Neuartige Spritzen können Medikamenten- und Impfstoffgaben digital erfassen. Ein Kombibetrieb hat die Entwicklung einer smarten Spritze begleitet.
Fred Schnippe, SUS
Die Rückverfolgbarkeit wird in der Fleischerzeugung immer wichtiger. Insbesondere in Tierwohlprogrammen will der Verbraucher wissen, woher sein Fleisch stammt und wie die Tiere gehalten wurden. Ein wichtiger Aspekt sind auch die tiergesundheitlichen Behandlungen.
Mit der Weiterentwicklung der nadellosen Impfung hat die Industrie erste Spritzen mit einer digitalen Erfassung der Behandlungen auf den Markt gebracht. Diese smarten Spritzen für die intradermale Injektion sind aber in der Regel an bestimmte Präparate gekoppelt.
Mobiles RFID-Modul
Die Firma Henke-Sass, Wolf bietet inzwischen Spritzen an, welche die Injektion unabhängig vom Medikament digital erfassen. Herzstück des Systems „V-Etic“ ist ein Auslesegerät, das standardisierte RFID-Ohrmarken erkennen kann. Das Lesemodul wird über eine Halterung seitlich an der Impfpistole „HSW Eco-Matic“ desselben Herstellers befestigt. Viele Praktiker nutzen diese Spritze für Reihenimpfungen bei Ferkeln.
Die automatische Selbstfüllerspritze kann Dosen von 0,3 bis 5 ml applizieren. Wobei Injektionen sowie orale Gaben möglich sind. Die Spritze ist mit einem Korb oder Universaladapter für die Medikamentenflasche verfügbar.
Zum System gehört eine App für das Smartphone, das als Zwischenspeicher während der Arbeit im Stall dient. Das Lesemodul und das Smartphone sind per Bluetooth verbunden.
Der Einsatz beginnt mit der Eingabe des Medikamentes bzw. Impfstoffes sowie der Behandlungsursache in der App. Die weiteren Schritte erfolgen automatisch. Hierzu gehören vor allem das Auslesen der Ohrmarke sowie die Zuordnung der Applikation beim Auslösen der Spritze. Nach Abschluss der Arbeiten überträgt die App alle Anwendungsdaten per WLAN in ein Online-Programm, das verschiedene Auswertungen bietet.
In Zusammenarbeit mit dem Schweinehalter Thomas Asmussen wurde das neue System für den Einsatz in deutschen Betrieben weiterentwickelt. Der Landwirt führt in Gelting in Schleswig-Holstein einen Betrieb mit 160 Sauen plus Mast. Die Entwicklung der digitalen Medikamentenerfassung erfolgte in einem Projekt der Uni Kiel, das die Initiative Tierwohl (ITW) gefördert hat. Die tierärztliche Doktorandin Hannah Görge begleitet die Umsetzung im Betrieb.
Im Interview schildern der Landwirt und die Tierärztin ihre Erfahrungen.
Warum machen Sie beim Projekt mit?
Asmussen: Die Fleischbetriebe fordern mehr Informationen zum Schwein. Die Tierwohldebatte beschleunigt das. Die digitale Medikamentenerfassung ermöglicht die Rückverfolgung bis zum Einzeltier. Zudem möchte ich bei den Behandlungen weg von der Zettelwirtschaft.
Görge: Man erhält umfangreiche Auswertungsmöglichkeiten. Wir können z.B. sehen, welche Art der Behandlung den größten Erfolg bringt. Künftig ist auch der Abgleich mit Schlachtbefunden oder mit Daten des Sauenplaners denkbar. So wollen wir Krankheitsprobleme früher erkennen. Ziel ist, Medikamente so effizient wie möglich anzuwenden.
Wie sicher ist die Einzeltiererkennung?
Asmussen: Da wir an einer Nachkommenprüfung unserer Besamungsstation teilnehmen, tragen unsere Ferkel RFID-Ohrmarken. Das ermöglicht eine sichere Erkennung über die ganze Lebenszeit. Zudem haben wir RFID-Chips an den Buchten und Abteiltüren montiert. So können wir den Standort der Tiere zuordnen. Bei Gruppenbehandlungen z.B. über das Futter erfassen wir nur den Standort, beispielsweise Bucht eins bis sechs in der Ferkelaufzucht.
Wie gehen Sie bei den Sauen vor?
Görge: Bei Einzeltierbehandlungen nutzen wir oft Einwegspritzen. Das Lesemodul entfernen wir dafür von der Reihenspritze und halten es für das Auslesen an die Ohrmarke der Sau. Bei den Sauen erhoffen wir insbesondere Rückschlüsse auf die Krankheitsanfälligkeit, was uns auch bei der Selektion helfen kann.
Was bringt die Einzeltiererkennung beim Ferkel?
Asmussen: Einen großen Vorteil sehe ich, wenn z.B. ein Saugferkel zweimal in kürzerer Zeit an einer Gelenkentzündung erkrankt. Sollte eine nochmalige Behandlung nötig sein, wird die erste Medikamentengabe angezeigt. Dann kann ich in Absprache mit dem Tierarzt ein besseres Präparat auswählen. War das Ferkel nur per Farbstift markiert, entfällt diese Möglichkeit.
Ersetzt die App das Medikamentenbuch?
Görge: Ja, wir haben den rechtlichen Rahmen mit der Arzneimittelbehörde des Landes abgestimmt. Die digitale Erfassung kann ein Ersatz für das Behandlungsblatt sein. Hierfür darf die Behandlungsliste aber nicht veränderbar sein. Für die behördliche Dokumentation erstellen wir daher eine fixe Liste im PDF-Format. Parallel fertigen wir Excellisten an, die für die Auswertung besser geeignet sind. In den Exceldateien dürfen wir auch den Behandlungsgrund hinterlegen, was für die Schwachstellensuche wichtig ist.
Wo gibt es noch Entwicklungsbedarf?
Asmussen: Wir haben lange getüftelt, bis das System jetzt unsere Anforderungen erfüllt. Besonders wichtig ist uns eine übersichtliche Handy-App. Im Stall muss alles schnell und sicher gehen. Die Schnittstellen für den Sauenplaner und die Befunddaten sind vorbereitet, müssen aber noch abgeschlossen werden. Die digitale Meldung an die Tierarzneimitteldatenbank und die Darstellung der Behandlungsgeschichte sind weitere Ziele. Mittelfristig soll der Lieferschein auch die gesamte Gesundheitsgeschichte einer Verkaufsgruppe enthalten.