Kommentar: Dauerkritik an Tierhaltung und Fleischverzehr zermürbt die Landwirte

In der Nutztierhaltung fordert der Staat höhere Haltungsformen, er kann aber die Kosten nicht ausgleichen. Auch die Mehrheit der Verbraucher hält sich zurück und spart eher am Essen.

Dieser Kommentar von Patrick Liste erschien zuerst im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben.

Die Zahl sagt alles: 10 % der Schweinehalter in NRW haben innerhalb eines Jahres aufgehört. Somit gibt es nur noch 5.400 Betriebe mit Schweinen. Sie dürfen sich zwar gerade über Rekordpreise für Ferkel und Schweine freuen. Trotzdem haben viele Landwirte die Nase gestrichen voll – von der permanenten Kritik an Tierhaltung sowie am Fleischverzehr. Und vom Eigenlob des Agrarministers Cem Özdemir (Grüne), er führe die Tierhalter in eine gute Zukunft. Denn die Bauern empfinden das Gegenteil.

Zugegeben: Die Berliner Ampelregierung hat Verbesserungen für Nutztierhalter umgesetzt. Der Bau von Ställen ist erleichtert, das Haltungskennzeichen auf dem Weg. Das sind aber nur ­Mini-Schritte. Beim Stallbau ist das Emissionsrecht noch offen, beim Haltungskennzeichen fehlen Sauen, verarbeitete Produkte und der Außer-Haus-Verzehr. Vor allem aber hapert es nach wie vor an der Finanzierung. Und statt Lösungen gibt es da zwei herbe Rückschläge:

  • Es bleibt zwar bei 1 Mrd. € für den Umbau der Tierhaltung. Dieses Jahr fließt aber – anders als angekündigt – kein Cent mehr. Die ersten 150 Mio. € kommen erst 2024. Aufbruch erzeugt das nicht, eher Resignation, zumal die Bestandsgrenzen niedrig und die Hürden hoch sind.
  • Noch schwerer wiegen die Haushaltspläne. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will den Agrarhaushalt 2024 massiv kürzen, offenbar um 500 bis 600 Mio. €. Allein 300 Mio. € könnten im Fördertopf „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschützes (GAK)“ fehlen. Heißt unter anderem weniger Geld für Ökolandbau, Waldumbau und ländlichen Raum.

Für Tierhalter senden diese Sparpläne aber noch eine Botschaft: Der Staat fordert zwar höhere Haltungsformen, wird die Investitionen und höheren Kosten aber nicht ausgleichen. Bereits vor der Inflation hatte die Borchert-Kommission mit bis zu 4 Mrd. € pro Jahr gerechnet, das scheint nun unerreichbar zu sein. Und ob die große Mehrheit der Verbraucher für höhere Haltungsformen mehr zahlt, ist absolut fraglich. Aktuell sparen sie am Essen, um weiter in den Urlaub zu fahren.

Nüchtern betrachtet: Die Große Koalition hatte einen Rekordhaushalt, niedrige Zinsen und günstige Baumaterialien. Dieses Momentum für einen halbwegs geregelten Umbau der Tierhaltung hat Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) verstreichen lassen. Özdemir will das partout nachholen – mit klammer Kasse, hohen Zinsen und teuren Baumaterialien. Zweifel sind berechtigt, ob es gelingt. Viele Tierhalter glauben das nicht.

Was bleibt? Landwirte sollten Gelegenheiten wie den Bauerntag Ende Juni in Münster nutzen, um Klartext mit Agrarminister Özdemir zu sprechen. Sie erwarten keine rhetorisch lupenreinen Reden, die vor allem in der Gesellschaft ankommen. Sondern Realismus in der Agrarpolitik. Und dass Minister Özdemir die Hinweise ernst nimmt und nicht unbeirrt seine Agenda weiter durchzieht.

Zudem sollte sich die Branche bei Finanzminister Lindner für einen starken Agrarhaushalt einsetzen. Schließlich war die Landwirtschaft der FDP vor der Wahl noch wichtig. Im Idealfall nehmen sich beide Politiker etwas an – und es kommen mal erfreuliche Zahlen, die alles sagen.