Unser Auto: Dr. Haiko Hofmann, BRS
Seit 32 Jahren ist das routinemäßige Kupieren von Schweineschwänzen in der EU verboten. Der Eingriff ist nur zulässig, wenn der Betrieb auch andere Maßnahmen trifft, um die Verhaltensstörung des Schwanzbeißens zu unterbinden.
Fazit
Die geplante Novelle des Tierschutzgesetzes macht das Schwänzekupieren noch schwieriger.
Auf Kritik stößt vor allem die Idee, für kupierte Tiere mehr Buchtenfläche vorschreiben zu können.
Schwänze sollen maximal um ein Drittel gekürzt werden dürfen.
Die Kennzeichnungspflicht für Falltiere ist nicht nachvollziehbar.
Die Strafvorschriften bieten viel Konfliktpotenzial. Es droht eine Klagewelle gegen Nutztierhalter.
EU-Vertreter stellten 2018 bei Audits fest, dass Deutschland und andere Staaten seit Jahren gegen die Vorschrift verstoßen. Resultat ist der Aktionsplan Kupierverzicht und die zugehörige Tierhaltererklärung. Diese kann nach einer Risikoanalyse, Verbesserungen sowie der Dokumentation von Schwanz- bzw. Ohrverletzungen als Nachweis der Unerlässlichkeit des Kupierens dienen. Ziel ist der schrittweise Einstieg zum Kupierverzicht.
Allerdings führte der Aktionsplan nicht zum erwünschten Erfolg. So wird sowohl in Deutschland als auch in anderen EU-Staaten das Gros der Schweine weiterhin kupiert. Deshalb schwebt seit Jahren das Damoklesschwert eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens über uns.
Deutschland prescht vor
Durch Einzelmaßnahmen versuchen die Staaten dem zu entgehen. Deutschland setzt auf das Tierschutzgesetz. So enthält die jüngst vom Bundeslandwirtschaftsministerium als Referentenentwurf veröffentlichte Novellierung erhebliche Verschärfungen bei den nicht-kurativen Eingriffen.
Der Entwurf sieht u. a. vor, dass die Unerlässlichkeit des Eingriffs und der Maßnahmen gegen Schwanzbeißen begründet werden müssen. Das macht den Aktionsplan nun rechtsverbindlich.
Künftig werden auch die Mäster die Tierhaltererklärung vollumfänglich ausfüllen müssen. Dies soll heimische Ferkelerzeuger davor zu schützen, dass kupierte Importferkel bei uns gemästet werden. Die Umsetzung ist aber unklar.
Entsprechend der geplanten Novelle dürfen die Betriebe die Schwänze künftig nur noch um ein Drittel kürzen. Rasse- und individuelle Unterschiede bei der Schwanzlänge bleiben außen vor. Zumindest erschließt sich nicht, wie diese Vorgabe überprüft werden soll.
Mehr Platz für kupierte Tiere
Besonders kritisch ist der Plan, höhere Platzvorgaben für kupierte Schweine vorzuschreiben. Hierzu möchte sich das BMEL mithilfe des Bundesrates selbst ermächtigen. Wie viel mehr Platz bereitstehen soll, ist gesetzlich nicht geregelt. Das Ministerium könnte mit der jetzigen Gesetzfassung nahezu frei verfügen!
Die Absicht ist eindeutig: Die Haltung kupierter Tiere soll unwirtschaftlich werden. Das könnte noch mehr Schweinehalter zur Berufsaufgabe drängen.
Das macht eine umfassende und sachliche Diskussion unverzichtbar. Schwanzbeißen ist dem SINS-Komplex (Swine inflammation and necrosis syndrome) zuzuordnen. Hierbei handelt es sich um eine endogene Erkrankung mit Ursachen in der Genetik, Fütterung, Wasserversorgung, Klima etc. Nur Schweinehalter, welche die Komplexe in ihrer Gesamtheit meistern, werden gänzlich auf das Kupieren verzichten können.
Wie schwierig dieser Schritt ist, zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. So konnte z. B. in dem vom Bundesagrarministerium geförderten KoVeSch-Projekt keine Haltungsform identifiziert werden, welche den Kupierverzicht uneingeschränkt erlaubt. Das Projekt zeigt auch deutlich, dass sich Schwanzbeißen allein durch die Erweiterung des Platzangebotes je Tier nicht verhindern lässt. Das heißt: Der im Entwurf zum neuen Tierschutzgesetz verfolgte Ansatz ist damit zum Scheitern verurteilt.
