Veränderungen am Schlachtkörper werden mittlerweile recht zuverlässig von automatischen Systemen erkannt. Zehn Fragen an Prof. Dr. Nicole Kemper.
Heinrich Niggemeyer, SUS
Warum sollte die Befunderhebung am Schlachtband automatisiert werden?
Kemper: Die automatisierte Erfassung bietet im Vergleich zu einem menschlichen Bewerter den großen Vorteil der standardisierten Befunderhebung. Individuelle Unterschiede bei der visuellen Beurteilung, wie sie bei menschlichen Bewertern zu beobachten sind, treten nicht auf. Ein automatisiertes Erfassungssystem arbeitet ermüdungsfrei und unabhängig von z.B. der Tagesform oder möglichen Ablenkungen. Zudem bietet ein System auch den Vorteil der zuverlässigen Dokumentation, da Aufnahmen gespeichert und den einzelnen Schlachtkörpern eindeutig zugeordnet werden können.
Beim Geflügel werden hierfür bereits intelligente Kameras eingesetzt. Welche Merkmale werden erfasst?
Kemper: Beim Mastgeflügel werden auf den meisten Schlachthöfen mittlerweile automatisiert Fußballenveränderungen des Sohlenballens erfasst, um über diesen Tierschutzindikator Rückschlüsse auf die Haltung und dabei insbesondere auf die Qualität der Einstreu zu ziehen. Die Erfassung weiterer Merkmale wie Brusthautveränderungen oder Kratzer wird momentan in einem großen Verbundprojekt erprobt.
Welche Befunde sind beim Schwein am einfachsten zu erheben?
Kemper: In der durchgeführten Pilotstudie haben wir bewusst mit Schwanz- und Ohrrandnekrosen begonnen und konnten hierfür Lösungen entwickeln. Wir haben diese Befunde ausgewählt, weil durch den „QS-Leitfaden zu Befunddaten in der Schweineschlachtung“ eindeutige Definitionen dieser Merkmale vorlagen. Zudem waren Ohren und Schwanz für den Start in die technische Umsetzung gut geeignet, da sie am Tierkörper eindeutig lokalisiert von den Kameras gut erfasst werden konnten.
Welche Technik wird benötigt?
Kemper: Das System besteht aus Kameras, welche die Aufnahmen anfertigen, sowie Lampen zur Ausleuchtung der zu fotografierenden Regionen. Ferner wird entsprechende Soft- und Hardware zur Anwendung der programmierten Logarithmen benötigt. Das System erkennt so Abweichungen, die durch Umkreisung auf der Aufnahme eindeutig gekennzeichnet werden.
Gibt es Aufnahmen, die nicht auswertbar sind? Was sind die Gründe?
Kemper: Ja. Wenn die Schlachtkörper schief oder nur auf einem Haken hängen, sind die auszuwertenden Regionen auf den Aufnahmen nicht eindeutig zu erkennen. Gleiches gilt, wenn die Ausleuchtung der Bilder zu schlecht ist. Schwierig wird es auch, wenn prozessbedingte Veränderungen am Schlachtkörper auftreten, z.B. durch eine zu lange Verweildauer im Brühraum.
Wie gut ist das System im Vergleich zur visuellen Beurteilung?
Kemper: Unsere Auswertungen an nahezu 6000 Schlachtkörpern zeigen sehr gute Übereinstimmungen des automatisierten Systems mit geschulten Beurteilern. Hier wurden sowohl für Ohrrandnekrosen mit einer Sensitivität von 77%, einer Spezifität von 97% und einer Genauigkeit von 95% als auch für Schwanznekrosen mit einer Sensitivität von 78%, einer Spezifität von nahezu 100% und einer Genauigkeit von 99% sehr gute Werte erreicht.
Sie haben versucht, auffällige Gelenke zu erfassen. Warum waren die Ergebnisse nicht befriedigend?
Kemper: Technisch ist es möglich, automatisiert verdickte Gelenke zu erfassen. Es stellt sich allerdings die Frage, welche klinischen Befunde hinter einem auffälligen Gelenk stecken. Ist es eine eitrige Gelenkentzündung oder ein Schleimbeutel? Dies lässt sich rein visuell von außen nicht differenzieren, sondern erfordert noch immer den klassischen Anschnitt.
Gibt es weitere Indikatoren, die man am Schlachtkörper erfassen könnte?
Kemper: Ja. Ein sehr aufschlussreicher Tierschutz-Indikator sind Treibespuren. Diese sind, wenn unsachgemäß getrieben wurde, vor allem im Bereich des hinteren Rückens der Tiere zu finden. Anhand der Form und der Ausprägung der zugefügten Läsionen könnte der Einsatz von E-Treibern, Schlagstöcken oder auch Tätowiereisen nachgewiesen werden. Solche Läsionen sind nicht nur tierschutzrelevant, sondern können auch die Fleischqualität negativ beeinflussen.
Kann das System zwischen Sauen, Börge und Eber unterscheiden?
Kemper: Dieser Ansatz wurde von uns bisher nicht verfolgt, ist aber denkbar. Die zu erfassenden Merkmale liegen in einer gut aufzunehmenden Region und werden über die Form eindeutig definiert. Die Entwicklung entsprechender Algorithmen ist also möglich.
Wird man künftig wichtige innere Organe wie Lunge und Leber mit diesem System scannen können?
Kemper: Davon ist auszugehen, da die Vorteile einer standardisierten, automatisierten Erfassung auch hier auf der Hand liegen. Technisch stellen die inneren Organe allerdings eine viel größere Herausforderung dar als die äußere Betrachtung des Schlachtkörpers. Zukünftige technische Entwicklungen werden hier sicher noch viele Optionen bieten.