen.
Wann sollen die ersten Ferkel einziehen?
Mitte Mai wollen wir die ersten Düsser Ferkel in die beiden neuen Stallsysteme einstallen.
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