Wesentlich vielversprechender ist es, die Schweinehalter zu motivieren, sich noch intensiver mit dem Thema Kupierverzicht zu befassen. Dies kann z. B. über Ausweitung der Beratung erfolgen. Ein Vorzeigebeispiel ist Niedersachsen. Dort erhalten die Landwirte mit der sogenannten Ringelschwanzprämie einen fairen Ausgleich für den Kupierverzicht. Leider scheinen die Tage des Programmes gezählt. Wünschenswert wäre eine Ausweitung auf ganz Deutschland.
Kameras im Schlachthof
Die Novelle des Tierschutzgesetzes sieht außerdem vor, größere Schlachthöfe mit Videoanlagen auszurüsten. Ziel ist es, Tierschutzverstöße zu dokumentieren. Diese Vorgabe ist zu befürworten. Viele Schlachthöfe haben bereits Kameras installiert. Im Umkehrschluss heißt das nicht, dass Betriebe ohne Videoüberwachung etwas zu verbergen haben. Datenschutz, Arbeitnehmerrechte und Aufbewahrungsfristen von Videomaterial sind hohe Hürden für kleinere Schlachthöfe.
Begrüßenswert ist grundsätzlich auch die Verschärfung des sogenannten Qualzuchtparagrafen. Denn dies kann den Umgang mit Tieren mit bestimmten Handicaps erleichtern. So leiden z. B. Tiere, deren Nasen und Atemwege verkümmert sind oder deren Schädeldecke nie vollständig zuwächst, ihr Leben lang.
Allerdings ist die Novelle so formuliert, dass selbst gesunde Tiere von der Zucht ausgeschlossen werden können, nur weil sie einen rezessiven Gendefekt tragen. Wo hier die Grenzen liegen sollen, geht aus dem Entwurf nicht hervor. Dabei kann gerade die Zucht zum Tierschutz beitragen. Denn die vom Staat anerkannten Zuchtorganisationen arbeiten mit dem Ziel, genetische Auffälligkeiten zu eliminieren. Genau diese Züchter würden nun benachteiligt.
Ohrmarken für Falltiere
Zu Irritationen führt zudem die Idee des Ministeriums zur Kennzeichnungspflicht für verendete Tiere. Es erschließt sich nicht, welchen Vorteil sich das BMEL aus dieser Maßnahme verspricht. In der Regel erhalten Saugferkel ohnehin am vierten Lebenstag eine Ohrmarke.
Ein Beispiel mit einem 700er-Sauenbetrieb mit 15,5 lebend geborenen Ferkeln je Wurf zeigt den enormen Mehraufwand. Bei 15 % Verlusten, davon 60 % in den ersten drei Tagen vor dem Einzug der Ohrmarke, müsste der Betrieb jährlich etwa 2.300 Ferkel zusätzlich kennzeichnen. Bei einem Aufwand von ein bis zwei Minuten pro Ferkel fallen jährlich rund 70 Arbeitsstunden mehr an.
Die Zeit fehlt für wichtige Aufgaben wie die Geburtsüberwachung und die Tierkontrolle. Das ist ein Bärendienst für den Tierschutz und widerspricht dem Bekenntnis zum Bürokratieabbau.
Viel Konfliktpotenzial bieten auch die Ergänzungen zu den Straf- und Bußgeldvorschriften. Denn künftig sollen bereits Strafen möglich sein, wenn den Tieren „aus Gewinnsucht oder in Bezug auf eine große Zahl von Wirbeltieren“ Schmerz oder Leid zugefügt wird. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe bergen einen großen Interpretationsspielraum.
Hinzu kommt, dass schon der „Versuch strafbar“ sein soll. Derart unpräzise Vorschriften sind ein Freifahrtschein für Tierschutzaktivisten. Es droht eine Klagewelle gegen die Nutztierhalter.
Fakten
1 Mrd. €
würde der Kupierverzicht die
deutschen Betriebe kosten
70 Stunden
würde das Kennzeichnen verendeter Tiere verursachen
9/24
Im Herbst will Berlin die Novelle in trockene Tücher bringen
Kaum politischer Spielraum
Bis Anfang März konnten die Verbände zum Entwurf des Tierschutzgesetzes Stellung nehmen. Der Bundesverband Rind und Schwein hat die oben genannten Punkte kritisch kommentiert und Lösungswege aufgezeigt. Insbesondere die Verschärfungen beim Schwänzekupieren sind eine gewaltige Belastung für die Schweinehalter. Der Mehraufwand kann über 1 Mrd. € betragen.
Deshalb darf die Novelle auf keinen Fall so beschlossen werden. Allerdings ist der politische Spielraum begrenzt. So bedürfen die Verschärfungen im Tierschutzgesetz keiner Zustimmung durch den Bundesrat. Und im Kabinett herrscht offenbar bereits Konsens zum Referentenentwurf. Bis Ende September soll das Paket durchgewunken sein.