SUS 3/2023

Berlin muss den LEH bändigen

Die Lebensmittelketten nutzen ihre Marktmacht brutal aus. Ein Kommentar des Wettbewerbsexperten Prof. Rainer Lademann.

Die Spitzengruppe im Lebensmittelhandel mit Edeka, Rewe, Lidl und Aldi gibt sich nach außen gern als Weißer Ritter, der als Gegenpol zur Industrie für niedrige Lebensmittelpreise sorgt. Doch dieses Nar­rativ hat längst dunkle Flecken bekommen. So zeigt unsere aktuelle Studie, dass der LEH infolge ungebremster Fusionen inzwischen sogar zum Preistreiber geworden ist. In keinem anderen EU-Land haben sich Lebensmittel seit 2015 so stark verteuert wie bei uns.

Die vier großen Handelsketten kontrollieren mehr als 85 % des deutschen Marktes! Ihre Macht ist inzwischen so groß, dass sie die Verbraucherpreise unabhängig von Kostensteigerungen erhöhen können. Rund ein Drittel der Inflation bei Lebensmitteln beruht allein auf der zunehmenden Marktkontrolle der Konzerne. Fakt ist, dass die vier Handelsriesen inzwischen ein marktbeherrschendes Oligopol bilden. Wettbewerb in dieser Spitzengruppe? Fehlanzeige!

Die Lebensmittelhersteller sitzen in der Zwickmühle. Für sie sind die drei größten Supermärkte und Discounter unverzichtbar, da sie mit ihnen fast zwei Drittel ihres Umsatzes machen. Bereits beim Wegfall des drittgrößten Abnehmers droht dem Hersteller ein Abrutschen in die Verlustzone. Gleichzeitig sind die kleineren LEH-Unternehmen keine gleichwertige Alternative, ihre Umsätze sind zu gering.

Die Handelsketten nutzen ihre Übermacht in Preisverhandlungen immer brutaler aus. Fast 70 % der von uns befragten Hersteller beklagen, dass sie der LEH regelmäßig mit unlauteren Handelspraktiken unter Druck setzt. Diese treffen vor allem Hersteller von unverarbeiteten Lebensmitteln wie Milch- und Fleischerzeugnissen. Stoppt der LEH hier den kontinuierlichen Absatz, sind die Lieferanten besonders leicht erpressbar. Dass die Fleischbetriebe den Druck an die Bauern weiter­geben, verwundert nicht.

Es ist daher höchste Zeit, dass das Bundeskartellamt die vier großen Handelsketten der Missbrauchsaufsicht des Gesetzes gegen Wett­bewerbsbeschränkungen (GWB) unterwirft. Der Gesetzgeber sollte außerdem in der 12. GWB-Novelle erwägen, die nach dem Liefer­ketten-Gesetz (AgrarOlkG) verbotenen Handelspraktiken als Vermutungs­tatbestände für Marktbeherrschung heranzuziehen.